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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

316–317

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Vollstädt, Michael

Titel/Untertitel:

Muße und Kontemplation im östlichen Mönchtum. Eine Studie zu Basilius von Caesarea und Gregor von Nyssa.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2018. 376 S. = Freiburger theologische Studien, 184. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-451-38067-9.

Rezensent:

Barbara Müller

Bei diesem Buch von Michael Vollstädt handelt es sich um eine Dissertation, die an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg i. Br. im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1015: »Muße. Konzepte, Räume, Figuren« (Teilprojekt »Muße als Lebensform in der Spätantike: Theoría und monastische Theorie«) entstanden ist. Der Vf. ordnet seine Arbeit entsprechend in den Projektkontext ein, u. a. komplementär zur Untersuchung von Andreas Kirchner, Dem Göttlichen ganz nah: »Muße« und Theo-ria in der spätantiken Philosophie und Theologie, Tübingen 2018 (20 f.). Nach einleitenden Bemerkungen zur Bedeutung und Be­grifflichkeit von Scholê (Muße) und Theoría (Betrachtung) ist je ein Hauptteil Basilius von Cäsarea bzw. Gregor von Nyssa gewidmet. Die Aus wahl der Autoren begründet der Vf. mit ihrer herausragenden Bedeutung »für die Ausbildung der Trinitätslehre, aber auch für die Inkulturation der paganen Bildung« (21).
Die Ausführungen über Basilius teilen sich in Analysen der »öffentlichen Bedeutung der basilianischen Theologie« (27–110) sowie des »asketischen[n] Wirken[s] des Basilius« (111–148). Der Vf. fragt etwa nach dem Verhältnis von Verkündigung und Muße und charakterisiert Letztere als »Bedingung […], um sich der Predigt zuwenden zu können.« (30) Der Vf. konstatiert, dass Scholê bei Basilius entscheidend ist für das rechte Verhältnis des Menschen zur Welt und zu Gott. Muße, verstanden als innere Grundausrichtung und richtiger Zeitvertreib, erweist sich damit als kritische Größe der Gottesbeziehung. Der Vf. geht hier auch auf Basilius’ Kritik an nicht-christlichen Lehren und dem dortigen Mußeverständnis ein. Weitere Analysen betreffen »Das Vorbild des Mose« (83–110). Der im engeren Sinn monastische Blick auf Basilius fokussiert dessen As­ketikon. Dabei nehmen auffälligerweise die Ausführungen zu Muße im Koinobion nur 15 Seiten ein, und der Vf. kommt zum Schluss, dass das Koinobion für Basilius nur bedingt einen Ort der Muße bildet, allein das Fehlen jeglicher Textstellen spricht dafür (145). Scholê erscheint für Basilius primär mit dem individuellen asketischen Weg verbunden. Und ist somit – meine Zuspitzung – für das koinobitische Ideal des Basilius wenig relevant. Dies ist kein destruktiver Befund, sondern aufschlussreich für die Erforschung des frühen Mönchtums, das derzeit maßgeblich in der Perspektive der antiken Philosophie und Bildung erforscht wird (vgl. S. Rubenson; P. Gemeinhardt). Als aktiver Kirchenmann und Organisator des Mönchtums distanzierte sich Basilius aber offensichtlich vom philosophischen Mußeverständnis.
Gregor von Nyssas Verständnis von Scholê unterscheidet sich an wesentlichen Punkten von demjenigen des Basilius. So bezieht sich Gregor oft im häresiologischen Kontext (gegen Eunomius) auf Muße. Für Gregor ist die Theologie des Eunomios Ascholía (wie Gregor überhaupt den negativen dem positiven Begriff vorzieht), d. h. ein unsinniges Bemühen, da auf irrigen Prämissen wie der ultimativen Kommunizierbarkeit Gottes basierend. Nach Gregors Gegner Eunomius wendet sich der Vf. dessen Schwester und Lehrerin Makrina zu. Hier zeigen sich nun ein enges Verhältnis von Scholê und Theoría sowie ein typologischer Bezug zu Elija. Gregor verknüpft Scholê und Theoría weit häufiger miteinander als Basi-lius. Umfangreiche Ausführungen sind dem »unaufhörlichen[n] Aufstieg zu Gott« (231–280), die letzten Abschnitte der Frage nach der mystischen Theologie Gregors gewidmet. Diese gipfelt gerade nicht in der Höhe, sondern die Verähnlichung mit Gott erfolgt in der tätigen Nächstenliebe. »Hier lässt sich eine Parallele zum Koinobion des Basilius ziehen […].