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Ausgabe:

September/2020

Spalte:

864–865

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Dober, Benjamin

Titel/Untertitel:

Ethik des Trostes. Hans Blumenbergs Kritik des Unbegrifflichen.

Verlag:

Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2019. 317 S. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-95832-194-6.

Rezensent:

Hartmut Kreß

Diese an der Universität Freiburg i. Br. verfasste Dissertation von Benjamin Dober befasst sich mit dem Werk des Philosophen Hans Blumenberg. Sie thematisiert allerdings nicht seine Reflexionen zur Legitimität der Neuzeit und zum Stellenwert der Säkulari-sierung. Vielmehr geht sie seiner Anthropologie nach, zu deren Schlüsselthemen der Gedanke des Trostes gehört. Dabei knüpfte Blumenberg an die Kultur- und Lebensphilosophie Georg Simmels an, derzufolge der Trost die Sinnwidrigkeit des Übels dahingestellt sein lasse, aber das »Leiden am Leiden« zu lindern vermöge. Simmel zufolge können menschliche Worte sowie sonstige »hunderterlei« Gegebenheiten der Lebenswelt Trost erfahrbar werden lassen (69, vgl. 77). Von dem Rekurs auf Simmel abgesehen betont der Vf., dass das Motiv des Trostes in der abendländischen Geistesgeschichte seit der Antike erörtert wurde (18 f.). Er ordnet die Interpretation, die Blumenberg dem Trost als Phänomen des Menschseins verliehen hat, dann sehr ausführlich und sehr gründlich in den Kontext der Werke von I. Kant, E. Cassirer, H. Plessner und A. Gehlen ein. Um »Trost« inhaltlich existenzontologisch zur Sprache zu bringen, befasste sich Blumenberg mit der Bedeutsamkeit von Humor, Erinnerung und Nachdenklichkeit. Dies gelangt im 3. Teil der vorliegenden Arbeit zur Sprache. Der philosophischen Einrahmung diente Blumenbergs Konzeption der Rhetorik, die sich vom Rhetorikbegriff anderer Autoren, z. B. von Kant, deutlich abhob (90). Zu diskutieren wäre freilich, inwieweit Blumenbergs Erwägungen – so, wie der Vf. es vorschlägt – als »Ethik« des Trostes zu bezeichnen sind oder ob sie sich eher als eine Phänomenologie oder Lebensphilosophie des Trostes charakterisieren lassen. Dies hängt vom Ethikbegriff ab, den man zugrunde legt.
Es kann nicht überraschen, dass Blumenberg keine religiöse oder theologisch-dogmatische, sondern eine postreligiöse säkulare Trostkonzeption entfaltet hat. Diese Weichenstellung bahnte sich schon dadurch an, dass er die Sicht des Trostes aufgriff, die der Lebensphilosoph Georg Simmel dargelegt hatte. Von der Lebensphilosophie und Religionskritik Nietzsches hat sich Blumenberg überraschend deutlich abgegrenzt (vgl. z. B. 281). Mit religiösen Traditionen hat er sich konstruktiv auseinanderzusetzen und ihnen eine im Horizont der Neuzeit plausibel erscheinende Deutung zu verleihen versucht. Der Vf. geht auf Blumenbergs Interpretation des Schöpfergottes, der christlichen Vorstellung einer Menschwerdung Gottes und der von J. S. Bach komponierten Matthäuspassion ein. Die »Furcht des Herrn«, von der in Ps. 111 die Rede ist und die bei Bach wiederkehrt, ist Blumenberg zufolge als genitivus subjectivus zu deuten (272). Gott sei zur Weisheit gelangt, indem er in seiner Menschwerdung durch Solidarität mit den Geschöpfen seine Furcht zu überwinden versucht habe. Indem Blumenberg Gott zu einem »risikofreudigen Abenteuergott« werden ließ (273) und er jedwede Absolutheits- und Allmachtsidee abwies (283 f.), geriet seine Konstruktion des Gottesgedankens in gedankliche Nachbarschaft zu den Spekulationen, die Hans Jonas in seiner Schrift über den »Gottesbegriff nach Auschwitz« und in anderen Texten vorgetragen hat.
Die vorliegende Dissertation konnte noch nicht die Bemerkungen aufarbeiten, die J. Habermas in seinem zweibändigen Werk »Auch eine Geschichte der Philosophie« 2019 zu Blumenberg zu Papier gebracht hat. Habermas rezipierte Blumenbergs bekannte These zur Legitimität bzw. zum Selbststand der Neuzeit, hielt ihm dann aber vor, er sei inkonsequent gewesen, indem er ein Ausweichmanöver vorgenommen habe. Blumenberg sei »in die Rhetorik einer ›Arbeit am Mythos‹« ausgewichen, indem er sich auf tradierte Denkfiguren der Geistesgeschichte eingelassen und sich auf sie gestützt habe (J. Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, 2019, 41). Nun wird man die Gegenfrage stellen müssen, wie plausibel Habermas’ eigene Idee einer »Übersetzung« von Religion in Philosophie überhaupt ist und ob er sie 2019 in seinem Buch überzeugend umgesetzt hat. Doch wie immer es sich hiermit verhält – was die Zurückhaltung anbelangt, die Habermas gegenüber Blumenberg andeutet: Die vorliegende Arbeit zeigt auf, dass Blumenberg eine Phänomenologie des Trostes entfaltet hat, die der conditio humana, der Mängelstruktur menschlicher Existenz (83), gerecht zu werden und hierfür Motive der Geistes- und Religionsgeschichte in origineller Weise fruchtbar zu machen suchte. Beachtung verdienen gleichfalls die in der vorliegenden Arbeit wiedergegebenen Gesichtspunkte Blumenbergs zum Verständnis von Rhetorik, Metaphorik, Mythos (198) – wobei Blumenberg zum Mythos ganz anders argumentierte als z. B. Rudolf Bultmann – oder zum anthropologischen und kulturellen Stellenwert von Erinnerung.