Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2020

Spalte:

747–749

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Noble, Ivana

Titel/Untertitel:

Essays in Ecumenical Theology I. Aims, Methods, Themes, and Contexts.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2018. VIII, 286 S. = Studies in Reformed Theology, 35. Kart. EUR 55,00. ISBN 978-90-04-38108-7.

Rezensent:

Johannes Oeldemann

Der von Ivana Noble, ordinierte Pfarrerin der Hussitischen Kirche und Professorin für Ökumenische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Karls-Universität zu Prag, vorgelegte Sammelband dokumentiert die Schwerpunkte ihrer bisherigen wissenschaftlichen Arbeit. N. übernahm als Mitbegründerin und erste Direktorin des Instituts für ökumenische Studien in Prag (1995–2001) früh Verantwortung im ökumenischen Bereich, sammelte als Dozentin am Internationalen Baptistischen Theologischen Seminar in Prag (2004–2014) wertvolle Lehrerfahrungen und vermochte als Professorin für Ökumenische Theologie an der Karls-Universität (ab 2014) regelmäßig Drittmittel für internationale Forschungsprojekte einzuwerben. Die Breite ihrer theologischen Interessen spiegelt sich in diesem Sammelband wider, der größtenteils auf verstreut publizierten Beiträgen aus den Jahren 1995–2017 basiert, die zum Teil unverändert, zum Teil in überarbeiteter Fassung präsentiert werden, aber auch einige Kapitel enthält, die erstmals veröffentlicht werden.
Nach einer ausführlichen Einleitung (1–11) geht Kapitel 1 der Frage »Warum ökumenische Theologie?« (12–24) nach. Wie jedes Kapitel des Buches ist auch dieses mit einer kurzen Einleitung versehen, die den Kontext des Beitrags erläutert und ggf. auf Aktualisierungen verweist, was sehr hilfreich für die Einordnung ist. Kapitel 2 ist den Methoden ökumenischer Theologie gewidmet und präsentiert die hermeneutische Methode (Gadamer/Ricœur), die phänomenologische Methode (Husserl) und die epistemologische Methode (Wittgenstein) als »Drei komplementäre Methoden« (25–35). Kapitel 3 befasst sich mit »Apophatischen Aspekten des theologischen Gesprächs« (36–52). Dabei zeigt N. auf, wie der vor allem in der östlichen Theologie beheimatete Denkansatz von westlichen Theologen wie J.-L. Marion und L.-M. Chauvet aufgegriffen und in ihren theologischen Reflexionen fruchtbar gemacht wurde. Kapitel 4 widmet sich unter der Überschrift »Was ist normativ und warum?« (53–67) dem Verständnis von Tradition und unterstreicht die Notwendigkeit der Hermeneutik. Im Fokus stehen dabei Werke namhafter orthodoxer Theologen wie Georges Florovsky, Alexander Schmemann, John Meyendorff und Maria Skobtsova. Im (ge­meinsam mit ihrem Mann Tim N. verfassten) Kapitel 5, das unter der Überschrift »Eine nicht-synthetische Dialektik« (68–79) steht, setzt sie sich mit dem Konzept der kommunikativen Theologie auseinander und plädiert für einen Wandel von einem essentialis-tischen Verständnis der Tradition, wie es sich in Florovskys Plä-doyer für eine »neo-patristische Synthese« findet, zu einem kommunikativen Verständnis von Tradition, für das sie den trinitaris chen Begriff der Perichorese fruchtbar zu machen versucht. Das umfangreiche Kapitel 6 bildet den Abschluss der Beiträge zur orthodoxen Theologie im vorliegenden Band. N. präsentiert darin »Drei orthodoxe Visionen der Ökumene« (80–104), die jeweils unter Rückbezug auf und in kritischer Auseinandersetzung mit Vladimir Solovyov entwickelt wurden. Es handelt sich um die russischen Exiltheologen Nikolai Berdyaev, Sergei Bulgakov und Vladimir Lossky, deren ökumenische Grundansätze N. hervorragend zu­sammenfasst.
