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Ausgabe:

September/2020

Spalte:

833–835

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Rivinius, Karl Josef

Titel/Untertitel:

Giordano Bruno, Leo XIII. und Römische Frage.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2018. 260 S. Geb. EUR 40,00. ISBN 978-3-402-13291-3.

Rezensent:

Patrick Bahl

Karl Josef Rivinius, der zuletzt an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie lehrte, legt mit dieser kirchenhistorischen Monographie eine detaillierte Untersuchung zu den tiefgreifenden Konflikten zwischen Vatikan und Quirinal in der Zeit zwischen Risorgimento und der Unterzeichnung der Lateran-Verträge vor. Die Römische Frage bezüglich des völkerrechtlichen Status des Kirchenstaates im Zuge der italienischen Einigungsbewegung ist in den letzten Jahren häufiger Gegenstand von Monographien und Sammelbänden gewesen (Gustav Seibt: Rom oder Tod. Der Kampf um die italienische Hauptstadt, Berlin 2001; Francesco Traniello: Katholizismus und politische Kultur in Italien, Münster 2016; Stefan Heid, Karl-Joseph Hummel [Hrsg.]: Päpstlichkeit und Patriotismus. Der Campo Santo Teutonico: Ort der Deutschen in Rom zwischen Risorgimento und Erstem Weltkrieg [1870–1918] [= Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Sup plementband 65], Freiburg u. a. 2018). R. spitzt den Konflikt nun jedoch vor allem auf die damals einsetzende politische Vereinnahmung der schillernden Gestalt des Giordano Bruno zu.
Der von der päpstlichen Inquisition 1600 zum Feuertod verurteilte Philosoph avancierte in jener bewegten Zeit zur Gallionsfigur einer antiklerikalen und antipäpstlichen Bewegung italienischer Rationalisten, Freimaurer und Nationalisten, die ihm 1889, d. h. auf dem Höhepunkt der schwelenden Auseinandersetzungen um das päpstliche dominium temporale, auf dem Campo de’ Fiori ein imposantes, heute weithin bekanntes Denkmal setzten. Als Quellenbasis greift R. auf päpstliche Enzykliken, vatikanische und stadtrömische Zeitungen, offizielle Verlautbarungen und vor allem auf die Korrespondenzen der deutschen Ambassadeure am Heiligen Stuhl zurück. Auch wenn sie keineswegs einen unbefangenen und neutralen Blick auf die Vorgänge hinter den Mauern des apostolischen Palastes erlauben, ziehen insbesondere letztere eine aufschlussreiche außenpolitische Metaebene in die Untersuchung ein, insofern sie eine distanziertere Sicht auf die Römische Frage freigeben als die italienischen und vatikanischen Veröffentlichungen, die erwartungsgemäß einseitig ausfallen. Neben der klugen Quellenauswahl liegt der besondere Clou der Untersuchung in R.’ Darstellungsweise: Dass sich eine kirchenhistorische Monographie zu einer dermaßen speziellen Thematik so anregend und abwechslungsreich wie ein Kriminalroman lesen lässt, hängt vor allem damit zusammen, dass R. sich bestens darauf versteht, verschiedene Darstellungsbögen in ein spannungsreiches Verhältnis zueinander zu setzen: Gewissermaßen als Exordium setzt das erste Kapitel im 16. Jh. und damit lange vor den eigentlichen Geschehnissen mit einer dichten, aber höchst anschaulichen Rekapitulation der Vita des Giordano Bruno ein (11–42). Es folgt – mit Augenmaß proportioniert – ein historischer Abriss der »Bestrebungen um Italiens nationale Einigung« (d. h. Risorgimento, Ausrufung der konstitutionellen Monarchie, Untergang des Kirchenstaates und Aufkeimen der Römischen Frage) (43–66), mit dem R. den Anlauf zur Darstellung des eigentlichen Konflikts nimmt.
