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Ausgabe:

Juni/2020

Spalte:

529–532

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rhyder, Julia

Titel/Untertitel:

Centralizing the Cult. The Holiness Legislation in Leviticus 17–26.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XXI, 484 S. = Forschungen zum Alten Testament, 134. Lw. EUR 134,00. ISBN 978-3-16-157685-0.

Rezensent:

Eckart Otto

Der Monographie von Julia Rhyder liegt ihre Dissertation zugrunde, die von C. Nihan betreut 2018 von der Theologischen Fakultät der Universität Lausanne angenommen wurde und aufgrund ihrer außergewöhnlichen Qualität eine intensive Diskussion ihrer Thesen verdient.
Die Vfn. wendet sich gegen die These einer »linearen« Rekonstruktion der Geschichte der Kultzentralisationsdiskurse im Pentateuch, die seit Julius Wellhausen bis heute so interpretiert werde, dass sie ihren Ausgang beim Deuteronomium (Dtn 12) nehmen sollen und die priesterlichen Zentralisationsdiskurse in Priesterschrift (P) und Heiligkeitsgesetzgebung in Lev 17–26 (H) als literarische Ergänzung von P als Erbe des Deuteronomiums gesehen werden, ohne dass die priesterlichen Diskurse eine eigene Theorie der Zentralisierung des Kultes entwickelt haben sollen. Diese ihrer Meinung nach durch die bisherige Forschung nicht geschlossene Lücke will die Vfn. durch die Rekonstruktion eines vom Deuteronomium literarisch und in der Sache unabhängigen Zentralisationsdiskurses und seiner Ideologie in Priesterschrift und Heiligkeitsgesetz schließen. Dazu orientiert sie sich an der Ideologiekritik von Antonio Gramsci und Michel Foucault als hermeneutische Wegmarken, wenn sie als Intention der priesterlichen Zentralisationsdiskurse die Begründung und Durchsetzung von Ansprüchen von Priestern auf Hegemonie und materielle Ressourcen, also auf Macht und Geld, mittels priesterlicher Texte in P und H sieht. Der Zentralisationsdiskurs in der Priesterschrift sei nicht auf die Frage der räumlichen Lozierung des Zentralheiligtums in Gestalt eines Wüstenheiligtums beschränkt, sondern umfasse auch die Begründung des Hegemonieanspruchs einer Priesterfamilie, die sich auf einen nur fiktiven Aaron zurückführe. Diesem Ziel, Herrschaft und ihre Akzeptanz zu generieren, sollen auch rituelle Normierungen bis in das Alltagleben der Menschen mit Speiseregeln (Lev 11) und Regeln der Unterscheidung von Rein und Unrein mittels eines idealisierten Kultes dienen. Dieser Zentralisierungsdiskurs in der Priesterschrift sei strategisches Mittel Jerusalemer Priester, nach V erlust des Königtums dessen Funktionen zu übernehmen, das Volk an der Finanzierung des Tempels zu beteiligen und den Judäern bei aller gesamtisraelitischen Ausrichtung Privilegien zu sichern.
Die Vfn. hebt wiederholt die Distanz zwischen priesterlicher Ideologie in der Priesterschrift und der kultischen Realität in Juda und später auch in Samaria in persischer Zeit hervor, was sich auch an der Mehrzahl der Heiligtümer in der Diaspora zeige. Entsprechend rekonstruiert sie die Priesterideologie der Zentralisierung als Diskurs, der auf die Durchsetzung von Hegemonialansprüchen einer Familie der Jerusalemer Priesterschaft ziele: »Thus, to draw on Foucault’s terminology, the description of the wilderness cult and its leaders is a practice of ›normalizing judgment‹, in that it provides the mechanism through which certain groups – in this case, the Judeans associated with the temple in Jerusalem – are imagined as having the right to greater authority, resources, privilege and centrality.« Das alles soll durch Texte einer idealisierten Organisationsform geleistet werden, in denen sich das Verhältnis Israels als »Klient« zu JHWH als seinem »Patron« widerspiegeln soll. In dieser theologisch eingeschränkten Perspektive geht die Theologie des priesterschriftlichen Zentralisationsdiskurses in der Sinaiperikope aber keineswegs auf. Vielmehr ist er in der Sinaiperikope mit der Schöpfungsmotivik in der Urgeschichte der Genesis verknüpft, so dass das literarische und sachliche Gegenüber keineswegs nur auf 1Kön 5–8 beschränkt zu sehen ist, von dem, das sei angemerkt, Dtn 12 nicht zu lösen ist. Vielmehr erhält die priesterschriftliche Kultgründung in der Sinaiperikope ihr theologisches Proprium über den Zentralisationsdiskurs des Deuteronomiums hinaus durch die Verknüpfung mit der priesterlichen Schöpfungserzählung und Urgeschichte im Buch der Genesis. Auch wäre auf neubabylonische Verknüpfungen von Schöpfung und zentraler Kultgründung zu reflektieren, auf die die Priesterschrift sich bezieht.