« (296) Gefragt ist dann auch bei Gregor letztlich nicht ein ruhiges Leben in Muße, sondern die positiv konnotierte Ascholía »als Umsetzung oder Vollzug der bereitgestellten Muße (σχολή), um sich dem Nächsten zuwenden zu können« (297, kursiv Vf.).
In der Gesamtschau (302–310) zeigt sich, dass Gregor mehr den »dynamischen Aspekt der Muße […] ins Zentrum [rückt], Basilius hingegen weist eher auf die Nähe der Muße […] zur Ruhe (ἡσυχία) oder zum Schweigen (σιωπή)« hin (305). Christliche Muße ist überdies dynamisch: »Dieser dynamisch-aktive Grundzug der Muße […] wurde immer wieder […] hervorgehoben, weil in der Forschungsliteratur, aber auch in der Antike, die Muße […] immer wieder mit Untätigkeit […] in Verbindung gebracht wird. Dieser Bezug ist jedenfalls für die behandelten Autoren nicht aufrechtzuerhalten, vielmehr ist die enorme Dynamik der Muße hervorzuheben […].« (305) Im Hinblick auf das Monastische zeigt sich eine Ambivalenz: Insofern als für beide Autoren letztlich nicht das eremitisch-kontemplative Ideal erstrebenswert ist, sondern aktive Nächstenliebe, figuriert die Muße somit als Zwischenetappe. Der Vf. formuliert abschließend Forschungsdesiderate und fügt einen Anhang mit wortstatistischen Tabellen an.
Hervorzustreichen ist das spürbare Bemühen des Vf.s, exakte Quellenarbeit zu leisten. Die Ergebnisse sind im Hinblick auf Basilius und Gregor von Nyssa spannend, ebenfalls in ihrem Kontrast zur paganen Philosophie, der bedauerlicherweise nicht ausgebreitet wird. Die forschungsorganisatorische Begründung für diese Auslassung leuchtet allenfalls sekundär ein.
Eine Anfrage bleibt an die Grundkonzeption des Buches: Der Obertitel »Muße und Kontemplation im östlichen Mönchtum« entspricht nicht dem im Buch Gebotenen. Dies ist keine Haarspalterei; denn Gregor von Nyssa ist dem östlichen Mönchtum im engeren Sinne nicht zuzuordnen, und (auch) bei Basilius zeigt sich gerade als ein Resultat der Studie, dass sich Muße mit dem individuellen Gottstreben und dem eremitischen Lebensstil verbindet, der wiederum beim späteren und letztlich für das östliche Mönchtum traditionsbildenden Basilius gegenüber dem koinobitischen Leben verblasst (vgl. die These des »Folgemodell[s]«, 128). Überhaupt stellt sich die Frage nach der Auswahl der untersuchten Autoren.
Der Verweis auf die Wichtigkeit Basilius’ und Gregors von Nyssa überzeugt nur bedingt (21): Warum wurde etwa Gregor von Nazianz nicht zusätzlich oder anstelle Basilius’ oder anstelle Gregors von Nyssa einbezogen? Eine weitere, damit verbundene grundlegende Anfrage betrifft die in der Grundthese der Arbeit vorfindliche Vorstellung der monastischen Lebensweise, nämlich: »Das Koinobion erscheint […] als derjenige Ort, der paradigmatisch die Bedingungen erfüllen müsste, dem Asketen ein Leben in Muße (σχολή) und Kontemplation (θεωρία) zu ermöglichen.« (13) Die koinobitische Präferenz trifft bei Basilius sicher zu, leitet sich je­doch von ihm ab. Ausgehend von der Frage nach dem östlichen Mönchtum (s. Titel!) drängt sie sich im 4. Jh. jedoch nicht per se auf. Warum ist das anachoretische Leben von vornherein ausgeschlossen? Hier wäre ein Blick in das Werk des Evagrios Pontikos reizvoll, dem in die ägyptischen Anachoretensiedlungen emigrierten Zögling des Basilius und Gregors von Nazianz.
Insgesamt bietet die Studie interessante Ergebnisse, die allerdings noch viel sprechender würden, würden sie philosophisch und historisch kontextualisiert.