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Ausgabe:

Juli/August/2020

Spalte:

703–705

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Avis, Paul [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Oxford Handbook of Ecclesiology.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2018. XVII, 649 S. = Oxford Handbooks. Geb. US$ 125,00. ISBN 978-0-199-64583-1.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Der Herausgeber Paul Avis schreibt in seinem Vorwort, dass dieses Handbuch umfassend über die Lehre von der Kirche informieren will. Denn: »Ecclesiology is a vibrant discipline within the spectrum of Christian theology.« (V) Es geht also nicht nur um einige konfessionelle Ekklesiologien oder um besondere kulturelle Kontexte, in denen Kirchen existieren, sondern der Begriff »Christian theology« wird umfassend verstanden und mit entsprechenden Beiträgen dargestellt. Die großen wie die kleineren Konfessionen werden ebenso bedacht wie die Kulturen aller Kontinente. Hinzu kommen ekklesiologische Entwürfe einer beachtlichen Zahl von Theologen des 20. und 21. Jh.s. Denn – so hebt A. hervor – in dieser Disziplin geht es um das Selbstverständnis, um die Identität der Kirche; so steht die Ekklesiologie im Mittelpunkt von theologischer Forschung, Reflexion und Auseinandersetzung. Ekklesiologie ist auch das Herz der ökumenischen Bewegung, und es zeigt sich, dass sie die vertracktesten Differenzen in sich trägt, die es noch zu lösen gilt. Darum stellt die Ekklesiologie die vielfältigen Selbstverständnisse der Kirchen in Bezug auf zahlreiche Forschungsbereiche dar – »including the origins, structures of authority and governance, doctrine, ministry and sacraments, unity and diversity, and mis-sion of the church, not forgetting its relation to the state, to civil society, and to the culture« (V). Das Handbuch erschließt die einschlägigen Bibeltexte, die historische Entwicklung der Ekklesiologie und die gegenwärtigen Lehren von der Kirche.
Das Handbuch umfasst vier Teile. Die Beiträge des ersten Teils befassen sich mit den Schriften des Alten Testaments (R. W. L. Moberly), mit den Ekklesiologien der Synoptiker und der Apostelgeschichte (L. C. A. Alexander), mit den johanneischen (A. T. Lincoln), mit den paulinischen (E. Adams), abschließend mit den nichtpaulinischen Schriften (G. O’Collins SJ). Der zweite Teil beinhaltet die frühe westliche Ekklesiologie (M. Edwards), die östliche orthodoxe Tradition (A. Louth), die mittelalterliche Tradition (N. Tanner SJ), die Reformatoren (D. Wendebourg), die anglikanische Ekklesiologie (P. Avis), die römisch-katholische Ekklesiologie vom Trienter Konzil über das Zweite Vatikanische Konzil bis heute (O. Rush) sowie die Konzepte der Baptisten (P. S. Fiddes), des Methodismus (D. M. Chapman) und der pentecostalen Kirchen (A. Yong). Im dritten Teil werden die Ekklesiologien von wichtigen und für die Gegenwart relevanten Theologen vorgestellt: Karl Barth (K. J. Bender), Yves Congar (G. Flynn), Henri de Lubac (G. Flynn), Karl Rahner (R. Lennan), Joseph Ratzinger (Th. Dieter), John Zizioulas (P. McPartlan), Wolfhart Pannenberg (F. Nüssel), Rowan Williams, der zunächst Theologieprofessor in Oxford, dann Erzbischof von Can terbury bis 2012 war und seither wieder Theologieprofessor in Oxford ist (M. Higton). Der vierte und letzte Teil beschreibt gegenwärtige Strömungen der Ekklesiologie, die durch den Feminismus (E. Graham), die Soziologie (N. Ormerod), die Befreiungstheologien Lateinamerikas (M. A. Gonzalez), die asiatischen (S. Chan) und afrikanischen Kontexte (S. Ch. Ilo) inspiriert sind.
