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Ausgabe:

Juli/August/2020

Spalte:

633–635

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ro, Johannes Unsok [Ed.]

Titel/Untertitel:

Story and History. The Kings of Israel and Judah in Context.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XI, 190 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 105. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-16-157554-9.

Rezensent:

Kristin Weingart

Das Forschungsfeld der »Geschichte Israels« hat in den letzten Dekaden des 20. Jh.s tiefe Umbrüche erlebt. Nachdem lange Zeit das Alte Testament selbst als zwar kritisch auszuwertende, doch wichtigste Quelle für die Rekonstruktion der Geschichte Israels galt, wurde dieses Axiom seit den 1970er Jahren ganz grundsätzlich fraglich: Hat das Israel, von dessen Ursprüngen und Geschichte die biblischen Texte erzählen, überhaupt etwas mit einem historischen Israel zu tun oder handelt es sich um eine Konstruktion oder Projektion? Kommt dem Alten Testament überhaupt ein historischer Quellenwert zu und wie ist dieser im Gegenüber zu den außerbiblischen Nachrichten zu bewerten? Es liegt in der Dynamik von Forschungsdebatten, dass grundsätzliche Fragen häufig zunächst ideologische Antworten provozieren, bevor sich nach einiger Zeit wieder stärker die methodologische Reflexion und die Einsicht in die Komplexität des Gegenstandes Bahn brechen.
Der vorliegende Band ist ein Zeichen für und ein hilfreicher Beitrag zu Letzterem. Er versammelt acht Studien zu unterschiedlichen Aspekten der Geschichte der israelitischen Königszeit und ihrer Darstellung im Alten Testament. Als deren verbindendes Element bezeichnet der Herausgeber in seiner Einleitung (1–14) ein besonderes Augenmerk auf die »gaps and overlaps between story and history« (10) sowie einen gemeinsamen auf moderater Abwägung der aus verschiedenen Quellen gewonnenen Informationen beruhenden methodischen Zugang.
Israel Finkelstein liefert mit »History, Historicity and Historiog-raphy in Ancient Israel« (15–30) eine kritische Aktualisierung eines eigenen Beitrags zum gleichen Thema aus dem Jahr 2015. Hier geht es um Faustregeln (»rules of thumb«, 18) für das Zusammenspiel von archäologischen Daten und biblischer Tradition im Blick auf die historische Rekonstruktion. Auf der Seite der Archäologie mahnt er die Notwendigkeit verlässlicher Datierungen an. Für die Auswertung der biblischen Texte gelte es im Blick zu behalten, dass die Texte tiefgreifend durch eine judäische Perspektive geprägt seien. Vor dem frühen 8. Jh. sei zudem nicht mit umfänglicher literarischer Produktion zu rechnen; die zahlreichen älteren (vor allem nord-israelitischen) Erinnerungen, die gleichwohl in die literarischen Werke eingeflossen sind, gelangten erst nach dem Ende des Nordreiches nach Juda: »biblical history begins in 720 BCE« (29).
Gehen die Differenzierungen und Modifizierungen innerhalb der Königsbeurteilungen auf historische Umstände zurück oder sind sie das Ergebnis redaktioneller Textarbeit? Shuichi Hasegawa untersucht in »The Qualification of Evaluations of the Kings of Israel and Judah in the Books of Kings« (31–51) die mit קר oder ךא eingeführten Zusatzinformationen zur eigentlichen Beurteilung und liest sie als redaktionelle Akzentuierungen, die aus den vorliegenden Darstellungen in den Königebüchern entwickelt sind. Als für die historische Rekonstruktion der Königszeit auswertbare Quellen fallen sie mithin aus.
