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Ausgabe:

Juni/2020

Spalte:

553–555

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Jammerthal, Tobias

Titel/Untertitel:

Philipp Melanchthons Abendmahlstheologie im Spiegel seiner Bibelauslegung 1520–1548.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XVI, 297 S. = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 106. Lw. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-156674-5.

Rezensent:

Nicole Kuropka

Die Studie von Tobias Jammerthal ist eine von V. Leppin betreute Tübinger Doktorarbeit, welche sich die melanchthonische Abendmahlslehre in einem fast drei Jahrzehnte umfassenden Blickwinkel zum Thema gesetzt hat und dabei bewusst nicht die unterschiedlichen Auflagen der Loci communes in den Untersuchungsmittelpunkt stellt. Die Studie ist dabei dreigeteilt: Beginnend mit einer umfangreichen Einleitung zu der Forschungslage, dem Forschungsansatz und den verwendeten Quellen (1–55), dem zweiten quellengeschichtlichen Teil zu den relevanten biblischen Abendmahlstexten (57–221) und dem abschließenden Kapitel zu den Erträgen der Quellenstudien mitsamt einem kurzen Epilog (223–253). Zudem ist das Buch mit einer lateinischen Vorrede, einem Inhalts- und Abkürzungsverzeichnis, einer bislang nicht edierten Quellenanlage, Angaben zur Primär- und Sekundärliteratur sowie diversen Registern versehen.
Der Vf. wählt sich für eine Doktorarbeit nicht nur ein komplexes theologisches Thema aus, sondern nimmt sich darüber hinaus einen großen Zeitabschnitt vor, der in die bislang nicht so gut erforschten späteren Lebens- und Wirkjahre des Praeceptors reicht. Bewusst offen lässt die Studie den reformierten Blickwinkel auf die Abendmahlsthematik. Wie viel sich der Vf. vornimmt und wie souverän er dabei mit komplexen Thematiken und weitläufiger Sekundärliteratur umgeht, offenbart bereits der erste Teil der Studie. Der detaillierte forschungsgeschichtliche Einblick fokussiert nicht nur auf die Fragestellung des Abendmahls, sondern nimmt die damit verbundenen Themen des Verhältnisses zwischen Luther und Melanchthon, der Kontinuitätsfrage in Melanchthons Theo-logie, der quellengeschichtlichen Problematik und der jüngeren Themen der Melanchthonforschung (Bibelauslegung, Frömmig keit) mit in den Blick. Der Vf. präsentiert dabei nicht nur einen sicheren Überblick über die forschungsgeschichtlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts, sondern bereitet mit seiner Systematisierung der Forschungsansätze und Vorstellung der Materialgrundlage sein eigenes Anliegen stringent vor.
Im zweiten Teil seiner Studie analysiert und kontextualisiert der Vf. in konsequent durchgehaltener Struktur die exegetischen Quellen zur Abendmahlsthematik (1Kor 11 f. und Mt 26), die zuerst in ihren historisch-theologischen Kontext gestellt werden, dann im Detail analysiert werden, um abschließend den abendmahlstheologischen Gehalt zusammenzufassen und das Ergebnis vor dem historisch-theologischen Kontext zu profilieren. Für eilige Leser bieten diese Zusammenfassungen die zentralen Untersuchungsergebnisse der zuvor detailliert und mit intensivem Blick auf die Forschungsgeschichte präsentierten Untersuchungen.
Inhaltlich beginnt der zweite Teil mit Melanchthons Auslegungen zu Mt. Der Vf. zeigt dabei die großen gemeinsamen Linien zwischen Luther und Melanchthon auf, wobei gleichzeitig die Unterschiede in der Akzentuierung – terminologisch (vesci eucharis-ticum), wie bei der Frage nach dem Zentrum des Abendmahls (Kommunionvorgang) – benannt werden. 