Im zweiten Teil der Studie wendet sich die Vfn. dem Heiligkeitsgesetz in Lev 17–26 zu, dessen Interpretation sie auf die Exegese der Opferzentralisation in Lev 17 und des Festkalenders in Lev 23; 24,1–9 basiert. Sehe die bisherige Forschung in Lev 17 eine Verknüpfung von Motiven aus Dtn 12 mit solchen der Priesterschrift, die vornehmlich die Blutmotivik eingebracht habe, so will die Vfn. einen Einfluss des Deuteronomiums auf Lev 17 in Abrede stellen. Zwar seien terminologisch-sachliche Überschneidungen von Lev 17,10–14 mit Dtn 12,20–28 nicht zu übersehen, doch seien sie für Lev 17 nicht prägend, da Dtn 12,20–28 literarisch später als Lev 17 anzusetzen sei, wobei offen bleibt, wie Dtn 12,20–28 in eine nachexilische Fortschreibung des Deuteronomiums in Relation zum Heiligkeitsgesetz einzuordnen ist. In Bezug auf die vorexilische Kernüberlieferung in Dtn 12,13–19 räumt die Vfn. ein, dass sie den nachexilischen Autoren von Lev 17 bekannt, aber ohne prägenden Einfluss gewesen sei, soll sich doch der Zentralisierungsdiskurs in Lev 17 in der Form nur aus der Priesterschrift speisen, dass über P hinaus nun alle Schlachtungen am Zentralheiligtum zu erfolgen hätten und damit das Alltagsleben in der Peripherie auf den kultischen Zentralort bezogen und durch Sanktionsandrohungen normiert werden solle. Es stellt sich aber die Frage der Praktikabilität von Lev 17 in persischer Zeit, wenn alle Schlachtungen an einem zentralen Kultort zu erfolgen haben, ein Problem, das die Vfn. mittels der These lösen will, dass der Text kein Interesse an seiner praktischen Durchsetzbarkeit habe, sondern darauf abziele, seine Adressaten an den zentralen Kultort zu binden und sie anzuhalten, die rituelle Hierarchie der Aaroniden zu internalisieren. Man mag fragen, ob diese These Exegeten überzeugt, die in Verbindung mit einer Frühdatierung von Lev 17 überhaupt eine Absicht des Textes, den Kult nach einer Sesshaftwerdung Israels zu zentralisieren, verneinen. Und man wird weiter fragen müssen, ob es nicht weiterführend sein könnte, wie für die Priesterschrift auch für Lev 17–26 den narrativen Kontext der Lozierung des Heiligtums in der Wüste in Rechnung zu stellen, ehe man den Text mit einer angesichts der Quellenlage fiktiv bleibenden Situation in persischer Zeit konfrontiert und aus der Differenz einen Diskurs priesterlicher Hegemonialdurchsetzung ableitet.
Der zweite Pfeiler in der Argumentation der Vfn. zum Zentralisationsdiskurs des Heiligkeitsgesetzes bildet die Auslegung des Festkalenders in Lev 23 sowie des Anhangs in Lev 24,1–9. H ziehe über P hinaus in den Festkalender ein Zeitschema von Festzeiten JHWHs (mô‘aJHWH) ein, das ebenfalls der priesterlichen Macht- und Autoritätsgewinnung dienen soll. Obwohl Lev 23 einen zentralen Kultort nicht einmal erwähnt, sieht die Vfn. auch hier die priesterliche Zentralisierungslogik am Werk, die mittels des Kultkalenders die Bevölkerung in der Peripherie auf das priesterliche Zentrum ausrichten wolle.
In Bezug auf Lev 23 räumt die Vfn. ein, dass sich H stärker als in Lev 17 mit dem Deuteronomium und seiner Festordnung in Dtn 16 auseinandersetze. Doch da sie in Lev 23 eine Verknüpfung von Dtn 16,1–8 mit Ez 45,18–25 sieht, zieht sie daraus keine Konsequenzen für das Verhältnis des Heiligkeitsgesetzes zum Deuteronomium. Da im Gegenteil die Zentralisierung der Feste in Dtn 16 in Lev 23 nicht rezipiert worden sei, schließt sie auf einen geringen Einfluss von Dtn 16 auf Lev 23. Dennoch aber soll auch Lev 23 Zeugnis eines Zentralisierungsdiskurses im Heiligkeitsgesetz sein. Doch besteht kein erkennbarer Grund, Lev 23 als Zeugnis einer Zentralisierungsintention zu lesen, wenn der Zusammenhang mit Dtn 16 aufgelöst wird, die nicht allein auf Lev 24,1–9 zu stützen ist, da es sich um einen literarischen Zusatz zu Lev 23 handelt. Wieder werden Exegeten, die im Zuge einer Frühdatierung von H in Lev 23 gerade das Zeugnis einer dezentralen Kultordnung sehen, die älter als Dtn 12 und Dtn 16 sei, sich nicht von der Argumentation der Vfn. überzeugen lassen. Ihrer Interpretation widersprechen die eindeutigen und auch von ihr nicht in Abrede gestellten Aufnahmen von Dtn 16 in Lev 23, die in der