Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2020

Spalte:

826–828

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Stöcklein, Heike

Titel/Untertitel:

Illustrierte Offenbarung. Holzschnittillustrationen der Johannes-Apokalypse in deutschen Bibeln.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2019. 325 S. m. Abb. = Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 52. Geb. EUR 88,00. ISBN 978-3-374-06030-6.

Rezensent:

Martin Karrer

Byzanz unterlag 1453 den Osmanen, bevor der Buchdruck nach Konstantinopel kam. Die griechische Bildtradition der Apk, die ohnehin schwach ausgeprägt war, konnte sich nicht eigenständig im Druck entfalten. Im Westen dagegen gab es nicht nur eine reichere Rezeption der Apk. Ab 1420 verbreiteten sich auch der Holzstock und Formen des Holzschnittes. Blockbücher und die Einfügung von Holzschnitten in den Letterndruck (35–43) erlaubten ab der zweiten Hälfte des 15. Jh.s die umfangreiche Verbreitung alter und neuer Bildideen. Heike Stöcklein greift in ihrer Studie (Dissertation Münster, Evangelische Theologie 2018) einen zentralen Ausschnitt dieser Entwicklung heraus, die Illustration der Apk von den Kölner Bibeln bis zu Luthers Neuem Testament, d. h. von 1478/79 bis 1530.
Ihr Beginn bei den Kölner Bibeln 1478/79 ist gut nachvollziehbar. Erst von ihnen an gibt es großformatige Holzschnitte in volkssprachlichen Bibeln. Die nur wenig älteren Blockbücher verwenden lateinischen Text. S. geht deshalb lediglich an einzelnen Stellen darauf ein (16–17; zu Apk 6,1–8 s. S. 80 und Abb. 1 auf S. 249). Ein Aspekt würde allerdings mehr Interesse verdienen: Bis heute ist schwer erklärbar, warum gerade die Apk – und nicht die Evangelien– in den frühen Drucken illustriert wurde (besonders 48–51). Es scheint, dass die Blockbücher das ohnehin vorhandene volkstüm-liche Interesse an einer Bilderzählung der Apk zusätzlich förderten; die Beigabe einer deutschen Übersetzung zum Heidelberger Blockbuch (nachlesbar unter https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ cpg34/0128/ thumbs; von S. nicht benutzt) wirkt wie ein Bindeglied zu den deutschen Bibeln.
Der Einschnitt zwischen Blockbuch und Kölner Bibeln ist ge­wichtig. Der anonyme Holzschneider, der die Stöcke für letztere schuf, war ein eigenständiger Künstler (51–52 u. ö.). Die vier Reiter von Apk 6,1–8 etwa fasste er in einer einzigen Szene zusammen statt in den vier Bildern des Blockbuchs. Seine Stöcke wurden in der Koberger Bibel 1483 und der Halberstädter Bibel 1522 wiederverwendet sowie von Schönsperger 1487/90 nachgeschnitten; Schönspergers Stöcke wiederum verwendete die Otmar-Bibel 1507/1518 (55–67). Die Apk-Illustrationen der deutschen Bibeln vor Luther – sämtlich Übersetzungen der Vulgata – sind also direkt oder indirekt von diesem unbekannten Meister geprägt. S. würdigt seine Bildschöpfungen zu Recht (68–109).
Der große Ruhm Dürers, der die Apokalypse 1498 als Einzelbuch mit Holzschnitten herausgab, stellte den Kölner Meister zu Un­recht in den Schatten. Gleichwohl fragt sich, ob S.s Verzicht auf eine eigene Behandlung Dürers (begründet mit ihrem Schwerpunkt auf vollständigen Neuen Testamenten und der guten Forschungslage zu Dürer; 15 f. u. ö.) nicht doch zu kühn ist. Denn da Dürer die Holzschnitte in den Lutherbibeln wesentlich beeinflusste, muss sie im zweiten Teil ihrer Studie immer wieder auf ihn referieren (z. B. 137 zu den apokalyptischen Reitern im Septembertestament 1522). Wichtig aber ist ihre Pointe: Dürer erscheint eher als Teilhaber an der Kunstentwicklung, weniger als der große Neuerer, wie das in der Dürerrezeption zur Gewohnheit wurde. Paradigmatisch be­zweifelt S., dass erst Dürer das dunkle Bild des ersten Reiters (Apk 6,2) durchgesetzt habe (während vor ihm helle Deutungen auf Christus oder das Evangelium dominierten); schon die Kölner Bibel ist ihrer Ansicht nach doppeldeutig (75–82).
Der volkssprachliche Bibeldruck entwickelte – so eine weitere wichtige These – eine eigene Dynamik. Die ältere Forschung überschätzte das kirchliche Verlangen, volkssprachliche Drucke zu approbieren. In Köln geschah das durch die Universität, doch nicht systematisch (53–55). Die vorreformatorischen Drucker handelten auch nicht erkennbar aus einer humanistischen oder kirchlichen Opposition. Sie befriedigten vielmehr die vorhandene Nachfrage im Wettbewerb untereinander und achteten auf wirtschaftlichen Gewinn. Da Drucke rasch billiger wurden (58 u. ö.), steigerten Illustrationen den Wert einer Edition und den Verkaufspreis.
