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Ausgabe:

Mai/2020

Spalte:

429–431

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Spankeren, Malte van, u. Christan Volkmar Witt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Confessio im Barock. Religiöse Wahrnehmungsformationen im 17. Jahrhundert.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015. 231 S. m. Abb. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-04113-8.

Rezensent:

Christoph T. Nooke

Der Sammelband bietet Einblicke in die Auftaktveranstaltung des DFG-Netzwerks »Confessio im Konflikt. Religiöse Selbst- und Fremdwahrnehmung im 17. Jahrhundert«. Die Autoren und Autorinnen der versammelten Beiträge machen sich von ihrem je eigenen Forschungsfeld auf den Weg, so dass sich ein lebendiges Konzert ganz unterschiedlicher Beiträge zur Frage nach Fremd- und Selbstwahrnehmung im 17. Jh. ergibt.
Dass hier noch viel zu entdecken und zu differenzieren ist, lassen die Beiträge erkennen, die von mikroskopischen Einzeluntersuchungen über biographisch orientierte Beiträge zu Versuchen, das Ganze des Problemfeldes in den Blick zu nehmen, gestaltet sind. Auch der Mühe mehrerer Register haben sich die Herausgeber unterzogen: So finden sich neben den Verzeichnissen der Autoren und der Literatur ein Personenregister sowie ein Sachregister mit 89 gut ausgewählten Sachbegriffen.
Dass das Forschungsfeld noch im Entdeckungsprozess ist, macht die Einleitung der Herausgeber deutlich, die auf die »Komplexität« (10) der Fragestellung und des Gegenstandes hinweisen. Der Tagungsband verfolge die Absicht, »genau diesen Zusammenhängen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, zwischen Irenik, Polemik oder Indifferenz und individuell-subjektivem Bekennen interdisziplinär nachzugehen« (11) bzw. »das Zusammenspiel von Bekenntnisakt und Wahrnehmungsformation [zu] beleuchten und auf seine Realisationsgestalten im 17. Jahrhundert hin [zu] untersuchen« (11). Zudem gehe es »auch und gerade um eine Standortbestimmung des 17. Jahrhunderts zwischen Übergang und Eigenart« (12). Confessio wird dabei als »medial artikulierte[r] Be­kenntnisakt[]« (12) verstanden.
Den Reigen eröffnet Christian Volkmar Witt mit einem umfangreichen, teilweise einleitenden Beitrag (17–53), in dem er den Begriff der »Wahrnehmungsformationen« als zur Erfassung des o. g. Gegenstandes hilfreich einzuführen versucht »als In- und Miteinander von Selbst- und Fremdwahrnehmung durch das Subjekt, also als In- und Miteinander seiner Wahrnehmung von sich selbst und des Gegenübers in ganz konkreten diskursiven Kontexten.« (40) Dies wird erprobt an der Rezeption und Bewertung des »Irenicums« von David Pareus. Hier lässt sich erkennen, dass als irenisch firmierende Schriften häufig als polemisch aufgefasst wurden und auch aufgefasst werden mussten, da sie von einem überzeugten konfessionellen Standpunkt aus argumentierten. Teilweise, so ließe sich sagen, waren einfach die Titel irreführend und verschleierten die eigentliche Intention.
Mona Garloff zeigt am Beispiel Jean Hotmans und den Diskussionen über eine gallikanische Nationalkirche, dass die politische Zielsetzung der Irenik deutlicher beachtet werden müsse. Methodisch zeigt sie einen interessanten Zugang, indem sie aus und anhand einer Bibliographie toleranz- und unionsorientierter Werke einen Begriff von Irenik im Diskurshorizont um 1600 erschließt (71 f.) und nicht normativ der Untersuchung vorgibt.
Christopher Voigt-Goy widmet sich in zwei Beispielen lutherischen Fakultätsgutachten zu Fragen reformierter Religionsausübung in gemischt-konfessionellen Territorien vor 1648. Darin wird deutlich, wie die lutherischen Universitätstheologen recht flexibel auf konkrete – teils sehr komplexe – Verhältnisse vor Ort in der Auslegung und Anwendungsempfehlung ihres Bekenntnisses reagieren konnten. Diese Beobachtung ließe sich dann noch auf den eigentlich unflexiblen lutherischen Bekenntnis-Begriff beziehen.
