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Ausgabe:

Juni/2020

Spalte:

536–538

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Frey, Jörg, u. Michael R. Jost [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gottesdienst und Engel im antiken Judentum und frühen Christentum.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. VIII, 447 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 446. Kart. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-154195-7.

Rezensent:

Anna Maria Schwemer

Der Band geht auf ein Symposium zurück, das unter der Leitung der Herausgeber im Januar 2015 in Zürich stattfand.
Beate Ego (25–48) beginnt mit dem Lobpreis transzendenter Wesen in Ps 29, dann Jes 6, wo er im Kontext prophetischer Ge­richtsverkündigung steht, sowie Ez 3. Sie behandelt Dan 7 zusammen mit der Gerichtsvision des 1Hen, wo das Motiv des himmlischen Gesangs in den Hintergrund tritt. Den Hauptstrom der Überlieferungen bilden die hymnischen Texte im Psalter und bei Deuterojesaja; der gesamte Himmel, aber auch einzelne himmlische Wesen, werden zum Lobpreis aufgefordert; dieser Lobaufruf gipfelt im Gesang der drei Jünglinge im Feuerofen (Dan LXX 3). Indem die irdische Gemeinde die gesamte Schöpfung auffordert, Gott zu preisen, erfährt sie nicht nur eine Verstärkung ihres Gotteslobs durch das der himmlischen Wesen, sondern auch eine Transzendierung von irdischem Raum und Zeit. Der erste ausdrückliche Beleg für die kultische Gemeinschaft von Engeln und Menschen findet sich im Jubiläenbuch. Der reiche Fund an liturgischen Texten in Qumran hat das Interesse an den Engeln befruchtet. Das spiegelt sich in mehreren Beiträgen:
Heinz-Josef Fabry (49–70) geht davon aus, dass »Qumran« vom Jubiläenbuch her die Vorstellung von der Gemeinschaft mit den Engeln entwickelte. Als Beispiel verwendet er die Sabbatopfer-Liturgie zum 7. Sabbat und die Vorstellung von der Gemeinde als Tempel, die u. a. durch die Opposition der Qumrangemeinde ge­genüber dem Jerusalemer Tempel begründet ist. Dem entspricht die seit Jes 66,1 zunehmende Kritik am Opferkult und seiner Priesterschaft, die zur Vorstellung vom Tempel als Ort des Gebets führt, was wiederum den Übergang vom Opfer- zum Gebetskult bringt, der nicht auf Qumran beschränkt ist. Da die Gemeinde sich selbst als den eschatologischen Tempel verstand, in dem sie mit den Engeln zusammen den Gottesdienst vollzog, wurden tempelspezifische Bestimmungen über die »kultische Reinheit«, den Priesterdienst und »liturgisch-kultische Vollzüge« auch für ihr »Alltagsleben« bestimmend.
Cecilia Wassén (71–97) stellt »good an bad angels« in der Gemeinderegel (S) und der Damaskusschrift (D) dar und beschränkt sich auf wenige Schlüsseltexte wie die Sabbatlieder. Die dualistische Weltsicht von S und D teilt die Menschheit in »good and evil camps«, was vor allem in der Zwei-Geister-Lehre zum Ausdruck kommt. Gott hat beide Gruppen geschaffen, die im Gegensatz zueinander stehen: Auf der einen Seite herrscht der Fürst des Lichts mit seinen Geistern über die Söhne des Lichts, auf der anderen Belial mit seinen Geistern über die Söhne der Finsternis. Die Qumrangemeinde hat sich getrennt von allem Bösen, rechnet sich zu den Söhnen des Lichts, sieht sich aber den ständigen Angriffen Belials und seiner Dämonen samt ihrer List ausgesetzt. Sie ermutigt ihre Mitglieder treu zu bleiben mit der Verheißung des baldigen Endsieges und des Beistands der Engel.
Christian Stettler (99–117) betont, dass in den Sabbatliedern nicht nur die Vorstellung vom himmlischen Tempel aufgenommen wird, sondern die »Prävalenz der Zahl Sieben« zeigt, dass die altorientalische Kosmologie im Hintergrund steht. Eine ganze Reihe von orientalischen astralen Elementen wurde in der griechischen Astronomie ebenfalls rezipiert. S. sieht »in starkem Masse hellenistische Traditionen hinter den Sabbatopferliedern«, deren Ursprung er in der »Jerusalemer Priesterschaft der Alexander- und frühen Diadochenzeit« vermutet.
