Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2020

Spalte:

358–360

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Link, Hans-Georg

Titel/Untertitel:

Bausteine für unsere ökumenische Zu­kunft. Erfahrungen und Vorschläge von Vancouver 1983 bis Karlsruhe 2021.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt; Paderborn: Bonifatius Verlag 2019. 444 S. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-3-374-06067-2 (EVA); 978-3-89710-836-3 (Bonifatius).

Rezensent:

Manfred Richter

Mit diesem Werk gibt Hans-Georg Link einen weiteren Anstoß, die ökumenische Verständigung voranzutreiben. Er war langjähriger Mitarbeiter beim Weltrat der Kirchen in Genf und deutscher Sekretär bei »Faith and Order«, der dort insbesondere für dogmatische Fragen zuständigen Kommission, in der es auch eine formelle rö­misch-katholische Beteiligung gibt. Aus dieser Arbeit stammt etwa sein »Handbuch zum Apostolischen Glauben – Gemeinsam glauben und bekennen« (1987). Als Ökumenepfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland förderte er in Köln die Zusammenarbeit der Gemeinden vor Ort. Bis soeben war er Leiter der deutschen Sektion der Internationalen ökumenischen Vereinigung (IEF, Interna-tional Ecumenical Fellowship), die bei den beispielhaften Begegnungstreffen ihrer Mitglieder aller Konfessionen gemäß ihrem Motto »heute die Kirche von morgen« lebt – zuletzt 2017 in Wittenberg (mit Feier der von »Faith and Order« 1982 erarbeiteten sogenannten Lima-Liturgie) und 2019 in Krakau, allenthalben bemüht, das Terrain für die Kirche von morgen aufzulockern.
Aus eingeübter Praxis dieser zukunftsweisenden Vereinigung gingen mehrfach wichtige Schriften hervor, wie schon zum Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003, zur ebenso theologischen wie pastoralen Fundierung der längst vielfach praktizierten ökume-nischen Gastfreundschaft auch beim eucharistischen Mahl. »Zeit zur Versöhnung« forderte auf, den Kairos zu ergreifen, der mit den Ergebnissen der Forschungsarbeit für das Reformationsgedenken »2017« und dem ökumenischen Perspektivenwechsel auf die Kirchengeschichte erreicht war. Den auch von kirchenamtlichen Be­kundungen des Versöhnungswillens geweckten, seither freilich nicht eingeholten Erwartungen geht dieses Buch noch einmal nach und unterzieht sie erneuter Prüfung der Realisierungschancen. Seine Intention kann man zusammengefasst sehen im Schlusskapitel V (365 ff.) »Aussichten – Perspektiven am Beginn des neuen Jahrtausends«, abschließend konkretisiert in »Vom Aufbruch zum Durchbruch?« (419 ff.). Hier werden Aufgaben für die Jahre 2020–2021 genannt.
Das Buch ist schon deswegen hilfreich, weil es an die vielen mühsam erarbeiteten früheren Entscheidungen und oft auch Ab-irrungen von einem erklärten ökumenischen Willen erinnert, der sich nicht selten konterkarieren ließ durch ge­gensätzliche Impulse zu konfessioneller Selbstbewahrung, in Anspruch genommener Exklusivorthodoxie und durch unausgesprochene, mit historischen oder dogmatischen Ansprüchen verschleierte Machtkämpfe. Hierzu versammelt L. Veröffentlichungen aus drei vergangenen Jahrzehnten, in denen er schon immer wacher Berichterstatter und zuweilen ungeduldiger Kommentator ökumene-politischer Vorgänge war. Als solcher bewährt er sich nun weiterhin.
Kurvenreiche Wege werden in Kapitel II (81 ff.) nachgezeichnet anhand der von L. selber mitbegleiteten Vollversammlungen des Weltrats der Kirchen von der 6. in Vancouver 1983 bis zur 10. in Busan, Korea, 2013. Hier wird etwa, wie auch in L.s systematisch wichtiger Studie »Die un-vollendete Reformation« (2016), der wachsende Stellenwert des Konzilsgedankens für das ökumenische Gespräch herausgearbeitet. Es wird gezeigt, wie sich dieser seither gewissermaßen »verflüssigt« hat, so dass von einem »konziliaren Prozess« gesprochen wird, was die kirchenrechtliche Fixierung des Begriffs aufhebt und alle Ebenen kirchlichen Handelns zur Mitwirkung verpflichtet. Nicht länger kann so der Verweis auf eine (nicht) einberufende hierarchische Autorität ökumenische Selbstgenügsamkeit entschuldigen. Wir finden hier einen Aufruf »zu einem allgemeinen, freien, christlichen Konzil« (381 ff.) (das gerade die Protestanten, die es immer forder[t]en, unter sich selber noch nie zugestandegebracht haben!).
