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Ausgabe:

Mai/2020

Spalte:

409–411

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Knoppers, Gary N.

Titel/Untertitel:

Judah and Samaria in Postmonarchic Times. Essays on Their Histories and Literatures. Century.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XI, 333 S. = Forschungen zum Alten Testament, 129. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-156804-6.

Rezensent:

Benedikt Hensel

Gary N. Knoppers, der leider bereits 2018 verstorben ist, kann mit Recht als ein Wegbereiter der modernen Samaritanerforschung gelten. Gut drei Jahrzehnte publizierte er kontinuierlich Beiträge über Samaria aus historischer, religionsgeschichtlicher und literaturgeschichtlicher Perspektive. Diese Erkenntnisse mündeten in seiner 2013 publizierten Monographie »Jews and Samaritans. The Origins and History of Their Early Relations«, Oxford ein. Diese stellt die Geschichte der samarischen Jahwisten vom 8. Jh. v. Chr. bis in die hellenistische Zeit dar – auch und gerade in ihrem Verhältnis zur JHWH-Gruppe in der Nachbarprovinz Juda. K.s Arbeit kann schon jetzt als Standardwerk für die Samaritanerforschung, wie auch für all diejenigen gelten, die sich mit der persischen und hellenistischen Zeit beschäftigen. Eine Grunderkenntnis, die für die Forschung prägend war, sei besonders betont: K. konnte histo risch fein herausarbeiten, dass das Geschick der Bewohner des Nordreichs nach 722 v. Chr. eben nicht durch die in der jüdischen Literatur (vor allem bei Josephus, aber auch bereits in den polemischen verzerrenden Berichten 2Kön 17; Esr 4) aufgerufene ethnische, kultische und kulturelle Diskontinuität geprägt ist. Vielmehr kann K. auf die kulturelle Kontinuität in der Region verweisen. Selbstverständlich gab es durch die assyrische Eroberung gewisse Ab- und Umbrüche in der Region, doch fallen die im Kern nicht anders aus, als man sie für das knapp 150 Jahre später eroberte Juda auch annimmt. Der Norden ist nur in der Geschichtsreflexion bestimmter alttestamentlicher Texte vollständig untergegangen. Die Samaritaner sind eben kein »late arrival« im perserzeitlichen Juda und Samaria, und damit – so K. – eine ernstzunehmende Größe neben und auf Augenhöhe mit Juda.
Der nun vorliegende Sammelband setzt bei den Grundeinsichten der 2013er Publikation an und erweitert, vertieft und aktualisiert die dort gewonnenen Erkenntnisse. Der Band umfasst elf selbständige Artikel aus der Feder K.s (hier »Chapter« genannt), die in drei Themenkreisen unter »Part One: Oppositions and Alliances« (15–127), »Part Two: Tempel Matters« (129–193) und »Part Three: Altered Altars« (195–299) versammelt wurden. Vier Artikel hierunter waren bereits früher publiziert (Chapter Two = »YHWH is Not with Israel …«, 1996; Chapter Three = »Aspects of Samaria’s Reli-gious Culture …«, 2010; Chapter Four: »Samaritan Conceptions of Jewish Origins …«, 2013; »The Samaritan Schism or the Judaization of Samaria? …«, 2012). Es ist K. zu danken, dass er die Beiträge nun hier, an einem Ort, in aktualisierter Form und thematisch gut eingeordnet, zugänglich macht, da sie zu den grundlegenden und prägenden Beiträgen der jüngeren Forschung gehören.
Das Format der Rezension verbietet eine Detailanalyse aller Beiträge, folgende Aspekte können aber hervorgehoben werden: Im ersten Teil »Opposition and Alliances« beschäftigt sich K. in detaillierter Weise in vier Beiträgen mit den unterschiedlichen Aspekten der Interaktionen, Konflikte und Verwerfungen zwischen Juda und Samaria, die das Bild der persischen und hellenistischen Zeit prägen. Nochmals gelingt es K. zu zeigen, wie gerade die Darstellungen der Bücher Esra-Nehemia und der Chronik eine historisch verzerrende Reflektion der Wirklichkeit wiedergeben, bzw. wie diese biblischen Bücher ganz ihre judäisch-jüdische Sichtweise preisgeben, und in diesem Sinne – dies kann K. gleich an mehreren