Die Geschichtsdarstellung in den Königebüchern ist perspektivisch: Sie ist zwar keine reine Erfindung, doch in ihrer Ideologie und Pragmatik tiefgreifend geprägt durch die Anliegen judäischer Schreiber im 7.–5. Jh. v. Chr. Thomas Römer zeigt diese Prägung in »Biblical Historiography and History: The Book of Kings« (53–65) an vier Beispielen: 1.) die »Schwarzfärbung« kritisch beurteilter Könige, deren politische Leistungen unterschlagen oder auf andere übertragen werden; 2.) die Desavouierung des JHWH-Kults auf dem Gebiet des ehemaligen Nordreiches nach 722; 3.) die Überbetonung der Josianischen Reform und 4.) die Zeichnung von Jojachins Exil als gelingenden Lebens in der Diaspora.
Jin H. Hans Beitrag »Josiah’s Death in Megiddo: A Touchstone Case of Historiography« (67–79) präsentiert einen Testfall für das Zusammenspiel von »Story« und »History«. Dazu betrachtet er die Vorgeschichte (insbesondere Judas Stellung zwischen den Großmächten), die Darstellung von Josijas Begegnung mit Necho in verschiedenen biblischen und außerbiblischen Texten sowie die Nachgeschichte. Auch wenn sich die Ereignisse nicht mehr im Einzelnen rekonstruieren lassen, ist der konkrete Fall – so Han – doch erhellend im Blick auf die sinnstiftenden, aber auch erratischen Züge von Geschichtsschreibung.
Die Einsicht, dass Geschichtsschreibung immer zugleich Ge­schichtsdeutung ist, nimmt Konrad Schmid zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen: »The Conquest of Jerusalem 597 BCE and 587 BCE in History and in Biblical Interpretation (2 Kings 24–25)« (81–97). Ausgehend von Widersprüchen und Unterschieden zwischen 2Kön 24 und 25 fragt er nach dem historischen Quellenwert und der jeweiligen Intention der Texte und kommt zu dem Ergebnis, dass 2Kön 25 näher an die Ereignisse heranführe, 2Kön 24 aber infolge einer redaktionellen Überarbeitung stärker von einer theologischen Deutung geprägt sei.
Johannes Unsok Ros Studie ist Jer 7 gewidmet (»Did Jeremiah Preach at the Temple of Jerusalem in the Year 609 BCE? – An Inquiry into the ›Deuteronomistic Editorial Layer‹ in the Book of Jeremiah« [99–119]). Seine literarkritische und lexikographische Analyse führt zu der These, dass Jer 7,1–12 weder zum jeremianischen Material noch zu einer deuteronomistischen Redaktionsschicht gehöre, sondern gemeinsam mit Jer 20,7–13 auf einen nachexilischen Autorenkreis aus dem Umfeld der sog. Armenfrömmigkeit zurückgehe.
Yigal Levin fragt in »The Chronicler as an Historian: The Chronicler’s Reinterpretation of the Deuteronomistic History of Israel« (121–133), warum und auf welche Weise der Chronist eine neue »Geschichte des vorexilischen Israel« geschrieben hat. Die Herausstellung der zentralen Rolle des Jerusalemer Tempels und die Identitätsbildung im nachexilischen Jehud seien als Anliegen zu erkennen. Zu diesem Zwecke adaptiere Chr seine Vorlagen, betone die Zugehörigkeit der Nordstämme zu Israel oder rücke die Leviten in den Vordergrund. Insgesamt sei es Chr darum gegangen, »by ›updating‹ his readers’ past […] to influence the way in which they envision and bring about their future« (133).
Yoshinori Sano erweitert die Diskussion der biblischen Ge­schichtstexte um einen Blick auf die griechische Historiographie: »The Meeting of Croesus and Solon in Herodotus’ Histories I« (135–150). Während es zweifelhaft bleibt, ob sich Solon und Krösus tatsächlich begegnet sind, kann Sano zeigen, dass die Solon zugeschriebenen Ansichten Herodots Vertrautheit mit Werken und Gedankenwelt Solons belegen, aber auch illustrieren, wie er Solons Aussagen im Dienst seiner eigenen Aussageintention angepasst hat.
Nicht alle der versammelten Beiträge bieten neue oder unerwartete Erkenntnisse, einige rekurrieren auf Positionen und Einsichten, die die Beiträger schon an anderer Stelle geäußert haben, andere belegen Erwartbares mit zum Teil neuen Beispielen. In der Zusammenschau und im unaufgeregten und sachorientierten Zugang, der diesen Band auszeichnet, ist die Sammlung dennoch äußerst informativ und auch wegweisend für ein zukünftiges und fruchtbares Ackern auf dem Forschungsfeld der Geschichte Israels .