Mit dem dritten Kapitel wird mit Leo XIII. einer der Hauptakteure des Streits eingehend vorgestellt und die Ambivalenz seines Pontifikats angesichts des schweren politischen und theologischen Erbes, das ihm der antimodernistische und streitsüchtige Pius IX. hinterlassen hat, ausgeleuchtet (67–99). In diesem Kapitel zeigt sich R.’ erzählerische Qualität in besonderer Weise, etwa wenn er von den Feierlichkeiten anlässlich der Sekundiz Leos berichtet: Diesen habe der Papst übermäßig freudig entgegengesehen, bis ihm zugetragen worden sei, dass die Staatsregierung den stadtrömischen Bürgermeister zur Abdankung zwingen wollte, da sich dieser in jener politisch heiklen Situation dazu verstieg, dem Pontifex offiziell zu gratulieren. Mit dieser Episode ist der massive Konflikt angekündigt, welcher sich an der Errichtung der Bruno-Statue im Jahr 1889 entzündet und der den Höhepunkt und das Kernkapitel des Buches ausmacht (101–132). Indem R. die römische Tagespresse, die diplomatischen Korrespondenzen und die päpstlichen Verlautbarungen glei chermaßen zur Sprache kommen lässt und sich diese dadurch ge­genseitig erhellen, gelingt ihm eine präzise und unprätentiöse, dennoch unglaublich dichte und spannende Dokumentation der Aufsehen erregenden Bruno-Gedenkveranstaltungen in Rom, der aufkommenden Ressentiments gegen Papst und römischen Klerus, der politischen Inanspruchnahme der Veranstaltungen durch die italienischen Nationalisten und der Zeremonie der Enthüllung des Denkmals als steingewordenen Protestes gegen den Papalismus. Dem Folgekapitel über die »Reaktionen auf die Verherrlichung des Apostaten« (vielleicht wäre bei dieser Kapitelüberschrift eine gewisse Distanz zur vorurteilsbehafteten Quellensprache geboten gewesen) eignet der Charakter eines eher resignativen Epilogs (133–159), was aber nicht R. anzulasten, sondern eher der Dynamik des vorher geschilderten Geschehens geschuldet ist.
Ein Ausblick auf die »[w]eitere Entwicklung in den Beziehungen zwischen Quirinal und Vatikan« rundet die Untersuchung ab, skizziert die sich anbahnende Annäherung zwischen Kirche und Staat nach dem Ersten Weltkrieg und schließt mit einem Ausblick auf die unter Mussolini und Pius XI. unterzeichneten Lateran-Verträge, die die Römische Frage schlussendlich einer bis heute in Geltung stehenden Lösung zuführen (161–205).
R.’ Geschichte der Römischen Frage, in deren Verlauf Bruno zur Projektionsfläche für verschiedene politische Extrempositionen und reaktionäre Abgrenzungen gerät, eröffnet einen schonungslosen Blick auf die politische und theologische Unbeweglichkeit der Papstkirche wie auf die intellektuellen Defizite und denkerischen Einseitigkeiten jener Bewegung, die sich in den Schatten des Nolaners stellte, doch kaum zwischen Rezeption und Verzeichnung unterscheiden konnte oder wollte. Das Auftaktkapitel zu Bruno löst daher seine Berechtigung als kritisches Korrektiv der voreingenommenen Geschichtsbilder der Konfliktparteien vielleicht erst zum Ende der Untersuchung ein, wenn R. in einem knappen Fazit, freilich ohne in die Falle einer unsachgemäßen, wohlfeilen Aktualisierung der Auseinandersetzung zu tappen, auf den Streit zurückschaut – das Urteil aber ganz dem Leser anheimstellt.
So mitreißend der Haupttext geschrieben ist, so reichhaltig und kleinteilig ist die Quellenarbeit ausgefallen, die vor allem in die umfangreichen Anmerkungen eingeflossen ist. Auch die angehängte Quellendokumentation und das reiche Bildmaterial erweisen den historischen Tiefgang des Werkes. Wer sich also auf die titelgebende Konjunktion »und« einlassen möchte, die etwas numinos das Phantom Bruno, das Porträt des streitbaren Papstes Leo XIII. und die Römische Frage einander beiordnet, wird mit einer interessanten, grundsoliden Fallstudie zur nie erledigten, intrikaten Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat belohnt.