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Ausgabe:

Juli/August/2020

Spalte:

644–646

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pifer, Jeanette Hagen

Titel/Untertitel:

Faith as Participation. An Exegetical Study of Some Key Pauline Texts.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XV, 258 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 486. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-156476-5.

Rezensent:

Benjamin Schliesser

Über viele Jahrzehnte war die exegetische Forschung zum neu-testamentlichen Verständnis des Glaubens nahezu zum Erliegen gekommen. Nach den bahnbrechenden Arbeiten von Adolf Schlatter und Rudolf Bultmann im letzten Jahrhundert schien das letzte Wort gesprochen zu sein. So kam es zu einem krassen Missverhältnis zwischen der Zentralstellung des Glaubens im Neuen Testament und dem wissenschaftlichen Bemühen um sein präzises Verständnis. In der Systematischen Theologie wurde gelegentlich ein analoges Missverhältnis beklagt. Seit der Jahrtausendwende allerdings erlebt die bibelwissenschaftliche Erforschung des Glaubens eine kleine Renaissance. In den letzten Jahren erschien eine beachtliche Anzahl an Monographien und Kompendien, die sich diesem Schlüsselbegriff der frühchristlichen Theologie zuwenden. Erwartungsgemäß steht die paulinische Glaubenstheologie im Zentrum. Als besonders produktiv erwies sich die mehrdeutige Wendung πίστις Χριστοῦ, die vor allem in der angelsächsischen Exegese heftige Debatten auslöste.
Auch die von P. vorgelegte Arbeit »Faith as Participation« wendet sich der paulinischen Theologie zu. Sie geht zurück auf die Dissertation P.s an der Durham University, die von John Barclay be­treut und 2016 eingereicht wurde. Ihre Kernthese lautet: »Paul’s presentation of faith is much more participatory than has been generally noted« (2). Eingebettet ist die Forschungsfrage in einen theologischen Kontext: So sei in der neutestamentlichen Forschung ein Trend zu beobachten, den menschlichen Glauben herunterzuspielen, um ihn nicht als ein Werk oder als eigene Leistung erscheinen zu lassen. Dem wolle ein partizipatorisches Verständnis des Glaubens entgegenwirken.
Der Forschungsüberblick (1–38) orientiert sich an fünf Themenkomplexen, die in der Arbeit eine Rolle spielen, sich aber nicht alle konsequent aus der Fragestellung ergeben: 1. die Bedeutung des Glaubens, 2. das Zentrum paulinischer Theologie, 3. Πίστις Χριστοῦ, 4. das Wechselverhältnis von göttlicher und menschlicher Aktivität (»divine/human agency«), 5. Glaube als Partizipation. Im äußerst knapp gehaltenen methodischen Teil (37 f.) erläutert P. ihre Vorgehensweise: Zum einen will sie Paulus von seinen eigenen Voraussetzungen her verstehen, ohne den kulturellen und religiösen Verstehenshorizont der Rede vom Glauben zu berücksichtigen (trotz T. Morgans bemerkenswerter Studie »Roman Faith and Chris-tian Faith«). Zum anderen fokussiert sie sich auf den 1. Thessalonicherbrief (39–63), die beiden Korintherbriefe (64–86.87–118) und den Galaterbrief (119–215) und klammert den Römerbrief und den Phi-lipperbrief aus sachlichen Gründen (216) bzw. aus Platzgründen (223) aus (vgl. aber das knappe Kapitel »Expanding the Discussion«, 223–228). Beide Entscheidungen sind weitreichend und hätten eingehender begründet werden müssen.
