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Ausgabe:

Juli/August/2020

Spalte:

671–673

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Diederich, Georg M.

Titel/Untertitel:

Chronik der katholischen Kirche in Mecklenburg 1961 bis 1990.

Verlag:

Schwerin: Heinrich-Theissing-Institut (Verlag) 2018. 944 S. m. zahlr. Abb. u. e. Beiheft (31 S.). Geb. EUR 24,60. ISBN 978-3-9814985-4-7.

Rezensent:

Hermann Michael Niemann

Die lebendige Darstellung dokumentiert aus zahllosen Textquellen, bietet Statistiken, Landkarten und Fotos. Konflikte der katholischen Kirche mit dem »neo-absolutistischen Regime« (Rudolf Mau) der DDR sind heute weitgehend vergessen, umso wichtiger, sie festzuhalten.
Kapitel 1 handelt von Folgen des Mauerbaus für die katholische Kirche. Die Kirche verteidigte Bauern, die mit brutalem Druck in »Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften« gezwungen wurden. Es geht um Wiederaufbau von Kirchen und innerkirchliche Administration, wachsende Behinderung der Kirche durch das DDR-Regime. Die DDR-Propaganda behauptete, Bischof Schräder sei für den Frieden (was stimmte) und habe empfohlen, zur Wahl zu gehen (eine Lüge). Das MfS registrierte, welche Geistlichen nicht an Wahlen teilnahmen. Beschrieben werden die Bemühung der Bischöfe, einen Freiraum zur religiösen Erziehung der Kinder zu bewahren, und die Anklage gegen Weihbischof Schräder wegen angeblicher Beihilfe zur »Republikflucht«, Kinder- und Jugendseelsorge und deren Behinderung.
Kapitel 2 geht es um die Zeit des 2. Vatikanischen Konzils, an dem Bischof Schräder teilnahm, Zitate aus seinem Konzilstagebuch und Berichte über die Rezeption des Konzils. Auseinandersetzungen mit dem Staat gingen weiter, u. a. wenn Katholiken gegen Schwangerschaftsabbrüche opponierten, der Staat die Jugendarbeit behinderte und mit Spitzeln die Rostocker Katholische Studentengemeinde unterwanderte. Kapitel 3 heißt Akteure und Strukturen 1961 bis 1970 und beschäftigt sich mit der Rolle von Frauen im kirchlichen Dienst und dem neuen Dienst von Diakonatshelfern, mit Orden, Schwestern in Krankenhäusern und Kindereinrichtungen, der Priesterausbildung, der Gründung des Priesterrates. Kapitel 4 (Die letzten Jahre der Ära Schräder) beschreibt den Aufbau des »Bischöflichen Kommissariates Schwerin«, das sich nach dem Abgeschnittensein von Osnabrück 1961 verselbständigen musste. In diese Zeit fallen die neue Verfassung der DDR 1968, der Überfall des Warschauer Pakts auf die ČSSR, die Enzyklika »Humanae vitae«, das Drängen der DDR auf Errichtung neuer Bistümer, um die Verbindung mit den traditionellen zu kappen. Beschrieben werden dramatische Umstände der Zerstörung der Rostocker Christuskirche am 12.8.1971, der SED ein Dorn im Auge, wenn sonntags ca. 2000 Christen in die zentral gelegene Kirche strömten.
Kapitel 5 (Auf dem Weg zum Bischöflichen Amt 1970 bis 1973) widmet sich der Aufbau- und Reformarbeit des neuen Bischofs Theissing für Gemeinden, Caritas-Arbeit, Dekanatsstrukturen und Aufbau einer Gemeinde in den großen Neubaugebieten in Ros­tocks Norden sowie dem Neubau der Rostocker Christuskirche. Es ist kaum bekannt, dass die neue Christuskirche mit Hilfe von D-Mark gebaut wurde. Dies gab den Anstoß, dass seit 1972 über den »Bereich kommerzielle Koordinierung« beim Ministerium für Außen- und Innerdeutschen Handel die DDR aus Devisenmangel zuließ, dass katholische und evangelische kirchliche Bauten errichtet wurden. So wurde die Christuskirche »quasi zur ›Mutterkirche‹ aller Kirchenneubauten in der DDR« (460).
Kapitel 6 behandelt Kontinuität und Wandel 1970 bis 1980. Die DDR drängte auf Trennung von den Bistümern in Westdeutschland. Dem suchte man Gegenforderungen entgegenzusetzen. Es kam zu größerer Selbständigkeit des Schweriner »Bischöflichen Kommissariats« und der Aufwertung von Bischof Theissing zum »Apostolischen Administrator in Schwerin«. Thema ist auch die Dresdner Pastoralsynode. In deren Vorfeld versuchte die SED, durch ein lanciertes Papier, zu dessen Unterzeichnung katholische Laien gedrängt wurden, im Sinne der »DDR-Friedenspolitik« Druck von der Basis auf den Klerus auszuüben. Berichtet wird über die Einführung »Ständiger Diakone« in Mecklenburg, die das 2. Vatikanum ermöglichte.
