Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1188–1190

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Frei, Peter, u. Klaus Koch

Titel/Untertitel:

Reichsidee und Reichsorganisation im Perserreich. 2., bearb. u. stark erw. Aufl.

Verlag:

Freiburg/ Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996. 337 S. m. 15 Abb. gr.8 = Orbis Biblicus et Orientalis, 55. Geb. DM 114.-. ISBN 3-7278-1045-9 u. ISBN 3-525-53782-4

Rezensent:

Friedhelm Hartenstein

Der Althistoriker Peter Frei und der Alttestamentler Klaus Koch haben das vorliegende Buch erstmals 1984 als Band 55 der Reihe OBO publiziert. Bei den beiden Beiträgen handelt es sich um 1982 bei der Herbsttagung der Schweizerischen Gesellschaft für Orientalische Altertumswissenschaft gehaltene Vorträge, die- unabhängig voneinander, aber sich glücklich ergänzend - die innere Verbindung von achämenidischer Reichsorganisation und Herrschaftsvorstellung zu erhellen vermochten. Der Zeitpunkt für diese Themenstellung war günstig: In der alttestamentlichen Wissenschaft ist im vergangenen Jahrzehnt im Zuge der neueren literargeschichtlichen Forschungen zum Pentateuch und den Prophetenschriften das Interesse an der Perserzeit als der formativen Periode für große Textbereiche der hebräischen Bibel stetig gewachsen. Aber auch die Erforschung der Kultur der Achämenidenzeit durch Iranisten und Althistoriker hat - z. B. durch die Auswertung der elamischen Verwaltungstäfelchen aus Persepolis - eine weitere Differenzierung und Vertiefung erfahren. Wenn nun das Buch überarbeitet und mit dreifachem Umfang neu erschienen ist, spiegelt sich auch darin diese veränderte Interessenlage.

Beiden Autoren ist auch in der Neufassung daran gelegen, die spezifische Besonderheit der Reichskonzeption der Achämenidenherrscher und ihre Konsequenzen für die Ethnien des Reiches herauszuarbeiten. In der Forschung verbindet sich damit das Stichwort der "Toleranz" der Perserkönige gegenüber kulturellen und religiösen Eigenarten der beherrschten Völker. Die biblischen Schriften lassen ja unter den über Palästina herrschenden "Fremdvölkern" einzig den Persern keine negative Bewertung zukommen, sondern schreiben ihnen eine entscheidende Rolle für die Erneuerung und Erhaltung der Identität des Volkes Israel zu.

F. widmet den unverändert abgedruckten ersten Beitrag des Bandes (8-131) einem Vorgang, für den er den inzwischen weithin eingebürgerten (teils auch kritisch hinterfragten1) Begriff "Reichsautorisation" eingeführt hat. Die Überschrift "Zentralgewalt und Lokalautonomie im Achämenidenreich" macht deutlich, worum es dabei geht: Lokale Systeme und übergeordnete Ebene seien im Perserreich so miteinander verbunden gewesen, daß z. B. in Fällen mit rechtlichem Regelungsbedarf von den Volksgruppen ausgehende Initiativen durch die Vertreter des Großkönigs bzw. durch diesen selbst autorisiert wurden und dadurch unanfechtbaren Rechtsstatus erlangt hätten.

Die Quellenlage für solche Vorgänge ist allerdings - wie überhaupt für die Perserzeit - eher ungünstig (11 f.). Die in Frage kommenden Dokumente sind zeitlich und räumlich disparat, und der Rückschluß auf tatsächliche Sachverhalte der persischen Reichsorganisation ist mit erheblichen Unsicherheiten belastet, da die Texte philologisch und inhaltlich zumeist mehrdeutig sind. Wichtigster Beleg ist die sog. Trilingue vom Letoon aus dem 4. Jh. v. Chr., in der ein Volksbeschluß der kleinasiatischen Gemeinde von Xanthos (die Einrichtung und den Unterhalt eines Kultes zweier einheimischer Gottheiten betreffend) durch den Satrapen bestätigt und dadurch wohl zur Reichsangelegenheit gemacht wird (12 ff.; 39 ff.). Die nächsten Analogien hierzu findet F. in alttestamentlichen Texten, v. a. des Esrabuchs (20 ff.; 49 ff.). Entscheidend ist der viel diskutierte Passus aus dem sog. Firman des Großkönigs in Esr 7,26, in dem nebeneinander das "Gesetz deines Gottes und das Gesetz des Königs" genannt werden. Wenn beide ineins zu setzen sind, wie F. es vorschlägt, wäre darin ein wesentlicher Beleg für das Gemeinte zu sehen: "In diesem Falle hätte der König das von Juden verfaßte Gesetzbuch Esras durch Reichsautorisation sanktioniert." (21) Damit scheint auch der organisatorische Rahmen für die Stellung des Pentateuchs in der nachexilischen jüdischen "Bürger-Tempel-Gemeinde" nachgewiesen, weshalb die These in der alttestamentlichen Wissenschaft eine breite positive Resonanz gefunden hat.2 Die weiteren von F. herangezogenen Belege (Darius als "Gesetzgeber" in Ägypten; Passa-Brief aus Elephantine u. a.), zu denen seine Zusammenfassung in ZAR 1, 1995, 1-35, sowie R. G. Kratz, Translatio imperii, WMANT 63, 1991, 246-255, zu vergleichen sind, zeigen den Vorgang allerdings weniger deutlich, und so ist die These auch mit beachtenswerten Argumenten hinterfragt worden (vgl. z. B. die Beiträge von J. Wiesehöfer und U. Rüterswörden in ZAR 1, 1995, 36 ff.;. 47 ff.).