Allen Beiträgen geht ein einleitendes Kapitel des Herausgebers voraus. Er gibt darin einen Überblick über die theologische Disziplin Ekklesiologie mitsamt ihren Fragen und Methoden. »Ecclesi-ology may be defined as the discipline that is concerned with comparative, critical, and constructive reflection on the dominant paradigms of the identity of the church.« (3) Dabei nimmt er nicht nur das Selbstverständnis der Kirchen aufgrund von Schrift und Tradition wahr, sondern auch die Außensicht auf die Kirchen, weil es in Gesellschaft und Kultur ein Bild von der Kirche bzw. von den Kirchen gibt. Indirekt zeigt er damit ein theologisches Hauptproblem der Ekklesiologie an, da er immer wieder hervorhebt, dass es nur die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche gibt. »Chris-tian belief is ›the faith of the Church‹.« (3) Aber genau darin spiegeln sich die Binnen- und die Außenperspektive; Relevanz erhält diese Einsicht, wenn es um Erneuerung und Reform der Kirche(n) geht. Die Kirche geht schon immer mit der Außenperspektive um, da für sie sowohl Apologetik als auch Mission bzw. Sendung unabdingbare Bestandteile sind. Relevanz erhält sie auch, wenn die Kirche als Subjekt sich selbst als Objekt erneuert und reformiert. Insofern sind für die Ekklesiologie immer Apologetik, Mission bzw. Sendung und Reform wichtig.
A. hält fest, dass die Quellen für die Ekklesiologie zuerst in der Bibel, dann aber auch in der Tradition und in dem gegenwärtigen Leben der Kirche(n) zu finden sind. Doch die Ekklesiologie kann zu einem Problem werden, wenn die Kirche sagt, dass sie ein Geschöpf Gottes ist. Doch wenn dies ihr Selbstverständnis ist, stellt sich die Frage, warum es dann so viele Kirchen gibt. Dies ist mit der Kontingenz des Kirchen-Lebens zu erklären, die Wandel hervorbringt und der Wandel wiederum Differenzen in der einen Kirche.
So steht mittlerweile eine ökumenische Ekklesiologie auf der Tagesordnung, weil die Zeit der strikt konfessionellen Ekklesiologien vorbei ist. Denn die Kirchen haben untereinander Kontakte, und in der Öffentlichkeit wird nicht nur eine (konfessionelle) Kirche als Kirche wahrgenommen. Die ökumenische Bewegung hat viele Entwicklungen im Hinblick auf eine Ekklesiologie erreicht und auf den Weg gebracht. Sehr fruchtbar ist das Vorgehen des Receptive Ecumenism. In diesem ekklesiologischen Konzept geht es nicht darum, die anderen Konfessionen über die eigene Richtigkeit zu belehren, sondern selbst von den anderen zu lernen.
Ob es auch eine feministische Ekklesiologie gibt, hält A. für eine offene Frage, zumal sie ganz verschieden beschrieben wird, weil auch feministische Theologinnen einer bestimmten Konfession angehören und überdies sich die feministische Frage in jeder Konfession anders darstellt.
Was nach A. allerdings dringend nötig ist für die Zukunft, ist eine realistische Ekklesiologie. Nicht neue Konzepte oder immer wiederkehrende Aufrufe zur Einheit sind der Weg in die Zukunft, sondern »a more realistic, modest, and somewhat chastened ecclesiology seems more appropriate. This will be an ecclesiology that is undertaken in a more tentative, exploratory, realistic, and even empirical way.« (16) Dies kommt in der praktischen Ekklesiologie zum Tragen, da dort ein ideologiekritisches Element vorgetragen und auch Wert gelegt wird auf die ethische Seite des Christentums. Ekklesiologisch ist die Kirche schon allein deshalb in ihren pastoralen Tätigkeitsfeldern zu bedenken, weil man damit eine realis-tische Ekklesiologie in den Blick nimmt. Die praktische Disziplin der Theologie macht immer wieder deutlich, dass die Kirche Praxis ist. Darum bleiben auch kulturelle Prägungen, auch aus der Ge­ schichte, der Sprache, die der Machtverhältnisse etc., im Blick. Gegen Ende seiner Einführung nennt A. einige Themen, mit denen die Kirche(n) und ebenso die Ekklesiologien immer wieder ringen: Hat Jesus die Kirche gegründet? – Die unvollkommene Kirche. – Die Einheit der Kirche und ihre Vielfalt. – Die lokale und universale Kirche. Und gegen Ende seiner Einführung gibt er zu bedenken, dass für Theologen wie Ekklesiologen letztlich die Liebe zur Kirche leitend für ihr Tun ist. Diese Liebe bleibt grundlegend trotz der vielen Defizite, die die Kirche auch aufweist. Deshalb haben, so A., manche Theologen und Ekklesiologen eine Hass-Liebe zur Kirche entwickelt, insbesondere dann, wenn sie sich von ihr nicht verstanden fühlten und enttäuscht sind. Das gilt es – auch für die Geschichte der Kirche – aufzuarbeiten. »Then the work of ecclesi-ology becomes not a chore, but a joy und privilege – we may say a calling, a vocation.« (26)