Von Staat-Kirche-Konflikten ist Kapitel 7 er­füllt. Den Start setzt ein aggressives Referat des Staatssekretärs für Kirchenfragen, H. Seigewasser, der die »politisch-reaktionäre« ka­tholische Kirche und ihre »ideologische Aggressivität« be­schreibt. Was Seigewasser als Mittel vorschlägt, ist mit dem bei der Stasi beliebten Ausdruck der »Zersetzung« angedeutet. Auch das Schweigen der Kirche zu »Grundfragen unserer Zeit« (im Sinne der SED!) müsse »gebrochen« werden. Alle Geistlichen sollten »eingeschätzt«, katholische Laien-Persönlichkeiten »gewonnen« werden, die als »Ge­sprächspartner« (Spitzel!) für Geistliche geeignet seien. Immer wieder spielt die Forderung des Staates nach eigenen DDR-Bistümern eine Rolle. Rom schien zugeneigt, die Bischöfe vor Ort zum Teil eher zurückhaltend. Dass auf evangelischer Seite der »Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR« gegründet wurde, erhöhte den Druck. »Aposto-lische Administraturen« schienen ein Kompromiss. Gegenüber Ge­spräch und Ergebnissen zwischen E. Honecker und dem evangelischen Kirchenbund am 6.3.1978 blieb der katholische Klerus skeptisch. Streit entwickelte sich, als Bischof Theissing den ab 1.9.1978 eingeführten Wehrkundeunterricht scharf kritisierte. Mit Papst Johannes Paul II. bemerkte die DDR-Führung, dass sich die Haltung im Vatikan gegenüber der DDR nachteilig entwickelte. Die Konflikte um freie Religionsausübung auf Gemeindeebene nahmen zu. Behinderungen ergaben sich aus einer »Veranstaltungsverordnung«. Sogenannte »Herrgottsstunden« für Kinder wurden untersagt, es handele sich um illegale »Kindergärten«. Dokumentiert wird Widerstand auf Gemeindeebene, wenn es Streit um Gottesdienstformen oder die atheistische Jugendweihe gab. Bischöfe und Kardinal Bengsch protestierten gegen einen gestiegenen »Grad der Einmischung« in kirchliches Leben und »Einschränkung der kirchlichen Lehrtätigkeit«, gegen Bedrängnis christlicher Schüler, die bei Kirchenbesuch »in zehn Minuten von der Schule verwiesen« werden könnten; Christen seien »Klassenfeinde«. Be­hinderung von Wallfahrten und Seelsorge in Altenheimen, kleinliche Reglementierung kirchlicher Veranstaltungen steigerten sich Ende der 70er Jahre. Probleme bereiteten die Neuregelung der Schwangerschaftsunterbrechung (1972) und ein Ju­gendgesetz, das weltanschauliche Prägung im Sinne der sozialistischen Staatsdoktrin dekretierte. Die Eingabe der Bischöfe an die Regierung blieb unbeantwortet. Berichtet wird über den Hirtenbrief zur christlichen Erziehung (1974): Nach Kritik am Vorgehen des Staates bei der Jugendweihe formulieren die Bischöfe Schwerpunkte christlicher Erziehung mit einem Kern auf Gewissensbildung. Die SED rea-gierte empört, wollte die Bischöfe einzeln »bearbeiten«, behauptete, man wolle sich keine Auseinanderset zung aufdrängen lassen, und beließ es bei einem Gespräch am 6.12.1974 ohne Annäherung.
Kapitel 8 prägt u. a. die Frage, ob es ein Bistum Schwerin geben solle. Es geht um Kirchenbauten in Schwerin und Rostock, um Bischofssitz und Verwaltungszentrum in Schwerin-Lankow. Be­merkenswert: die Ernennung des Neubrandenburger Pfarrers Norbert Werbs zum Weihbischof, die erste urkundlich nachweisbare Bischofsweihe in Mecklenburg seit dem 9.3.1483. Kapitel 9 heißt Zeitenwende: Es geht um die Kirche im Visier des MfS. Fünf Fälle von »Informellen Mitarbeitern«, also Spitzeln, werden vorgeführt. Das Berichtete ist manchmal banal. Aber selbst Banalitäten, die »IM« später als harmlos bezeichnen, ergeben Profile, die Bespitzelten gefährlich werden konnten. Es gelang dem MfS, ein IM-Ehepaar im Bischöflichen Amt zu platzieren. Auch Opferakten der Bespitzelten kommen zur Sprache. Es gibt Fälle, wo Anwerbung abgelehnt wurde. Das Kapitel berichtet über das Niels-Stensen-Jahr 1986 und Stensens Seligsprechung 1988, über das Ka­tholikentreffen in Dresden und vom Übergang von Bischof Theissing zu Bischof Theodor Hubrich. Von Katholiken in der Friedlichen Revolution wird berichtet. Am 3.1.1990 forderte der Priesterrat eine neue Bildungspolitik und Entfernung der SED-gesteuerten Organisationen aus dem Bildungswesen. Kapitel 10 widmet sich ab 1990 der Frage für die mecklenburgische katholische Kirche: Osnabrück oder Selbständigkeit? Der Weg der katholischen Kirche Mecklenburgs führte 1994 in das neue Erzbistum Hamburg.
Am Ende stehen Übersichten, Quellen-, Literatur-, Abkürzungsverzeichnis und ein beigelegtes Registerheft.