Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2020

Spalte:

749–751

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Rahner, Johanna, u. Thomas Söding [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kirche und Welt – ein notwendiger Dialog. Stimmen katholischer Theologie.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2019. 470 S. = Quaestiones disputatae, 300. Kart. EUR 52,00. ISBN 978-3-451-02300-2.

Rezensent:

Henning Theißen

Eine beeindruckende Phalanx katholischer Theologinnen und Theologen des D-A-CH-Raumes, die die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils als Weckruf nach vorn in eine plurale Welt und nicht zurück zur in sich geschlossenen Welt des 1. christlichen Jahrtausends verstehen, klärt in diesem Jubiläumsband der auf K. Rahner und H. Schlier zurückgehenden Quaestiones disputatae ihr Verhältnis zur Welt. Sechs Abschnitte behandeln entlang den gängigen Lehrkapiteln in je drei bis sechs meist kurzen Beiträ-gen das Ganze der Glaubens- und Morallehre: (1.) Gotteslehre, (2.) Christologie, (3.) Pneumatologie und Ekklesiologie, (4.) Anthropologie, (5.) Ethik, (6.) Eschatologie.
a) Brückenthemen. Ist das Konzert dieser »Stimmen katholi-scher Theologie» (Untertitel) ein »Dialog», wie der Titel des Bandes behauptet? Die Antwort ist Ja, wenn man Dialog in sokratischer Tradition als dialektische Erörterung versteht. Nicht wenige Beiträge widmen sich in diesem Sinne Fragestellungen, die einen Brückenschlag zwischen Kirche und Welt versprechen, weil sie Makrothemen Letzterer sind – zumindest aus theologischer Sicht. Vor allem die den Personen der Trinität zugeordneten ersten drei Abschnitte des Bandes erzeugen so einen ebenso regen wie dichten Austausch. Allerdings sind bei dieser Vorgehensweise die in Frage kommenden Brückenthemen wie Säkularisierung (in der Gotteslehre), Modernität (in der Pneumatologie/Ekklesiologie), Gewissen (in der Ethik) oder Gedächtnis (in der Eschatologie) einigermaßen vorhersehbar, und die gegebenen Antworten atmen eher den Geist der kritischen Bestandsaufnahme als den der Aufbruchsstimmung. Ich greife einiges heraus:
So wollen z. B. K. von Stosch und D. Ansorge in der Gotteslehre (1.) der Säkularisierung gewissermaßen zur Hervorhebung des Glaubenswagnisses mit einem bewussten »[O]ffenhalten» der Gottesfrage (45 ff. bzw. 79: »ursprüngliche Unbestimmtheit») begegnen, halten aber aus trinitäts- oder theodizee-theologischen Gründen an einem eher traditionellen Begriff von Gottes Personalität fest (53 f. bzw. 78). (2.) Die interreligiöse Herausforderung eines christologischen Absolutheitsanspruchs (nach Joh 14,6) soll nach < /span>R. Vorholt in den konziliar gewohnten Bahnen eines faktischen In­klusivismus (117 u. ö.) oder eines jüdisch-christlichen Hoffnungsuniversalismus (E. Dirscherl, 415–417, mit nur ganz beiläufigem Rekurs auf Nostra Aetate 4: 426 Anm. 39) bewältigt werden. Natürlich ist gegen all diese Positionierungen nichts einzuwenden; vielmehr erscheint der eher konventionelle Problemzugriff so­gar als Stärke, wenn er wie in F.-J. Bormanns fundamentalethischem Plädoyer für ein Gewissen, das sich nicht vorrangig als »Abweichung von der Norm» (354) inszeniert, offen vertreten wird. Es bleibt aber die Frage, wie gut auf diese Weise das den ganzen Band, besonders aber die Pneumatologie (3.) durchziehende, von Gaudium et Spes 4 (»Zeichen der Zeit») inspirierte Ansinnen realisiert werden kann, das Verhältnis von Kirche und Welt von der Welt her zu lesen. Der Beitrag von M. Seewald, der den Antimodernismus des Ersten Vatikanischen Konzils einer modernitätstheoretischen Re­konstruktion unterzieht, zeigt die hier bestehende Dialektik, ist doch der von ihm als »strategisch sensibel» (193) eingestufte Dezisionismus hinter dem Infallibilitätsdogma selbst bloß eine Kehrseite der Mo­dernität, die die Antimodernisten bekämpfen.