Den Horizont erweitert Malte van Spankeren mit einer Darstellung der Wahrnehmung des Islam im deutschen Protestantismus um 1683. Nach einigen Begriffsklärungen und der Darstellung der bisherigen Entwicklung kann er anhand zweier Schriften (P. Nicolai, H. Ammersbach) illustrieren, wie prägend Luthers Position war. Papst und »Türcke« wurden weiter antichristlich parallelisiert und zugleich zur Diskreditierung des konfessionellen Gegners funktionalisiert. Damit zeigt sich, wie Wahrnehmungsformationen auch ein Erbe heroischer Ahnherren sein können.
Anschließend an diesen Beitrag widmet sich Viktoria Franke der Wahrnehmung der »Türken« bei Friedrich Breckling, der für sie ein »Spiritualist« (110) ist. Als Grundlage werden drei Vor- bzw. Nachreden zu Schriften anderer Autoren herangezogen. Hier lässt sich neben der bekannten Inszenierung der »Türken« als Rute Gottes auch eine Wahrnehmung als moralische Wesen beobachten, die in ihrer religiösen Toleranz den Adressaten weit überlegen sind. Ob dies eine »positive Würdigung« darstellt oder vielmehr die Verwendung eines Argumentationstopos, der die Türken als arges Übel allgemein anerkannt voraussetzt und dies dazu benutzt, den Adressaten ihre eigene Verkommenheit vor Augen zu führen, wäre zu diskutieren (124).
Wie ging die reformierte Orthodoxie mit Vertretern eines Cartesianismus um? Diese Frage beleuchtet Kai-Ole Eberhardt am Beispiel Christoph Wittichs und seines Lehrers Samuel Maresius. Beide – zu Gegnern geworden – berufen sich auf die gleiche Basis (144), wählen aber ganz andere Maximen zur Ausarbeitung dieser Grundlage (alt-neu, Wahrheit). Damit weist er auf eine wichtige Dimension im komplexen Verhältnis von Selbst- und Fremdwahrnehmung hin.
Schön lesbar, informiert und klar begegnet der Beitrag von Arne Karsten zur Rolle der (prominenten) Konvertiten im Rom des 17. Jh.s: Lucas Holsten, Landgraf Friedrich von Hessen und Königin Christina von Schweden. Dabei wird deutlich, dass gerade die adligen Konvertiten als »Trophäen« pompös inszeniert wurden, aber ein wirklicher Gewinn langfristig nicht gewesen sind (156 f.). Interkonfessionelle Kommunikation verlief also auch öffentlichkeitswirksam inszeniert.
Interdisziplinär bereichernd und im Band benutzte Begrifflichkeiten allererst germanistisch scharf umreißend zeigt Nina-Maria Klug überaus kenntnisreich (die Anmerkungen sind dem Umfang nach ein eigener Beitrag) die Notwendigkeit auf, in der Frage nach Selbst- und Fremdwahrnehmung die Konstruktion dieser durch die Kommunikation in den Blick zu nehmen. Diese finden wir in Texten und sie vollzieht sich ex negativo als Abgrenzung der anderen Konfession (158). Klug zeigt, wie Bild und Sprache im Flugblatt eng zusammenhängen, und profiliert die bedeutende Rolle in der Kommunikation des 16. und 17. Jh.s, die semiotischen Vorteile, um dann abschließend anhand einiger Beispiele die Argumentationsmuster des konfessionspolemischen Flugblattes zu analysieren, die über Kürze (als brevitas) und Wiederholung, die Verwendung von Metaphern vor allem auch über den Anschluss an unstrittiges kollektives Wissen funktionieren (176). Wiederkehrende Topoi lassen sich in den Argumentationen beobachten, die ihre Kraft allerdings erst dadurch gewinnen, dass sie eine »Antwort auf seine existenzielle Frage nach der heilsnotwendigen Abwehr des Teufels im Glauben an die eigene […] Konfession« (183) bieten.
Maren Bienert beschließt den Band mit einigen horizonter-weiternden Überlegungen zur theologischen Wahrnehmung des 17. Jh.s bei R. Seeberg, K. Holl und E. Hirsch. Darin lässt sie sinnvollerweise die drei Theologen ausführlich selbst zu Wort kommen und verzichtet auf große interpretierende Eingriffe. Hier eröffnet sich ein ertragreiches Feld zur näheren Erforschung der Bedeutung des 17. Jh.s für die Identitätsgeschichte des Protestantismus.
Insgesamt bietet der Band so Vielversprechendes, und es ist ab­zuwarten, was der demnächst erscheinende Abschlussband des mittlerweile ausgelaufenen Netzwerkes an Fortschritten wird präsentieren können. Verdienstvoll ist der Impuls in jedem Fall und wird gewiss der Erforschung des 17. Jh.s einige Bewegung verlei-hen können, wenn auch sicherlich nicht alle hier erhofften Klärungen in kurzer Zeit erreicht werden können.