Texten z eigen (insbesondere an Esr 1–6; »Chapter One: Archenemies? Samarians and Judeans in the Early Persian Period«, 15–35) – zur Formierung judäischer Identität in persischer Zeit dienen, indem sie sich eben an ihrer samarischen Geschwistergemeinde intellektuell (und auch polemisch) abarbeiten. K. nimmt hier die sich seit 2013 entwickelnde Samaritaner-Diskussion (z. B. Pummer, Heckl, Hensel) auf und betont (anders als noch in »Jews and Samaritans«), dass der in der antiken Literatur apostrophierte Antagonismus zwischen Juda und Samaria eher einer Phänomen des vorgerückten 4. Jh.s v. Chr. ist, nicht etwa bereits der gesamten persischen Zeit. Für die Hauptphase der persischen Periode rechnet K. nämlich zu Recht mit komplexen und facettenreichen Interaktionsprozessen zwischen Juda und Samaria, die nicht zuletzt auch in die Koproduktion des gemeinsamen Pentateuch einmünden.
Im dritten Teil des Buches (»Altered Altars«) stehen dann die konzessiven Textstrategien im Pentateuch (insbesondere im Deuteronomium) und wie diese in den unterschiedlichen Überlieferungstraditionen ideologisierend angepasst oder umgedeutet wurden, als dieser Konsensus nicht mehr bestand. Die vier Artikel dieses Teils bieten der interessierten Leserschaft nicht nur viele Detailkenntnis über die einschlägigen Textbelege in dieser Diskussion (z. B. Ex 20; Ex 27,1–8; Dtn 12; 27,2–13; 2Sam 7,1–16; 2Chr 17,1–15; Jos 8,30–35 MT; Jos 9,2a–f LXX; Jos 24,1–27); K. weitet seine Beobachtungen auch – und dies ist begrüßenswert – auf spätere jüdische (u. a. Pseudo-Philo und Josephus; siehe: »Chapter Eight: Altared States: Rewriting the Constituiton in Josephus’ Antiquitates Juda-icae«, 195–221; »Chapter Nine: Altared History: Israel’s Four Altars in Josephus’ Reworking of the Joshua Story«, 223–245; »Chapter Ten: The Altered Altar: Sacred Geography in Pseudo-Philo’s Biblical Antiquities«, 247–273) und samaritanische Traditionen und Perspektiven (»Chapter Eleven: The Samaritan Tenth Commandment: Origins, Content, and Context«, 275–299).
Die drei Beiträge des zweiten Teils (»Tempel Matters«) können als Herzstück des vorliegenden Bandes gelten, beschäftigen sie sich vornehmlich mit den archäologischen Evidenzen im Kontext des samarischen Hauptheiligtums auf dem Garizim und stecken voller neuer Erkenntnisse. Zwar hat das Ausgrabungsteam um Y. Magen seit 2010 keine Publikationen mehr zum Garizim veröffentlicht, doch stehen noch eine Menge Fragen derzeit zur Debatte, derer sich K. annimmt: Handelt es sich beim Heiligtum auf dem Garizim um das Zentralheiligtum der Samarier mit überregionaler Bedeutung oder um eine kleinere und gerade in persischer Zeit nur okkasionell frequentierte Anlage (etwa zu Wallfahrtsfesten?)? Gab es ein tatsächliches Tempel- Gebäude auf dem Berg (archäologisch belegt ist keines; aber die Inschriften und die antiken Literaturen lassen anderes vermuten) oder handelt es sich um ein Freilichtheilig-tum? Insbesondere innovativ und erkennntnisreich ist der Beitrag »Chapter Six: Were the Jerusalem and Mt. Gerizim Temples the Economic Epicenters of Their Provinces? Assessing the Textual, Ar-chaeological, and Epigraphical Evidence« (153–175), in dem K., am Exempel des Garizim und seiner aus der materiellen Evidenz abzuleitenden ökonomischen und administrativen Rolle, behutsam eine Fülle von bedenkenswerten Rückschlüssen über die Rolle des Jerusalemer Tempels in persisch/hellenistischer Zeit entwickelt.
Einmal mehr zeigt K. in diesen Kapitel (und dies kann dann auch für den gesamten Band gelten), wie bedeutsam der Befund am Garizim und in Samaria nicht nur für das Geschick der Sama-ri(tan)er zu gelten hat, sondern dessen Studium insbesondere auch der historischen Entschlüsselung der gesamten persischen und hellenistischen Zeit (und damit der Nachbarprovinz Jehu) dient.
Der sehr zu empfehlende Band schließt mit ausführlichem Quellen-, Autoren- und Themenregister.