Das wirkte sich bis zur Illustration von Luthers Neuem Testament aus. Die berühmte September-Edition von 1522 folgte, obwohl der Text nun aus dem Griechischen übersetzt war, der eingespielten Lesegewohnheit. Die Apk – und nicht Evangelien oder Paulusbriefe – wurde illustriert. Da Luther sich in der Eile der Textherstellung keine Zeit für eine Beeinflussung der Bildschöpfungen nahm, griff die Werkstatt Lucas Cranachs (und Christian Dörings) zudem auf vertraute Bildtraditionen zurück. Sie aktualisierte, wie angedeutet, vor allem Dürers Holzschnitte (113–121 u. ö.). Zur bekanntesten Neuerung wurde die Krönung der Hure Babylon (Apk 17) mit der Tiara; die Tiara, ein Symbol von Ecclesia und Papst, war aus Wittenberger Sicht antichristlich depraviert. Das erregte Aufsehen und Widerspruch – und wurde im Dezembertestament korrigiert (197–201).
Nachdrucke mussten nicht notwendig dem September- oder Dezembertestament folgen; Petri ließ in Basel 1525 zum Luthertext die Holzschnitte der Kölner bzw. Koberger Bibel nachschneiden (126). Andererseits hatte Emsers »altgläubige« Bibel keine Bedenken, Wittenberger Druckstöcke zu erwerben und zu verwenden. Bei Emser 1527 entspricht daher die Hure Babylon dem Dezembertestament (ohne Tiara) und kommen lediglich zwei neue Holzschnitte Lembergers hinzu (128). Das warnt davor, die Auswirkungen des Beginns der Reformation auf die Illustrationsgeschichte zu überschätzen. Man vergesse nicht, dass kirchliche Amtsträger schon in vorreformatorischen Gerichtsbildern unter die Verdamm-ten eingereiht wurden und die Illustrationen des Septembertes-taments die Bedrohung der Kirche durch die Tiara (Apk 11 und 17) in einen größeren Kreis von Widersachern Gottes einbetteten (216 u. ö.).
S. verfolgt die Illustrationen von Luthers Neuem Testament maßgeblich bis Burgkmair (1523), der Papst Leo X. feinsinnig in Gesichtern des Löwen (lat. »leo«) verwarf (205–216, besonders 210). Eine Grenze setzt sie 1530, weil Luther nun im Vorfeld für die Ge­samtausgabe seiner Bibel sein Neues Testament und dessen Illustra-tion stärker kontrollierte und Cranachs Einfluss zurückging (17 f.). Wer am Wandel 1530/34 näher interessiert ist, muss daher auf äl-tere Studien zurückgreifen (besonders P. Martin, Martin Luther und die Bilder zur Apokalypse, 1983).
Bedauerlich ist, dass S. Holbeins Illustrationen nur streift. Da sie für den Basler Nachdruck des Septembertestaments 1523 entstanden (123 f.), gehören sie noch in den Berichtszeitraum, und da sie in die Froschauerbibel 1531 übernommen wurden, verbinden sie die Wittenberger und die Zürcher Apk-Übersetzung.
S. analysiert die Holzschnitte methodisch im Dreischritt von Beschreibung, ikonographischer Untersuchung und ikonologischer Interpretation (20–22). Vor der Reformation sieht sie im Kontrast zwischen den Bildern Auserwählter und Verworfener einen moralischen Impuls vorherrschen (Ergebnis: 109). Die Bilder ab 1522 führen das weiter, warnen nun aber in den Kontroversen der Gegenwart vor Gottes Tag des Zorns, enthüllen die Widersacher Gottes – mit zeitgeschichtlichen Pointen – und ermutigen die Leser durch große Bilder der Verheißung (Ergebnisse: 175 f.216.233). Die Illustrationen bewältigen mithin Kontingenz, deuten die Gegenwart und setzen theologische Akzente (234–248).
All das stellt die Arbeit plausibel dar. Vertiefungen könnten sich durch eine genaue Korrelation von Illustration und zitiertem Schrifttext ergeben. Das sei an Apk 1,11 über S. hinaus gezeigt: Das Blockbuch las, Johannes solle, was er sah, in »das Buch des Lebens« schreiben (so die erwähnte Übersetzung im Heidelberger Exemplar fol. 46r; lat. 45v »in libro vitae«). Die Apk war (gegen den heutigen Bibeltext) eine Mitteilung über das himmlische Buch des Lebens – ein überragender Impuls für ihre Rezeption. Die Kölner Bibel nahm das zurück; sie folgte dem Vulgata-Haupttext ( scribe in libro), so dass Johannes in »sein Buch« schrieb. Luther schließlich sah, dass im Griechischen der Artikel fehlt, und übersetzte »in ein Buch« (1522; 1534; εἰς βιβλίον); aus dem himmlischen Buch wurde ein irdischer Text. Die Entwicklung der Abbildungen entspricht dem: Im Blockbuch hielt ein Engel das Spruchband. In der Kölner Bibel schrieb Johannes auf Patmos, hervorgehoben noch durch den Heiligenschein. Im Septembertestamt schreibt er, angewiesen durch einen Engel, aber ohne Heiligenschein, in der Studierstube, und in Luthers Vollbibel 1534 verschwindet das Autorenbild ganz. Die Einschätzung des Werks und die Wahrnehmung des Bibeltextes än­dern sich.
Zusätzliche Untersuchungen versprechen in dieser Hinsicht weitere Aufschlüsse. Das aber darf S.s Verdienst nicht schmälern. Die künftige Forschung wird verlässlich auf ihrer Studie aufbauen können.