Was meint P. mit dem Begriff der Partizipation? Sie räumt ein, dass der Begriff quellensprachlich nicht belegt ist, sondern vielmehr dem Bemühen entspringt, präpositionale Wendungen wie ἐν Χριστῷ, σὺν Χριστῷ oder εἰς Χριστόν zu systematisieren. Leider bleibt es bei recht allgemeinen Annäherungen und schillernden Formulierungen: Partizipation erscheint als populärer Alternativbegriff zu Ausdrücken wie Einheit mit Gott, Christusgemeinschaft, Mystik, Identifikation und Inkorporation (11, Anm. 59), als existenzielle Teilhabe am lebensspendenden Tod und Auferstehen Christi (99.109.169), am Wirken Christi (»ministry of Christ«) (220), am Christusereignis (79.160), am Leben im weiten Sinn (158) usw. Wer mit der aktuellen Debatte zum paulinischen Partipizationsgedanken vertraut ist, wird manche Differenzierungen und Systematisierungen vermissen. Etwas eindimensional wird die individuelle Teilhabe der Glaubenden in den Mittelpunkt gerückt (existenzieller Fokus); dabei ließe sich der Begriff der Partizipation im Anschluss an einschlägige exegetische Entwürfe auffächern: An­schluss an die Story des Christusglaubens (metaphorisch), Orientierung am Gehorsam/Glauben Christi (ethisch), erlebte Vereinigung mit dem gehorsamen/treuen Christus (mystisch), Eintritt in das Heilsgeschehen des Glaubens (heilsgeschichtlich).
Das führt zur nächsten Schlüsselfrage: Wie ist der Glaube nach Paulus zu bestimmen? Nach ihrem Durchgang durch ausgewählte Paulustexte beschreibt P. den Glauben einerseits als Modus der Teilhabe an Christus, andererseits als vielschichtige Existenzweise (216: »multi-faceted mode of existence«). Recht häufig finden sich definitorische Formulierungen nach dem Muster »Glaube ist …«. Nach dem 1. Thessalonicherbrief ist der Glaube lebenserhaltende Existenzweise in Christus (63); nach dem 1. Korintherbrief ist er Anschluss an Christus, insofern er die eigene Identität vor dem Hintergrund der Auferstehung Christi neu definiert (86); nach dem 2. Korintherbrief ist er die Haltung, mit der Glaubende ihr Unvermögen anerkennen und sich ganz auf Gott verlassen (118); nach dem Galaterbrief ist er eine Disposition der aktiven, das Selbst des Glaubenden einbeziehenden Abhängigkeit von Christus (177.215). Durchweg wird der Glaube im Sinne der Gesamtthese aufgefasst als diejenige Lebensweise, die Teilhabe am Christusereignis (Wirken, Tod, Auferstehung) ermöglicht bzw. realisiert. Am Ende der Arbeit münden die beiden Linien der »Partizipation« und des »Glaubens« in eine abschließende Glaubensdefinition: »Faith is, for Paul, the mode of self-negating participation in the prior gracious work of Christ« (228).
An manchen Stellen wäre ein begrifflich präziserer Zugriff wünschenswert. Gelegentlich begegnen auch in der Einzelexegese disparate und unvereinbare Beschreibungen des Glaubens. So interpretiert P. πίστις in Gal 3,23.25 als Synekdoche, die all das Folgende umfassen soll: die Bedeutung Christi für uns, die Ära des Christusglaubens, das Glaubensvolk, das Evangelium, das Identitätsmerkmal der christlichen Gemeinde und schließlich das apokalyptische Ereignis des Kommens Christi (200–203.214).
Der Aufbau der Arbeit ist vorbildlich, die Argumentation trotz der genannten Einschränkungen weithin schlüssig, die Fragestellung wichtig. Methodisch plausibel ist es, sich nicht auf eine Wortfeldanalyse zu beschränken, sondern konzeptionell verwandte Ausdrücke und Vorstellungen einzubeziehen. Auf ihrem Weg durch die Paulusbriefe nimmt P. differenziert Stellung zu einer Vielzahl von Forschungsdebatten. Neuere deutschsprachige Literatur zur Paulustheologie (z. B. U. Schnelle, M. Wolter) und zum paulinischen Verständnis des Glaubens (z. B. T. Schumacher) wird dabei kaum berücksichtigt, ältere hingegen sehr wohl (A. Schlatter, W. Wrede, A. Schweitzer, R. Bultmann, F. Neugebauer). Nachdem die Paulusforschung im Anschluss an Hermann Lüdemann, Albert Schweitzer und E. P. Sanders über einen langen Zeitraum ein juridisch-forensisches von einem mystisch-partizipatorischen Paradigma der Soteriologie unterschied und häufig gegeneinander ausspielte, ist das Anliegen zu begrüßen, den komplementären Charakter der beiden Modelle zu betonen: »participation in Christ is just as much a matter of faith as is the doctrine of justification« (36; vgl. 176 f.).