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Ausgabe:

Juli/August/2020

Spalte:

646–648

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ware, James P.

Titel/Untertitel:

Paul’s Theology in Context. Creation, Incarnation, Covenant, and Kingdom.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2019. 264 S. Kart. US$ 30,00. ISBN 978-0-8028-7678-2.

Rezensent:

Robert Vorholt

James P. Ware wendet sich einem breiteren, an Paulus und seiner theologischen Gedankenwelt interessierten Publikum zu. Sein Buch erhebt nicht den Anspruch, eine vollständige Zusammenschau der paulinischen Theologie zu offerieren, und will keine Kommentierung einzelner Paulusbriefe vornehmen. Stattdessen geht es um eine grundlegende Orientierung über die Grundlinien.
Das erste Kapitel (7–23) widmet sich der paulinischen Schöpfungstheologie. Es zeigt, dass die Meditation der Schöpferkraft Gottes die eigentliche Grundlage des Denkens des Paulus war und dass die Anerkennung des Schöpfers und seiner guten Schöpfung zentrale Voraussetzung zum Nachvollzug der paulinischen Theologie ist.
Das zweite Kapitel (24–38) bespricht »die gute Nachricht des Sündenfalls«. Anders als die meisten Denker seiner Zeit reflektierte Paulus nach W. die Existenz des Bösen in der Welt. Das Leiden der Menschen war für ihn nicht nur ein bloßes Theorem, sondern eigene Erfahrungswirklichkeit. Doch wenn für Paulus der Kosmos die gute Schöpfung eines guten Schöpfers ist, was ist dann der Ur­sprung des Bösen, des Leids, des Leidens und des Todes? W. zeichnet die erstaunliche Antwort des Apostels nach, indem er die paulinische Genesisexegese als »gute Nachricht vom Sündenfall« theologisch gewichtet.
Das dritte Kapitel (43–60) umreißt in knappen Zügen den exegetischen Forschungskonsens zu den grundlegenden Paradigmen paulinischer Christologie und Kapitel 4 (62–75) fokussiert die Inkarnationstheologie des Paulus als Basis seiner Christologie.
Das fünfte Kapitel (76–90) hält Ausschau nach einem »Epizentrum« der paulinischen Theologie und profiliert die Rede von der »Teilhabe«. Es handle sich um eine Terminologie, die geeignet sei, zum Ausdruck zu bringen, dass nach Paulus alle Glaubenden durch den Glauben an Jesus Christus eine transzendente Vereinigung mit Gott eingehen und so zu »Tempeln des Heiligen Geistes« werden.
Im sechsten Kapitel (95–110) wendet sich die Studie der paulinischen Gesetzestheologie zu und wählt einen recht eigenständigen Weg der Deutung. Zunächst unternimmt W. eine theologische Problemanalyse und versucht zu zeigen, dass die in der Vergangenheit mitunter hochemotional geführte exegetische Debatte um den Stellenwert des mosaischen Gesetzes im Kontext paulinischer Theologie oftmals einem grundlegenden Missverständnis der paulinischen Sicht der Dinge erlegen sei. Vor diesem Hintergrund präsentiert W. einen neuen Lösungsansatz, der die paulinische Bun destheologie stark hervorhebt. Er unterscheidet zwei Gesetzes-perspektiven innerhalb der paulinischen Reflexion, nämlich zum einen die Gesetzesperspektive Israels, zum anderen die Gesetzesperspektive aus dem Glauben an Jesus Christus.
Das siebte Kapitel (113–124) thematisiert die paulinische Bundestheologie im Gegenüber zur Kreuzestheologie. Paulus erkenne in Jesus Christus nicht nur die Erfüllung des abrahamitischen Bundes, sondern überdies die Grundlage und Quelle der Bundesgnade und Barmherzigkeit Gottes, die Abraham vor langer Zeit gegeben wurde. Wie kann Christus sowohl die Erfüllung als auch die Quelle des gnädigen Bundes mit Abraham sein? Um eine Antwort zu formulieren, referiert W. die sühnetheologischen Spitzen paulinischer Soteriologie in ihrem frühjüdischen Bundeskontext. Auf