Mehr als doppelt so lang wie der Originalbeitrag fallen die "Ergänzungen zur Neuauflage" aus (38-113), in denen F. in einem zweiten Durchgang durch die Texte weitere Argumente und neues Material bietet und sich mit Anfragen der Rezensenten auseinandersetzt.3 Am Ende steht eine Würdigung der "Institution der Reichsautorisation" (102 ff.), wonach diese eher fakultativ als obligatorisch war. Gegen den Einwand, angesichts der überwiegenden Beschränkung der Quellen auf religiöse Angelegenheiten die Bedeutung des Vorgangs für das Perserreich zu überschätzen, betont F. einleuchtend, "daß die Aufteilung in religiöse und säkulare Rechtsbereiche gerade für altorientalische Verhältnisse nicht ohne weiteres adäquat ist." (103).

Damit ist auch ein Überleitungspunkt zum zweiten Beitrag des Bandes gegeben (135-337), in dem Koch zunächst in seiner- um einen Schlußabschnitt erweiterten - Studie "Weltordnung und Reichsidee im alten Iran" behandelt. Nachdem er seine Position in der schwierigen Frage der Religion der Achämeniden deutlich gemacht hat (gemäßigter Zoroastrismus, insofern Bejahung der Möglichkeit, aus den Schriften des Awesta Rückschlüsse vorzunehmen; vgl. 142), analysiert er in zwei Schritten die Herrschaftskonzeption der Perserkönige, wobei er angesichts der "nahezu unveränderte[n] Weitergabe" von textlichen und ikonographischen Motiven seit Darius I. "der Synchronie den Vorzug vor der Diachronie" gibt (141).

Nach den Inschriften Darius I. sahen die Achämeniden ihre Herrschaft als eine durch den einzigen Schöpfergott Ahuramazda verliehene an (143 ff.). Der Weltherrschaftscharakter ist dabei "ontologisch" mitgesetzt, so daß den Handlungen des Großkönigs letzte Gültigkeit eignet, weil sie der schöpfungsgegebenen Weltordnung (arta-) zu entsprechen suchen. Hierbei ist ein dualistisches Schema leitend: Der Sinn der Großkönige ist darauf gerichtet, gegen die ordnungsfeindlichen Mächte (drauga-) den Willen des Königs und seines Gottes durchzusetzen (153 ff.). So findet auch die Frage nach demjenigen Spezifikum der persischen Reichsidee, das den eigentlichen Sinn der "Reichsautorisation" erhellt, ihre Antwort in einer Schöpfungsgegebenheit: der Topographie der Völkerwelt, die jedem Volk seinen spezifischen regionalen und kulturellen "Ort" (gathu-) zuweist (149 ff.; 197ff.). Das "Gesetz" (da-ta-) des Königs hat dann die ständige Sorge für die Wiederherstellung und Bewahrung dieser um das Zentrum der Persis organisierten Völkerordnung zum Gegenstand (155). Hier stellt sich die wichtige Frage, ob dieses in den Quellen inhaltlich nicht genau faßbare "Gesetz" vorwiegend ein umfassender Ordnungsbegriff für das königliche Handeln gewesen ist oder konkreter auch in den durch die Autorisation zu "reichsrechtlichem" Status gekommenen Regelungen der Untertanenvölker bestanden hat (vgl. 202).4

Als zweiten Schritt schließt K. ikonographische Überlegungen zu den Reliefs der Palastanlage von Persepolis und der Grabfassaden der Könige an (159 ff.). Eingehende Betrachtung erfahren die Völkerprozession am Apadana (mit dem Schatzhausrelief), die Völkerthrone an den Eingängen von Tripylon und Hundertsäulensaal sowie das Völkerthrongestell an der Grabfassade des Dariusgrabes in Naqs-i Rustam. Hierzu bestehen aber auch methodische Anfragen. So werden etwa im Blick auf mögliche astrale Konnotationen der Palastreliefs bzw. den für die Grabfassaden angenommenen Jenseits-Charakter der Darstellung (verewigter König. getragen von den himmlischen Geistern [fravasi] der Reichsvölker) die Interpretationen vorwiegend mit nicht-ikonographischen Mitteln, meist durch Rückschlüsse aus dem Awesta, vorgenommen (187 ff; 193 ff.; 200 f.).