b) Reizthemen. Garantieren Brückenthemen wie die genannten noch nicht den erstrebten Dialog, so scheinen, selbst wenn der Begriff nicht Zwiegespräch meint, zu den »Stimmen katholischer Theologie» doch auch die Stimmen der Welt hinzutreten zu müssen. Nach meinem Lektüreeindruck kommen sie weniger in den genannten Brücken- als vielmehr in einer Reihe von Reizthemen zur Sprache, die etliche Autorinnen (tatsächlich überwiegend Frauen, obwohl von ihnen nur zehn der 29 Aufsätze stammen) auf die Tagesordnung katholischer Theologie setzen. Die Missbrauchsskandale sind ebenso darunter wie politische Utopien und die Her ausforderung von Post- und Transhumanismus, aber auch im engeren Sinne kircheninterne Reizthemen wie Fragen der kirchlichen Gendergerechtigkeit und der Sexualethik, der innerkirchlichen Gewaltenteilung und der Kirchenreform allgemein.
Es sind nach meinem Eindruck gerade diese innerkirchlichen Probleme, an denen die gesuchte Perspektivumkehr zum Denken von der Welt her greifbar wird. Wenn D. Sattler als einzige Dogmatikerin unter den Autoren und Autorinnen des christologischen Abschnitts von der Rechtfertigungslehre schnurstracks zum Problem der Frauenordination vorstößt (135) oder wenn I. Fischer der konziliaren Pastoral – seit Gaudium et Spes immerhin Schlüssel für das Kirche-Welt-Verhältnis – am Maßstab biblischer Beobachtungen zu den »Geschlechterkonzeptionen der Schöpfungstexte» (274) ein verheerendes Zeugnis in Sachen Gendergerechtigkeit und Demokratie (hierin sekundiert von J. Hahns kanonistischem Beitrag) ausstellt, kann man derart gewichtige und eindringliche Stimmen nicht überhören. Ihre Dringlichkeit steigt noch dadurch, dass einige weitere Beiträge fast schmerzhaft mit der Problemanzeige halt machen, so S. Goertz zur »hinterweltlerischen Moral» (362 ff.) der lehramtlichen Sexualethik oder G. Werners Einforderung von Intersektionalität als Theorieinstrument zur theologischen Erfassung systemischer Probleme der Missbrauchsskandale (304 ff.).
Natürlich ist es nicht so, dass die katholische Theologie in ihrem angestammten Reservoir keine Mittel zur Bearbeitung der verschiedensten Probleme hätte. Die beiden Herausgebenden führen vielmehr mit etwas umfangreicheren Texten zum heilsuniversalis-tischen »Wirken des Geistes» (161 ff.) im Neuen Tes-tament (Th. Söding) bzw. zu K. Rahners schon klassisch gewordener Lehre vom »übernatürlichen Existenzial» (207, Orig. kursiv) die Fähigkeit katholischer Theologie und Kirche zu einer Öffnung hin zur Welt ( J. Rahner, 216 ff. mit den Themen Pentekostalismus, Inkulturation und Aggiornamento) eindrucksvoll vor Augen, und G. Essen ergänzt diesen Eindruck noch mit einer Reinterpretation der Lehre von Natur und Gnade, die den Naturbegriff ganz auf die moderne Freiheit der Person hin akzentuiert (387 f.). Doch wenn ich es recht überblicke, tritt niemand in diesem Band mit dem Anspruch einer Lösung auf, und das scheint mir ebenso eine Stärke zu sein wie das schon erwähnte Bekenntnis zur Tradition, wo es in diesem Band (in meist moderater Form) artikuliert wird. Freilich bleibt damit auch das Grundproblem, das I. Fischer zu Beginn ihres Beitrags notiert, bestehen: »Kirche versteht sich in einem derartigen Gegensatz zur Welt (von heute), dass sie notwendigerweise mit ihr in Dialog treten muss» (269). Mein Favorit im Band ist angesichts dieser Problematik der Patristiker A. Merkt, der die politische und soziale Symbolqualität des Kreuzes Jesu anhand der Predigt zur Demut, die Ambrosius von Mailand am Sarge des Kaisers Theodosius hielt, herausarbeitet (124) und für den christlich-islamischen Dialog fruchtbar zu machen vermag (127 f.). Es ist derart unverbrauchte Theologie, die nach Auffassung des Rezensenten das Verhältnis von Kirche und Welt neu beleben kann.