Ab Kapitel 7 wendet sich das Buch dem tschechischen Kontext zu. Den Auftakt bildet ein neu verfasster Beitrag über »Die Bedeutung von Jan Hus in der ökumenischen Diskussion« (105–127), in dem N. verschiedene frühere Artikel zusammenfasst. Aus ihrer Sicht ist Hus ein »Beispiel, wie ökumenische Theologie mit der Vergangenheit arbeitet - wohl wissend, dass es sie nicht ändern, aber dazu beitragen kann, die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart zu verändern« (105). In Kapitel 8 befasst sich N. unter der Überschrift »Vom Schisma zum Teilen der Gaben Gottes jenseits institutioneller Grenzen« (128–149) mit den Beziehungen zwischen der römisch-katholischen und der tschechoslowakischen Hussitischen Kirche. Nach einer kurzen Skizze der Gründe, die zur Entstehung der Hussitischen Kirche im Jahr 1920 geführt haben, analysiert N. die veränderte Einstellung der katholischen Kirche zur Moderne seit dem Vaticanum II. Die beiden folgenden Kapitel setzen sich mit der Entwicklung der tschechischen Theologie im 20. Jh. auseinander. Kapitel 9 (»Gedächtnis und Erinnerung im post-kommunistischen Kontext«, 150–168) geht der Frage nach, wie sich tschechische Theologen mit den »schwierigen Erinnerungen« (151) aus kommunistischer Zeit auseinandergesetzt haben. Es zeigt sich, dass die Verquickung mit dem kommunistischen Regime teils heruntergespielt, teils verneint wurde oder aber versucht wird, aus dem Status des Opfers eine positive Identität zu entwickeln. Kapitel 10 (»Aufarbeitung der totalitären Erfahrung«, 169–181) vertieft diese Reflexionen, indem es der Frage nachgeht, wie die Erfahrung des Totalitarismus die Theologie in Mittel- und Osteuropa geprägt hat. Auf den breiteren europäischen Kontext geht N. in Kapitel 11 (»Religiöse Zugehörigkeit in einem sich wandelnden Europa«, 182–202) ein, das auf einem Vortrag basiert, den sie als Präsidentin der »Societas Oecumenica« 2008 in Leuven gehalten hat. Nach einer kurzen Skizze der Wandlungsprozesse geht sie unter Rückbezug auf Werke Schmemanns und Ricœurs auf die Bedeutung »Symbolischer Mediation« für das Verständnis von Religiosität ein (190–194), bevor sie abschließend verschiedene Facetten religiöser Zugehörigkeit in der Post-Moderne beschreibt. Das abschließende Kapitel 12 gibt unter der Überschrift »Auf dem Weg zur Anerkennung« (203–217) einen interessanten Einblick in den biographischen Kontext ihrer Theologie (getauft und ordiniert in der Hussitischen Kirche, verheiratet mit einem römisch-katholischen Christen, als Lehrende tätig sowohl am baptistischen Seminar als auch an einer pro-testantischen Fakultät). N. zeigt sich überzeugt: »Es ist nicht etwa so, dass unsere christliche Welt eine post-konfessionelle würde, sondern sie ist pluralistischer im Blick auf die Beziehung zu Konfessionen. Und dies betrifft nicht nur das persönliche Leben vieler Christen, sondern auch ihre ekklesiale Realität« (215). Als Appendix ist ein gemeinsam mit ihrem Nachfolger am Institut für ökume-nische Studien in Prag, Martin Va ňáč, verfasster Beitrag über »Ökumenische Theologie an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert« (219–243) angefügt, der einen Überblick über wichtige Literatur zur ökumenischen Theologie in deutscher, englischer und tschechischer Sprache gibt. Abgerundet wird der Sammelband durch eine Bibliographie (244–275) und einen hilfreichen Index (276–286).
Der Sammelband verdeutlicht, wie ökumenische Theologie, die über die Grenzen der eigenen Konfession hinausschaut, zur Er-weiterung des eigenen Horizonts beiträgt. N. setzt sich besonders intensiv mit den Denkbewegungen zeitgenössischer orthodoxer und katholischer Theologen auseinander. Dabei fällt auf, dass sie sich wenig mit der lutherischen und reformierten Theologie be­fasst hat. Dennoch belegt der Sammelband auf eindrückliche Weise, wie die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Denkansätzen die eigene Theologie befruchten kann. N.s Essays bieten daher einen inspirierenden Einblick in Ziele, Methoden, Themen und Kontexte ökumenischer Theologie.