Noam Mizrahi (119–139) zeigt an der poetischen Struktur des 6. Sabbatliedes, dass es als Wechselgesang liturgisch verwendet wurde. Dem Solisten – als solcher fungiert der erste der Hauptfürsten – antwortet jeweils in einem zweiten Teil der Chor von sieben Hauptfürsten. Einen ähnlichen Wechselgesang erwähne Philo; er erscheine später im Piyyut der palästinischen Synagogenliturgie. Die poetische Komposition des 6. Liedes, die im letzten Wort »seine Heiligkeit« gipfelt, unterstreicht, dass Gott selbst jenseits der irdischen und himmlischen Welt ist.
Crispin Fletcher-Louis (141–166) verteidigt seine viel diskutierte und zumeist abgelehnte These, dass die Vorstellung eines himmlischen Tempels dem frühen antiken Judentum fremd sei, zwar menschliche Priester im antiken Judentum als Engel verstanden wurden, aber nie Engel als Priester.
Philip Alexander (167–181) hält dagegen die Annahme einer himmlischen Liturgie für grundlegend. Sie ist von Jes 6,3 bezeugt und bildet in Verbindung mit Ez 1 in rabbinischer Sicht die himmlische Qedusha. Nach den Vorstellungen des Alten Orients wurden irdische Tempel nach himmlischem Urbild entworfen, was in Israel rezipiert wurde. Der Unterschied zwischen himmlischem und irdischem Tempel besteht vor allem in den Schlachtopfern von Tieren. Im Himmel wird der Lobpreis der Engel geopfert, die Gebete der Menschen oder die Seelen der Märtyrer. Der irdische Gottesdienst ermöglicht in seinem Vollzug des Lobpreises eine »ascensio liturgica« (172) und damit eine Teilnahme der irdischen Gemeinde am himmlischen Lobpreis.
Die Rabbinen waren mehr am himmlischen Lehrhaus interessiert und betrachteten die Vorstellung einer Synergie von himmlischem und irdischem Gottesdienst als gefährlich. Die Gerechten erfahren die transzendente Gegenwart Gottes (Shekhina) beim Studium der Tora. Die Rabbinen grenzen sich damit ab von der Liturgie des Synagogengottesdienstes, dessen Zentrum die Qedusha bildet. Noch klarer vertritt die Hekhalot-Literatur einen individuellen Aufstieg mit Teilnahme an der himmlischen Liturgie. An der Hekhalot-Literatur lässt sich zugleich auch eine gewisse »rabbinization« ablesen. Ihre Helden sind berühmte Rabbinen. In Pirqei de-Rabbi Eliezer zeigt sich dann das wachsende Interesse der Rabbinen an der Liturgie. Aber die Dialektik zwischen Torastudium und dem Vollzug der Liturgie bleibt bestehen.
Zwei Beiträge sind dem Neuen Testament gewidmet: Georg Gäbel (185–239) geht von der Frage aus, ob »sich die Adressatengemeinde des Hebräerbriefes in ihrem Gottesdienst auf Erden mit dem Kult des himmlischen Jerusalem und seiner Engel (vereinigt)«, und kommt zu dem Ergebnis, dass das »traditionelle Motiv der kultischen Gemeinschaft […] im Hebr fast vollständig zurücktritt« und nur in Hebr 12,22–24 anklingt. Der irdische Gottesdienst wird nicht mit dem himmlischen koordiniert. Der Grund dafür liegt in der Sohn-Gottes-Christologie. Hebr 1–2 entfaltet Christologie und An­thropologie im Gegenüber zu den Engeln und schildert die »kategorial überlegene Stellung Jesu gegenüber den Engeln«. Jan Dochhorn (241–287) untersucht die Funktion der 24 Presbyter in der Johannesoffenbarung, die er in der Tradition des »als himmlische Repräsentanten des in 24 Klassen gegliederten Priestertums« sieht, die »Gott laut Jes 24,23 LXX beim Anbruch seiner Königsherrschaft« in der Endzeit verherrlichen werden.
Adrian Marinescu (291–395) bietet eine detailreiche Analyse der Entwicklung der orthodoxen Liturgie und zugleich eine Einführung in die Grundlagen der orthodoxen Frömmigkeit. Er behandelt die »Engel in der Lehre der Kirche« und ausführlich die »Göttliche Liturgie«. Zu erkennen ist, wie viele frühchristliche Elemente in der orthodoxen Liturgie erhalten geblieben sind.
Zum Schluss stellt Albert Gerhards (397–412) Erik Petersons Lehre von den Engeln und deren Ablehnung bei Karl Barth, sowie die Liturgietheologie des II. Vatikanums und die Liturgieerneuerung in der Ökumene dar.
Ausführliche Register beschließen diesen sehr anregenden Band.