neueren Forschung mehrfach beschrieben wurden. Schließlich verzichtet die Vfn., stellt sie eine Einwirkung des Deuteronomiums auf das Heiligkeitsgesetz infrage, darauf, das eigentliche Gegenüber des priesterlichen Zentralisationsdiskurses in den Blick zu nehmen, und das ist nicht primär die Bevölkerung der Peripherie, die sich priesterlicher Hegemonie beugen soll, sondern das Deuteronomium in seinen nachexilischen Fortschreibungen. Das wird besonders deutlich im paränetischen Rahmenwerk des Heiligkeitsgesetzes, das die Vfn. ebenfalls trotz der intensiven Rezeption des Deuteronomiums nur als davon unabhängigen Priesterdiskurs interpretiert, der, mit Antonio Gramsci gesprochen, nur einen Autorität heischenden Konventionalismus durchsetzen wolle. Doch auf die Organisation von Konformität und kollektiver Loyalität sowie auf die Generierung von Priestereinkünften in einem hegemonic discourse mit Hilfe der Motive der Heiligkeit JHWHs und Israels lassen sich die Paränesen des Heiligkeitsgesetzes so wenig wie Lev 19 und Lev 25 theologisch reduzieren.
Die Vfn. hat eine Studie von hoher exegetischer Qualität vorgelegt. Sie vertritt mit guter Kenntnis der Forschungsliteratur zum priesterlichen Schrifttum im Pentateuch und mit einer ihr eigenen Argumentationskompetenz ihre Position, dass der Zentralisierungsdiskurs der Priesterschrift sich nicht auf die Frage nach der Lokalisierung des zentralen Kultortes reduzieren lasse, sondern ein prozesshaftes Netzwerk der Verknüpfung des Lokalisierungsaspekts mit Aspekten der Durchsetzung von Autorität einer aaronidischen Priesterschaft und der Vereinheitlichung von kultischen Riten und Festen sei. Auch zeigt sie überzeugend, dass das Heiligkeitsgesetz in Lev 17–26 konsequent an die Priesterschrift anknüpft durch Einbeziehung des Alltaglebens in der Peripherie in einen Heiligkeitsdiskurs, der in der Konsequenz auch priesterliche Macht und Ressourcen generieren kann. Die Orientierung an Gramsci und Foucault kann auf diesen Aspekt aufmerksam machen. Darin aber gehen die theologischen Impulse, die die Autoren von Priesterschrift und Heiligkeitsgesetz in den Zentralisierungsdiskursen leiten, keineswegs auf. Kampf um Macht, Prestige und Ressourcen ist nicht der die priesterlichen Schriften leitende Impuls, sondern allenfalls eine Folgewirkung, von der die Vfn. wiederholt aber sagt, dass sie sich für die persische Zeit als realisiert nicht verifizieren lasse. So ist der priesterliche Zentralisierungsdiskurs nicht von den zeitgleichen Impulsen im Umbau des Gottesverständnisses auf dem Weg zum Monotheismus als seine theologische Voraussetzung zu lösen.
Die Vfn. hat sich mit der Konzentration auf die priesterlichen Diskurse auch das Ziel gesetzt, einer einlinigen Rekonstruktion der Geschichte der Zentralisationsdiskurse im Pentateuch, die ihren Ausgangspunkt beim Deuteronomium nehme, zu widersprechen. Nun ist von einer derartigen Einlinigkeit durchaus bei Wellhausen und seinen Nachfolgern im 19. und 20 Jh. zu sprechen, doch im 21. Jh. ist diese evolutionistische Sicht längst zugunsten der Perspektive eines komplexen Dialogprozesses zwischen Deuteronomium, Priesterschrift und Heiligkeitsgesetzgebung gewichen, der seinen Ausgangspunkt im Zentralisationsgebot des Deuteronomiums in Dtn 12,13–19 hat, dessen Datierung in das 7. Jh. von der Vfn. angesichts einer, wie sie konstatiert, weithin geteilten Forschungsmeinung nicht infrage gestellt wird, so dass auch die priesterlichen Zentralisationsdiskurse im Schatten des Deuteronomiums sowie seiner Fortschreibungen in persischer Zeit als Teil des Pentateuchs und damit in literarischer Verknüpfung von Deuteronomium, Priesterschrift und Heiligkeitsgesetz geführt werden. Die Vfn. zeigt überzeugend auf, dass der priesterliche Zentralisationsdiskurs dabei eine eigene Logik entwickelt, aber, so ist zu ergänzen, dies gerade auch gegen das Deuteronomium, bis das Heiligkeitsgesetz in Lev 17–26 angesichts des sich konstituierenden Pentateuchs von Deuteronomium und Priesterschrift in einem Dokument um eine Vermittlung der Diskurse bemüht ist. Das Heiligkeitsgesetz ist dabei im Pentateuch nicht nur anaphorisch an die Priesterschrift gebunden, wie die Vfn. aufzeigt, sondern weist auch kataphorisch auf das Deuteronomium voraus mit dem Anspruch, sein hermeneutischer Schlüssel zu sein (siehe R. Achenbach, BEThL 225 [2008], 145–175).