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Ausgabe:

April/2000

Spalte:

385–387

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bieberstein, Klaus

Titel/Untertitel:

Josua - Jordan - Jericho. Archäologie, Geschichte und Theologie der Landnahmeerzählungen Josua 1-6.

Verlag:

Freiburg (Schweiz): Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. XII, 493 S. gr.8 = Orbis Biblicus et Orientalis, 143. Pp. sFr 140.-. ISBN 3-7278-1016-5 u. 3-525-53778-6.

Rezensent:

Manfred Görg

Das Buch Josua war lange Zeit ein Stiefkind der Exegese und Theologie des AT. Zu sehr wirkten die Analysen und Beobachtungen der Kommentare von M. Noth (1938/1953) nach, als dass man einen absolut neuen Entwurf mit genügend Aussicht auf Akzeptanz hätte wagen können. Obwohl jedoch Josua auf der Liste der meist untersuchten Bücher des AT in der jüngeren Forschungsgeschichte zu den sog. Geschichtsbüchern noch immer nicht gerade obenan steht, sind doch gerade in den neunziger Jahren respektable Ansätze zu einer Revision der Thesen M. Noths zum vordeuteronomistischen und deuteronomistischen Werdegang des Buches auf den Markt gelangt. Neue Ergebnisse waren ohnehin nur von Studien zu erwarten gewesen, die sich einer methodisch-kritischen Annäherung an Teile des Textmaterials befleißigen würden, um so differenzierte Urteile über deren Anlage und Gestalt zu gewinnen. Nachdem J. Floss als erster die literaturwissenschaftliche Arbeitsweise an Jos 2 exerziert hatte, hat nun der Autor des anstehenden Buches, einer in Tübingen gefertigten Dissertation, das Blickfeld ausgeweitet und eine sehr eingehende Analyse der Kap. 1-6 vorgelegt. Die Untersuchung stellt eine höchst willkommene, zugleich aber außerordentliche Herausforderung gerade für denjenigen dar, der selbst an einem Kommentar zum Buch Josua arbeitet, da alle eigenen Urteile auf die Probe gestellt werden müssen. Eine Besprechung kann hier nur der Grundkonzeption des Autors gelten, die bereits in den Studien zu Kap. 1 und 2 erkennbar wird.

B. lässt einer relativ knapp gefassten Information über die Befunde archäologischer Arbeit in Jericho, in denen er zu Recht wegen ihrer Spannungen zum biblischen Eindruck einen "Stein des Anstoßes" erblickt, eine Darstellung zur exegetischen Forschungsgeschichte folgen, die sich dem Schicksal der Landnahmeerzählungen widmet. Dabei wird zutreffend festgestellt, dass in der Regel an anderem Material gewonnene Erklärungsmodelle, wie etwa die Varianten des Schichtenmodells der ,Göttinger Schule’ oder auch des Blockmodells zur Diachronie der dtr Arbeit, ohne primäre und ausreichende Befragung der anstehenden Textzusammenhänge auf deren literarische Beurteilung übertragen worden sind. Im Blick auf die traditionsgeschichtliche Interpretation kann sich B. gegen die kultätiologische und kultdramatische Auslegungsweise aussprechen, da hier ebenfalls literargeschichtliche Vorentscheidungen zur "Achillesferse" geworden sind.

Die sonst meist ohne textkritische Detailarbeit auskommenden Textanalysen in Jos sind deswegen mit einem Grundlagenproblem belastet, weil vor allem die textliche Überlieferung durch die überdurchschnittlich zahlreichen LXX-Varianten nicht ohne weiteres die Bereitstellung eines für weitergehende Analyseschritte offenen Textes des Buches erlaubt. Es ist darum gerechtfertigt, der Textkritik für Jos 1-6 einen größeren Raum zu geben, um mit Hilfe eines annähernd erfassten Grundtextes G* den M-Text zu rekonstruieren. Bereits die erste textkritische Anfrage zum Titel cbd JHWH in 1,11.15 f. zeigt, dass man mit einer "sekundären Ausweitung" des Titels in der masoretischen Texttradition rechnen muß, dafür aber mit einer in G* erhaltenen älteren Lesart. Jos 1 stellt sich prospektiv als Beispielstück für die dtr Literargeschichte des Buches dar, als darin die differenzierte Arbeit der einschlägigen Redaktionen beobachtet werden kann. Eine Grundschicht, provisorisch mit dem Siglum DtrA belegt, um damit das Interesse an der ,Amtsübernahme’ durch Josua anzudeuten, geht einer ersten Ergänzung durch DtrR als Autor einer zunächst an Ruben gerichteten Rede an die ostjordanischen Stämme voran, um dann von einer weiteren, von DtrN eingebrachten Gottesrede "mit nomistischen Interesse" (1,7-9c) angereichert zu werden. Einschränkend zur Annahme einer Sukzession DtrA-DtrR-DtrN wird gleichwohl vermerkt, dass die Reihenfolge der Bearbeitungen "nicht als zwingend gesichert" gelten kann.

