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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

331–332

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Freudenberg, Matthias, u. Georg Plasger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Barth lesen. Zentrale Texte seines Denkens.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zü­rich 2019. 346 S. m. Abb. Kart. EUR 26,90. ISBN 978-3-290-18209-0.

Rezensent:

Martin Hailer

Man kann bedenklich finden, dass ein Band mit lesefreundlich aufbereiteten Barth-Texten für Gemeinden und Studiengruppen erst mit Hilfe von sechs Druckkostenzuschüssen (EKD, UEK, Evangelisch-Reformierte Kirche in Deutschland, zwei Landeskirchen, Karl Barth-Gesellschaft, 4) das Licht der Welt erblickte. Umgekehrt lässt sich von diesem Umstand auf ein nach wie vor breit gestreutes Interesse an der Weitergabe Barthscher Impulse schließen.
Die Herausgeber, die bereits gemeinsam eine Auswahl aus reformierten Bekenntnisschriften (Göttingen 2004) und ein Calvin-Lesebuch herausbrachten (Neukirchen-Vluyn22009), widmen sich der Aufgabe, aus Karl Barths riesenhaftem Werk eine repräsentative Auswahl vorzulegen, und dies so, dass die »theologisch schwere Kost« (10) auch und gerade Nichttheologen und -innen zugänglich wird. Zu diesem Zweck präsentieren sie in zwölf Kapiteln Textauszüge aus Barths Werk aus allen Perioden seines Schaffens und aus allen Werktypen. Die Gliederung wird systematisch ausgewiesen, lässt sich aber naturgemäß von der Entwicklung von Barths Werk nicht trennen: So geht es nach einer Auswahl aus autobiographischen Zeugnissen (1.) zunächst (»Mit dem Anfang anfangen«, 2.) um den Beginn mit den beiden Auflagen des Römerbriefkommentars und die Auseinandersetzung mit Adolf von Harnack und dann 3. um die Kontur der Wort-Gottes-Theologie in den 1920er und 1930er Jahren.
Sechs der insgesamt zwölf Kapitel werden anschließend zum Großteil mit Textauszügen aus der Kirchlichen Dogmatik be­stückt: 4. »Wesen und Aufgabe der Theologie« (hier aber u. a. die »Dogmatik im Grundriß« von 1947), 5. »Gottes Wesen und seine Gnadenwahl«, 6. »Schöpfung und Bund«, 7. die Christologie der Versöhnungslehre, 8. Anthropologie und 9. »das christliche Leben« mit Texten aus KD IV/4, genauso aber aus I/2 und II/2. Es folgen noch 10. »Kirche und Ökumene«, 11. »Kirche und Staat« sowie abschließend 12. Auszüge aus Predigten von 1916 bis 1963 samt homiletischen Überlegungen.
Jedes der Kapitel wird mit einer Einleitung der Herausgeber von zumeist zwei Seiten begonnen, einige wenige Namen und Anspielungen werden in Fußnoten erläutert. Das Verzeichnis von Literatur zu Barth nennt 17 Titel aus vier Jahrzehnten.
Die Einteilung in die genannten Themenfelder erscheint überzeugend, bedenkt man, dass nicht nur nachgerade inkommensurabel riesige Textmengen, sondern auch ein denkbar breit gestreutes thematisches Interesse Barths einer Sortierung zuzuführen sind, die sich an dem orientiert, was nichtakademische Studiengruppen interessant finden könnten. Rückfragen ergeben sich an die eine oder andere Auswahlentscheidung. Im Bewusstsein dessen, dass, wer auswählen muss, sich notwendig angreifbar macht, folgende Hinweise: Für die Anfangsphase der Dialektischen Theologie greifen die Herausgeber zwar auf die Harnack-Kontroverse, nicht aber auf den Tambacher Vortrag zurück. Geht es aber wirklich ohne die berühmte Formel, dass der Christ in der Gesellschaft niemand anders als der Christus ist? Dies zumal, da wohl Barths erste Antworten an von Harnack, nicht jedoch dessen Fragen und/ oder Reaktion geboten werden, was der Auseinandersetzung die Schärfe nimmt. Ferner: Dass unter »Wesen und Aufgabe der Theologie« Passagen aus »Theologische Existenz heute!« zu Wort kommen, ist folgerichtig. Der Bezug auf diese Schrift fehlt aber durchaus im Kapitel »Kirche und Staat«, und zwar gerade, weil Barth in ihr bekanntlich Theologie und nur Theologie zu treiben gedenkt. Barths Theologie dürfte schon früher eminent politische Theologie gewesen sein, als Kommentar und Textauswahl es nahelegen. Auch kann man fragen, ob »Christengemeinde und Bürgergemeinde« zu­gunsten anderer Texte nicht arg knapp wegkam (304–307), aber dies geht endgültig in den Bereich editorischer Einzelentscheidungen hinein.
Nächst der Auswahl von Textausschnitten halten sich die Herausgeber stark zurück, was sich an den kurzen einleitenden Texten, der äußerst knappen Literaturauswahl und den nur wenigen Kommentaren in Fußnoten zeigt. Das erscheint stimmig, geht es in einem Lesebuch schließlich darum, den Autor selbst zu Wort kommen zu lassen. Insbesondere bei den Auszügen aus der Kirchlichen Dogmatik sind die Eingriffe aber doch recht stark, weil hier kaum ein Absatz ohne Auslassung und damit nur wenig zusammenhängender Text geboten wird. Meine eigene Lehrerfahrung mit Studierenden der Eingangsstufe und außerhalb der Hochschule würde es eher nahelegen, Ausschnitte von wenigen Seiten, diese aber im Zusammenhang zu bieten, um in die Denkbewegung Barths mit hineinzunehmen.
Diese redaktionelle Entscheidung steht zur Erprobung aus. Insgesamt aber ist eine kenntnisreiche Auswahl anzuzeigen und überdies zu hoffen, dass Barth über das groß begangene Jubiläumsjahr hinaus außerhalb der Spezialdiskurse wahrgenommen und gelegentlich selbst gelesen wird.