1521 nehme das Interesse im Wittenberger Zirkel an der Abendmahlsthematik zu, wobei die Auslegung zu 1Kor 11 noch mit den praktischen Fragen der gemeindlichen Umsetzung beschäftigt sei. Melanchthon arbeite dabei stärker den »konkreten leiblichen Vorgang« (96) des Abendmahls heraus und stelle die Frage nach dem (un-)würdigen Ge­brauch des Sakraments. Anders als vielleicht erwartet gewinne die Abendmahlsthematik bei Melanchthon in den untersuchten exe­getischen Schriften nicht im Jahre 1529 an Bedeutung. Hingegen liege nach 1521 eine zeitliche Lücke bis 1534 vor, wobei der Vf. für die Zeit rund um den Augsburger Reichstag eine prägnante Zusammenfassung aus dem Blickwinkel der wichtigsten innerevangelischen Gesprächspartner in der Abendmahlsfrage bietet. Die Gründonnerstagspredigt über Mt 26 (1534) zeige zum einen die frömmigkeitstheologische Perspektive Melanchthons, der nicht nur theologischer Theoretiker, sondern auch homiletischer Praktiker sei (236 f.). In dieser Predigt vermeide er jeglichen kontroverstheologischen Anstrich und konzentriere sich »darauf, die nach seiner Auffassung zwischen Bucer, Luther und ihm selbst unumstrittenen abendmahlstheologischen Aussagen« (132) darzulegen. In den 1530er Jahren bemerkt der Vf. eine »Verschiebung des theologischen Interesses von der Frage nach der Präsenz Christi hin zur Frage des rechten Gebrauchs des Abendmahls« (140). Auf dem Hintergrund der Reichsreligionsgespräche wird Melanchthons Abendmahlspredigt von Juni 1541 als »verdichteter Ausdruck der abendmahlstheologischen Gesamtlage« (159) entfaltet, die zum ersten Mal auch deutliche kontroverstheologische Polemik enthalte. In der zweiten Hälfte der 1540er Jahre verlagere sich die theologische Diskussion aufgrund von Luthers Tod und der reichspolitischen Entwicklungen. In gelungener Reduktion präsentiert der Vf. die komplexen Entwicklungen und erläutert den präzisierten Standpunkt der altgläubigen Seite. Neben dem komplexen Meinungsbildungsprozess um das (Augsburger) Interim herum kann Melanchthons Position in dieser Zeit nicht nur durch die offiziellen Gutachten, sondern auch durch vier Privatdenkschriften beleuchtet werden, welche vermutlich aufgrund einer Begegnung mit Pflug entstanden. Melanchthon präzisiere seine eigene Position besonders mit Blick auf das Messopfer und entwickele eine evangelische Amtstheologie. In diesen Schriften spiegele sich zudem die inten-sive Beschäftigung mit Aristoteles, dessen sprachlichen Differenzierungen er für die kontroverstheologische Debatte fruchtbar zu machen sucht ( fines und causae des Abendmahls). Dabei bleibt die Betonung des Abendmahlsvollzugs (Nießung, Kommunion) mit einem gleichzeitigen »Desinteresse an einer näheren Beschreibung des modus praesentiae« (212) ein durchgängiges Charakteristikum melanchthonischer Abendmahlslehre.
Insgesamt überzeugt die klar strukturierte Arbeit in ihrer Quellenerforschung, die methodisch dem neueren Forschungsansatz, biblische Exegese historisch vernetzt zu lesen und zu deuten, folgt und wieder einmal zeigt, wie sehr Melanchthons exegetische Tätigkeit von aktuellen Ereignissen inspiriert und geprägt ist. Besonders zu würdigen ist die detaillierte Quellenarbeit über drei Jahrzehnte voller theologischer und reichspolitischer Großereignisse. Diese inhaltlichen, thematischen und quellenmäßigen Herausforderungen in einer Doktorarbeit zu bewältigen, ist ein großes und gewagtes Unterfangen, welches der Vf. in jeglicher Hinsicht erfolgreich meistert. Dabei bleibt die Studie im Seitenumfang trotz des um­fangreichen Materials durchaus handlich. Hilfreich sind auch die tabellarischen Übersichten einzelner komplexer Zeitabläufe (vgl. z. B. 152 f.). Ob lateinische Zitate im Haupttext unübersetzt bleiben, ist sicher auch Geschmacksfrage, aber angesichts einer Thematik, die auch über Reformationsspezialisten hinaus von Interesse sein wird, dennoch kritisch zu hinterfragen.
Insgesamt trägt die Studie dazu bei, einen detaillierten Einblick in die Entwicklung und Zielrichtung von Melanchthons Abendmahlsverständnis aufgrund seiner biblischen Exegese zu erhalten: Deutlich wird herausgearbeitet, dass es seit der Frühzeit ein Charakteristikum von Melanchthons Theologie ist, »das Abendmahl konstitutiv durch seine Sinnebezogenheit« zu charakterisieren, »die allein in der leiblichen Nießung zum Ziel komme« (225). Der oftmals in der älteren Forschung behauptete Bruch in der Entwicklung von Melanchthons Abendmahlstheologie lässt sich nach dieser Studie ebenfalls nicht nachweisen. Darüber hinaus stellt sie einen wichtigen Schritt zur Klärung des innerlutherischen Abend mahlsverständnisses dar und setzt damit Impulse für die wei-tere Erforschung der innerreformatorischen Perspektiven (z. B. zu Calvin).