Mit seiner Distinktion schließt sich B. grundsätzlich an die Nomenklatur der Dtr-Hypothesen an, die sämtliche an Dtn anschließende Redaktionsarbeit mit dem Siglum Dtr versieht. Die Frage bleibt freilich, ob man nicht zwischen einer im Zuge der Kultreform Josias vollzogenen Arbeit unter dtn Inspiration, ohne diese bereits dtr (vielleicht nur D?) zu nennen, und der im engeren Sinne dtr und damit systemorientierten Redaktionsarbeit aus exilisch/nachexilischer Zeit unterscheiden sollte, bei der wiederum statt mit eigenen und literargeschichtlich abgrenzbaren Redaktionsschichten vorläufig eher noch mit einem Neben- und Ineinander, nicht notwendig mit einem Nacheinander wechselnder Interessenschwerpunkte und literarischer Aktivitäten zu rechnen wäre. Damit könnte man einer Entwicklung widerstehen, die von der früheren Pentateuchkritik mit ihren problematischen Definitionen der Pentateuchschichten JEP ausgelöst worden ist. Schon in der joschijanischen Reformperiode dürfte es eine Autorisierung der Josuagestalt (ob mit oder ohne Anspielung auf Joschija) gegeben haben, die nicht erst auf das Konto eines dtr Autors geht, so dass in Jos 1 mehr als nur eine relativ späte, möglicherweise erst exilische Reflexion zur Amtsübertragung von Mose auf Josua greifbar wird.

In der Rahaberzählung Jos 2, darin vor allem Ergebnisse der ebenfalls literaturwissenschaftlich arbeitenden Untersuchung von J. P. Floss modifizierend, wird wie bei Floss eine Grundschicht (C1) ausgemacht, der jedoch mehr Textmaterial als bei Floss und, im Unterschied zu Floss, eine spätvorexilisch/exilische Entstehung zugesprochen wird (372). Überdies sieht der Autor eine "postpriesterschriftliche Redaktion Rp" am Werk.

Die Datierung der Grundschicht (mit m. E. weiterhin diskutablem Umfang) wird zwar mit einem Abgehen von Frühansetzungen im Recht sein, Anlass und Tendenz der Erzählung werden mit einer derart späten Zuweisung jedoch nicht deutlicher, zumal der Autor für diese Zeit das "Vorhandensein einer als nicht israelitisch geltenden Sippe namens Rahab" und eine Positivwertung der Nichtisraelitin postulieren muss. Es ist mir wahrscheinlicher, dass die Rahabfigur als eine Art Personifikation der ,offenen’ Stadt noch zu einem Zeitpunkt geschaffen wurde, als die assyrische Politik zu Überlebensstrategien in Jerusalem (Jericho als Chiffre für Jersusalem!) Anlass gegeben haben wird, d. h. noch vor der josianischen Periode. Zu erwägen ist auch, ob die Rahaberzählung nicht ursprünglich einem kursierenden Anekdotenschatz zugehört, in deren Mittelpunkt die nichtisraelitische Frau und das Problem ihrer Integration in die Gesellschaft Israels gestanden hätte.

Mit den Studien zu Jos 1 f. sind auch im Wesentlichen die Grundlinien zur Sondierung der zentralen Kapitel 3 und 6 geschaffen, deren kritische Analyse jedoch nicht einfach nach dem vorgelegten Modell geschieht, sondern mit genuinen und detaillierten Studien der Literaturgeschichte nachgeht, wonach es in Jos 3 und 6 jeweils eine Grundschicht A und eine Schicht B (zur Eintragung der Lade) gibt, dann die schon in Jos 2 greifbare Schicht C1 (zur Aufnahme der Rahaberzählung) und eine weitere Schicht C2 (zur Aufnahme der Steinaufstellungserzählung), bis die eigentliche dtr Arbeit in den Stufen DtrA - DtrR- DtrP (Prophetische Redaktion) - DtrN einsetzt. Weitere Redaktionsarbeiten werden als priesterschriftlich, ätiologisch und chronistisch ausgewiesen, von diversen Zusätzen abgesehen. Das Gesamtbild berührt sich in den Grundzügen mit dem Schichtenspektrum, das L. Schwienhorst-Schönberger an Jos 6 demonstriert hat, suspendiert aber die Zuweisung des vordtr Materials an den "Jehowisten", um hier den ,unbelasteten’ Siglen A/B den Vorzug zu geben. Dabei können die ätiologischen und kultischen Züge auf das Konto späterer Bearbeiter gesetzt werden. Auch hier hat B. den Vorteil einer gründlichen Musterung des Textbestands auf seiner Seite, so dass ein literargeschichtlich orientierter Kommentar weitgehend seinen Spuren folgen kann.

In Einzelheiten werden Differenzen unausweichlich sein, vor allem im Blick auf die Sondierung und Qualifizierung der Redaktionsstufen, zumal wenn man die dtr Signatur der nachjosianischen und exilisch/nachexilischen Literatur vorbehält.Auch bei der Verortung der ursprünglichen, zu Recht nicht als "Geschichtsüberlieferungen" zu deutenden Erzählungen besteht weiterer Klärungsbedarf. Ausdrücklich vermerkt werden sollte auch der berechtigte Verzicht auf die Annahme einer priesterschriftlichen Bearbeitungsschicht zu Gunsten einer Redaktion im Gefolge von P und Dtr. Eben dieser sehr späten Stufe möchte B. auch die Szene von der Erscheinung des "Fürsten des Heeres des Herrn" (5,13-15) zuordnen, freilich mit ausdrücklichem Vorbehalt, was mit der sonst immer um strenge Maßstäbe in der Urteilsfindung bemühten Untersuchung korrespondiert. Auch in diesem Fall ist freilich der Weg zu einer vorexilischen Gestaltung des Textes als Vorspann der Grunderzählung von Jos 6 noch nicht verschlossen. Eine detaillierte Gewichtung der Einzelbeobachtungen in der außerordentlich hilfreichen, immer argumentativ operierenden Arbeit muss einer eingehenden Kommentierung des biblischen Buches vorbehalten bleiben.