Hierin zeigt sich aber auch ein generelles Problem bei der Deutung achämenidischer Kunst; vgl. die in der Forschung umstrittenen Fragen nach der Identität des sog. "Mannes in der Flügelsonne" (Ahuramazda oder Königs-"Glanz" [xvarnah]?) bzw. nach den Funktionen der Palastanlage von Persepolis, die wohl weniger - wie Koch im Anschluß an Ghirshman u.a. annimmt (159) - eine kultisches Zentrum, sondern eher ein symbolischer Repräsentationsbau gewesen sein dürfte (so etwa H. Koch, "Es kündet Dareios der König ...", Mainz 1992, 78 ff.). Anzumerken ist auch, daß die einschlägige Studie von M. Cool Root, King and Kingship in Achaemenid Art, ActIr. 19, 1979, bei der Überarbeitung nicht ausführlich berücksichtigt wurde (vgl. 204, Anm. 112). Auch vermißt man einen Hinweis auf die wichtige neue Monographie zur persischen Königskonzeption von G. Ahn, Religiöse Herrscherlegitimation im achämenidischen Iran, ActIr. 31, 1992.

In Erweiterung seines Beitrags nimmt K. zum Schluß noch einen - wiederum auf einen Vortrag aus dem Jahr 1982 zurückgehenden - großen Abschnitt neu hinzu (206-307), der die "Auswirkungen auf die Provinz Jehud", d. h. das Esra-Nehemia-Problem, in historischer und literarischer Hinsicht behandelt. Er spricht sich darin für eine historische Auswertbarkeit des Artaxerxes-Firman in Esr 7 aus (210 ff.) und skizziert in Auseinandersetzung mit E. Blum die Hypothese eines mehrstufigen Wachstumsprozesses vom Esra-Gesetz hin zur späteren Endgestalt des Pentateuch, in der unterschiedliche Gesetzeswerke im Sinne eines Interessenausgleichs vereint worden sind (304 ff.).

Eine "Abschließende Überlegung" (308 ff.), die in mancher Hinsicht auch die Intentionen der beiden Beiträge des Bandes zusammenführt, betont die Strukturanalogien in Religion und Weltbild der Perserkönige und Israels, die eine viel einleuchtendere Erklärung für die politischen Vorgänge bieten, als es die mit modernen Kategorien von Politik und Recht operierenden Deutungen mancher Historiker nahelegen.

In seiner neuen Gestalt ist der durch erweiterte Literaturverzeichnisse und ausführliche Register hervorragend erschlossene Band wohl noch mehr als in der 1. Auflage ein unentbehrlicher Gesprächspartner für alle Historiker und Theologen, die sich mit den Fragen der Stellung der Perser in der Antike bzw. der Geschichte Israels in der Zeit des Zweiten Tempels beschäftigen. Die seinerzeit durch F. und Koch eröffneten und nun erneut bekräftigten Perspektiven werden die Forschung noch lange beschäftigen.

Fussnoten:

1 Vgl. H. G. Kippenberg, Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, 1991, 181 f., der sich für den Begriff "Reichssanktionierung" ausspricht (dagegen Frei, ZAR 1, 1995, 3, Anm. 4). Siehe grundsätzlicher die Anfragen bei J. Wiesehöfer, ZAR 1, 1995, 36 ff., der statt der Kennzeichnung der Vorgänge als "Reichsautorisation" eine Deutung als "Einzelfallgerechtigkeit" favorisiert.

2 Vgl. E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, 1990, 333 ff.;. R. G. Kratz, Translatio imperii, WMANT 63, 1991, 246 ff.; O. H. Steck, Der Abschluß der Prophetie im Alten Testament, BThSt 17, 1991, 13 ff.; F. Crüsemann, Die Tora, 1992, 387 ff.; R. Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit 2, GAT 8/2, 1992, 497 ff.

3 Für eine Zusammenstellung der Rezensionen vgl. 38, Anm. 1.

4 Vgl. zur ersten Möglichkeit J. Wiesehöfer, ZAR 1, 1995, 44, der, "zumindest in den nichtalttestamentlichen Texten und in Esra, keinen Hinweis darauf gegeben" sieht, "daß es so etwas wie ein ’persisches Reichsgesetz’ gegeben hat, in das auch die lokalen Normen - nun als Reichsnormen- aufgenommen waren." Zur zweiten Möglichkeit siehe R. G. Kratz, Translatio imperii, 254: "Soweit es die nichtiranischen Völker betrifft, wäre danach sogar zu erwägen, ob das verschollene ... persische Reichsgesetz ... letztlich überhaupt nichts anderes ist als eben das von persischen Verwaltungsinstanzen sanktionierte lokale Gesetz ...".