diese Weise will er zeigen, wie das Bundesdenken des Paulus mit dem Zentrum seiner Theologie – der Inkarnation Gottes in der Person Jesu Christi – zusammenhängt. Zugleich werde deutlich, wie in der Theologie des Paulus die Liebe Gottes im Herzen des Bundes allein im Kreuz Christi vollständig offenbart werden konnte, wie der Bund seine beabsichtigte Erfüllung in der partizipatorischen Vereinigung der Gläubigen mit dem Sohn Gottes erreicht hat und wie das Bundesvertrauensverhältnis in JHWH im Zentrum der israelitischen Schriften seinen vollkommensten Ausdruck in der Beziehung des Gläubigen zu Christus durch den Glauben findet.
Kapitel 8 (126–135) beschreibt die paulinische Rechtfertigungslehre im Kontext der Bundestheologie. W. will klären, was Paulus meint, wenn er bekräftigt, dass diejenigen, die mit Christus verbunden sind, durch den Glauben »gerechtfertigt« sind. Im Ergebnis soll den Leserinnen und Lesern aufgehen, inwiefern der jüdische und auch der bundestheologische Charakter des paulinischen Denkens mitsamt seinen Grundlagen in den alttestamentlichen Schriften als Schlüssel zum Verständnis der paulinischen Rechtfertigungstheologie herangezogen werden müssen.
Das neunte Kapitel (139–156) versucht, eine Annäherung an die paulinische Ostertheologie vom Evangeliumsbegriff des Apostels her zu denken. Zu diesem Zweck wird die apostolische Verkündigung vor dem Hintergrund antiker Überzeugungen über die Zu­kunft des Menschen und des Kosmos beleuchtet.
Im zehnten Kapitel (158–173) wird die Auferstehungstheologie des Apostels vor dem Hintergrund von 1Kor 15 nachgezeichnet und schließlich geklärt, was Paulus nach der Lesart W.s unter »leiblicher Auferstehung« versteht.
Kapitel 11 (175–181) widmet sich im Anschluss daran der paulinischen Verheißung neuen Lebens. Der Apostel Paulus habe geglaubt, dass die lebensschaffende und neuschöpferische Kraft der Auferstehung Jesu, obwohl sie erst im Ereignis der Parusie ihre volle Wirkung entfalte, bereits in denen am Werk ist, die hier und jetzt glauben. Durch seine mächtige, rettende Auferstehung hat Jesus Christus ein neues Leben erschaffen, das Herz verwandelt und von der Macht der Sünde befreit, und in seiner Lehre hat er ein neues Gesetz gegeben, um dieses neue Leben zu lenken.
In Kapitel 12 (183–196) soll gezeigt werden, wie aus der Soteriologie des Apostels eine handfeste Ethik erwächst. Kapitel 13 (201–215) stellt exkursartig eine historisch vergewissernde Reflexion über die Entstehung des Osterglaubens und erster frühkirchlicher Strukturen dar. Das abschließende 14. Kapitel (217–233) beschreibt darauf aufbauend die Rolle des Apostels Paulus als führender Repräsentant des Frühchristentums und begründet den hohen Stellenwert paulinischer Theologie im Kanon vor diesem Hintergrund neu.
Insgesamt handelt es sich bei dieser Studie um eine profunde Übersicht paulinischer Theologie, die allerdings stark exemplarisch bleibt. Auf der Ebene theologischer Deutung bewegt sich W. auf den Bahnen der sogenannten »Neuen Paulusperspektive« und versucht hier, exegetisch zu retten, was zu retten ist. Innerhalb der breit geführten Fachdiskussion der letzten Jahre scheint W. eine vermittelnde Position einnehmen zu wollen, indem er insbesondere im Zusammenhang seiner Darstellung der paulinischen Rechtfertigungslehre und daran anschließend der Bundestheologie – wie er sagt – »Missverständnisse und Fehlinterpretationen aufdeckt«. Dies gelingt nicht immer stichhaltig und überzeugend. Trotz solcher Einseitigkeiten ist dieses Buch ein erfrischendes Plädoyer für Paulus und ein geradezu leidenschaftlicher Appell an die interessierte Öffentlichkeit, mehr paulinische Theologie zu wagen.