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Ausgabe:

Juli/August/2020

Spalte:

716–717

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Leonhardt, Rochus

Titel/Untertitel:

Ethik.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2019. 664 S. = Lehrwerk Evangelische Theologie, 6. Geb. EUR 54,00. ISBN 978-3-374-05486-2.

Rezensent:

Nils Ole Oermann

Das von dem Leipziger Systematiker Rochus Leonhardt vorgelegte Lehrbuch für das Fach Ethik als theologische Disziplin bildet nach dem 2018 erschienenen Band »Dogmatik« (LEvTh 5) von Ulrich Körtner den dritten Beitrag zum Fach Systematische Theologie in der von der Evangelischen Verlagsanstalt neu aufgesetzten Lehrbuchreihe.
Nach einer Begriffsklärung und Etymologie der Ethik als christlicher Ethik (2–93) befasst sich L. zunächst ausführlich mit den historischen Wurzeln des Faches. Umfangreich werden für die Studierenden dann die patristischen, reformatorischen, aufgeklärten und neueren Wurzeln des Faches kursorisch eingeführt. Während die deutschsprachige evangelische Ethik nach 1850 namentlich anhand ihrer Vertreter dargestellt wird, erfolgen die »Hin-weise zur römisch-katholischen Ethik« als vergleichsweise kurzer Block (270–279).
Anschließend folgen dann in einem dritten und letzten Kapi-tel (280–577) »die Themenfelder der (evangelisch-theologischen) Ethik« von der Schöpfungs- bzw. Bioethik und in einem Unter-kapitel dann die klassischen, materialen Themenfelder von Wirtschaftsethik bis hin zur politischen Philosophie. Damit wird das Buch dem Anspruch gerecht, sämtliche Prüfungsfelder des Faches im gebotenen Umfang behandelt zu haben.
Besonders gelungen ist dabei die Einführung in die materiale Ethik über eine Diskussion der Moralfähigkeit des Menschen und den ihm vermeintlich eigenen, freien Willens, das Verhältnis seiner Würde zum Recht und den Gewissensbegriff mit einem vertieften Exkurs zum Begriff der Lüge (424–442). Denn erst über diese grundsätzliche Einführung der Voraussetzungen der materialen Ethiken und ihrer Relevanz für die Diskussion um Naturrecht, den Handlungsbegriff und die Sprache des Menschen werden viele der konkreten ethischen Problemdiskussionen und Dilemmata für die Nutzer dieses Lehrbuches fassbar und damit erfassbar.
L. liefert am Ende exakt und überzeugend wie extrem fleißig das, was er verspricht: ein solides Lehrbuch. Und das ist wahrlich nicht wenig, wenn man die anderen Angebote auf diesem ausufernden Markt betrachtet: Die enorme Stärke des Buches ist, dass es einordnet und nicht nur darstellt, erklärt und nicht nur Revue passieren lässt. Denn dieses verlangt vom Autor eine vertiefte Kenntnis und höchst umfängliche Nutzung der vorhandenen Literatur, ohne dabei den Umfang eines Lehrbuches zu sprengen. Dass dabei einige »Experten« in den jeweiligen ethischen Teilbereichen der Meinung sein werden, dass ihr Bereich zu sehr an der Oberfläche behandelt wird, liegt in der Natur der Sache und innerhalb des allgemeinen Betriebsrisikos solcher Projekte. Problematisch wird das nur dann, wenn einfach komplette Referenzbereiche ausgeklammert werden, wie etwa eine vertiefte Auseinandersetzung mit der englischsprachigen Literatur, die doch gerade in der Ethik deutlich umfangreicher ist als die deutschsprachige. So findet etwa in der angelsächsischen Literatur ein Dialog von Theologie und Ökonomie sehr wohl und ausgiebig statt – nur wird dies in der Tat selten ein Thema für ein theologisches Prüfungsgespräch im Fach Ethik an einer deutschen Universität. Insofern sind solche blind spots für die Adressaten des Lehrbuches wahrscheinlich verschmerzbar.
Insgesamt ist L. zu diesem Opus nur zu gratulieren, weil es in jedem Fall das Ziel voll erreicht: Ethik als pointiert theologische Ethik in ihrer ganzen Breite abzubilden. Und das schafft in der Regel nur, wer sein Fach wirklich beherrscht und in der Lage ist, Ethik als Begleit- und nicht Bescheidwissenschaft in ihren materialen Bezügen zu ihren Bezugsdisziplinen wie Medizin, Recht und Ökonomie darstellen zu können.