In Kapitel III (147 ff.) werden L.s theologische Beiträge zu »Kernfragen der ökumenischen Bewegung« vorgestellt. Hieraus sei verwiesen auf »Ökumenische Sternstunde und verpasste Chance«, womit die 1982 von »Faith and Order« einstimmig verabschiedete Erklärung zu »Taufe, Eucharistie, Amt« gemeint ist, die von den Kirchen nicht angemessen honoriert wurde. Er plädiert hier für Wiederaufnahme des Rezeptionsprozesses. Ein Beitrag hebt die Bedeutung der orthodoxen Kirchen für die Westkirchen hervor. Ein anderer fordert »Pastorale Konsequenzen« aus der (zwischen Vatikan und Lutherischem Weltbund) 1999 einvernehmlich verabschiedeten »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre«.
Letztlich zielt das Buch auf gegenwärtiges Handeln. So folgen in Kapitel IV (287 ff.) »Thesen zu aktuellen Anlässen und Herausforderungen«, die der Autor meist sieben-, einmal siebenundzwanzigfach (zusammen mit Johannes Brosseder, zu »Kirchengemeinschaft jetzt!«) bei verschiedensten Gelegenheiten gemeindeaktivierend vortrug. 9,5 Thesen wurden es bei »Was heißt Reformation heute?« Wo Luthers »Was Christum treibet« nicht mehr trennt, sondern verbindet und auch sein zuletzt »blinder Papsthass« auf ein angemessenes Debattenniveau überführt werden kann (auch an Rahner/Fries’ Gedanken über Verzicht auf Verdikte wird erinnert), weist die Forderung nach einer »ökumenischen Reformation« nach vorn, in der »die beteiligten Kirchen und Christen miteinander einen Lernprozess beginnen, konziliar zu denken, zu leben und zu handeln«.
In »Perspektiven am Beginn des neuen Jahrhunderts« (Kapitel V, 365 ff.) wird etwa die nähere Zusammenarbeit von »Genf« und »Rom« angemahnt. Mit seinem »Ausblick« (419 ff.) für die Gegenwart, die Jahre 2020/2021, gibt L. noch ein nicht unbescheidenes Arbeitsprogramm vor. Dahinter steht die Frage, ob es (warum nicht jetzt?) »vom Aufbruch zum Durchbruch« komme. Während das Jahr 2020 zu möglichst ökumenisch gemeinsamer Lektüre von Luthers großartigen Hauptschriften von 1520 genutzt werden sollte, steht gleich zu Beginn des Jahres 2021 an, des Bannspruchs gegen Luther zu gedenken, aber so, dass es dessen Nachwirkung bis heute – bannt. Das wird hier empfohlen. Es gäbe Aufwind dem Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt a. M. wie der XI. Vollversammlung des Weltrats der Kirchen in Karlsruhe und Straßburg.
Im Eingang stehen (Kapitel I, 33 ff.) »Besinnungen zu Schlüsselfragen christlicher Existenz« – um deren Gelingen es immer gehen muss. Dem geht voraus eine Meditation L.s über die Fürbitte Jesu in Joh 17, »alle sollen eins sein«. Nur hier, wird vermerkt, aber hier fünf Mal, kommt diese verbale Verbindung im Neuen Testament vor. Dies Eins-Sein meint »ein Miteinandersein von Menschen«, be­zogen auf »den einen Gott, den einen Kyrios und den einen Geist« (22), es ist heute »verwirklicht in der Gemeinschaft verschiedener Teilkirchen innerhalb der einen Kirche Jesu Christi«. Der Einheitsbegriff, wie seit Ignatius im 2. Jh. und dann lange im römischen Denken üblich, ist dem Neuen Testament fremd. So ist es im Sinne des hohepriesterlichen Gebets Jesu »angemessener, vom personalen Eins-Sein zu sprechen«, von »de[n] verschiedenen Menschen und der Gemeinschaft der Kirchen (communio ecclesiarum)« angemes-sener als von allgemeiner »Einheit in Vielfalt« oder »Einheit in versöhnter Verschiedenheit« (23). Bausteine für die Gestaltung des »Eins-Seins in Gemeinschaft« sind hier reichlich zusammen­-getragen.