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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

311–313

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Krautheim, Frauke

Titel/Untertitel:

Das öffentliche Auftreten des Christentums im spätantiken Antiochia. Eine Studie unter besonderer Berücksichtigung der Agonmetaphorik in ausgewählten Märtyrerpredigten des Johannes Chrysostomos.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XI, 304 S. = Studien und Texte zu Antike und Chris-tentum, 109. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-16-155369-1.

Rezensent:

Michael Wenz

Diese an der Humboldt-Universität angenommene Dissertationsschrift ist eine der vielen Früchte des Berliner Excellence Clusters Topoi I, an dem von 2007 bis 2019 über 800 Wissenschaftler in interdisziplinärer Zusammenarbeit das Wechselspiel von Raum und Wissen in der Antike untersuchten. Frauke Krautheims Arbeit entstand in der Research Group B-III-2 Diversity of Places, die Formen der Entwicklung des Christentums vor dem Hintergrund der vorgegebenen und zugleich sich wandelnden antiken Infrastruktur im Sinne von Integration und Transformation erforschte. Untersuc hungsgegenstand K.s ist der Einsatz von Agonmetaphorik bei Johannes im Rahmen seiner Strategie zur Durchsetzung einer christlichen Dominanz im öffentlichen Raum. Dabei fragt sie nach den topographischen und soziokulturellen Bedingungen des An­tiochia im späten 4. Jh. (Teil I) und analysiert eingehend die Agonmetaphorik bei Johannes (Teil II).
Der ausführlichen und lebendigen Beschreibung der Topographie Antiochias (2.2) vorgeschaltet ist eine Klärung des Öffentlichkeitsbegriffs samt seiner antiken griechischen und lateinischen Äquivalente (2.1). K. folgert: »Öffentlichkeit ist […] eine sprachliche Konstruktion von räumlichen, soziokulturellen und sprachlichen Wirklichkeiten, die sinnhaft aufeinander bezogen sind.« (21)
Bereits in Kapitel 2 klingt immer wieder an, dass die Zeit des Antiocheners von agonistischen Motiven und Realien bestimmt war. So bestanden nicht nur die Olympischen Spiele Antiochias selbst aus Wettkämpfen, sondern auch um die Übernahme von öffentlichen Aufgaben im Rahmen derselben wurde gerungen. Johannes wiederum beklagt, dass sich bei seinen Hörern die Na­men der wettstreitenden Pferde im Hippodrom eher einprägten als die der alttestamentlichen Propheten. Durch den Bau von Kirchen und Martyrien trat das Christentum schließlich ein in den Kampf um die Beherrschung des öffentlichen Raums in Antiochia.
Nach der Darlegung des Agonbegriffes in der klassisch-griechischen, hellenistisch-jüdischen und christlichen Literatur (2.3) be­schreibt K. das Ringen um den öffentlichen Raum anhand der Homilien über den Märtyrer Babylas (3.). In Kapitel 4 gibt sie einen biographischen Abriss des Johannes, legt die Predigtsituation mit besonderem Schwerpunkt auf die Märtyrergedenktage dar und reflektiert die Funktionsweise und die Funktionsebenen von Metaphern. Diese Ebenen, die von Autorisierung und Illustration über Provokation von Verstehensleistungen bis hin zu Argumentation und Paränese reichen, durchdringen die Analyse der Agonmetaphorik in den Homilien über den Märtyrer Romanus (5.) und die Makkabäischen Brüder (6.).
Nachdem K. in Kapitel 5 tiefere Einblicke in das Training und die sportlichen Wettkämpfe, wie sie einem Hörer des Johannes vertraut gewesen wären, gegeben hat, analysiert sie eingehend Ab­schnitte aus den Homilien. Nicht nur Gott und Christus, sondern auch der Märtyrer Romanus ist nach Johannes Trainer für den Christen. Gewinnt der Märtyrer durch seine Disziplin und Standhaftigkeit den Siegeskranz, so hat daran auch die christliche Ge­meinde als seine Heimat Anteil und freut sich mit. Die Rollen können dabei durchaus wechselnd sein. So ist die Gemeinde einmal Zuschauer, dann wieder selbst Teilnehmer am Wettkampf. Die Märtyrergedenktage rüsten zu für den Kampf gegen die Dämonen und der Märtyrer soll durch das Bekenntnis zu Christus und den alltäglichen Agon nachgeahmt werden. Wie K. resümiert, stellt Jo­hannes durch die Agonmetaphern »eine communio seiner Gemeinden mit den lokalen Märtyrern her.« (185) Die Metaphorik wirkt vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen in der Öf­fentlichkeit identitätsbildend.
In den Homilien zu den Makkabäischen Brüdern, die in Antiochia als christliche Märtyrer verehrt wurden, lässt Johannes wissen, dass im christlichen Agon das Teilnahmekriterium der Glaube und nicht das Mannsein ist und dass Christus, der schon die Rolle des Agonotheten, d. h. des Ausrichters, Stifters, Schiedsrichters und Preisverleihers, innehat, in paradoxer Weise zum Mitkämpfer und Begleiter der Christen wird. Das Martyrium der sieben Brüder und ihrer Mutter ist ein öffentliches Schauspiel, bei dem sich nicht nur die Engel, sondern auch die Predigthörer ins Publikum einreihen. Nach K. dient dieser Einsatz der Agonmetaphorik nicht nur der Paränese, die auf eine Abgrenzung von hellenistisch-paganen Traditionen zielt, sondern vor allem als Argument für die Beanspruchung des öffentlichen Raums durch die christliche Gemeinde.
In Teil III (Das öffentliche Auftreten des Christentums im spätantiken Antiochia) bündelt K. die Ergebnisse und ergänzt, dass Johannes sich selbst durch seine Predigten als Agonist betätigte. Sie arbeitet den ambivalenten Umgang des Antiocheners mit dem Agon heraus: Einerseits wandte er sich strikt gegen die öffentliche Vergnügungskultur seiner Zeit inkl. der sportlichen Wettkämpfe, andererseits setzte er die entsprechende Metaphorik in identitätsbildender Absicht ein. Beide Pole zielen auf die Transformation An­tiochias im Sinne seines Programms der Christianisierung.
Im Anhang folgen Quellen- und Literaturverzeichnis, Stellen-, Autoren- und Sachregister, die ausführlich und sorgfältig erarbeitet sind. Wünschenswert wäre gewesen, mehr Informationen über die Überlieferungslage der analysierten Quellen zu erhalten, nicht zuletzt da die zweite Märtyrerpredigt über Romanus zu den spuria gezählt wird (CPG 4510.). Die Aussage K.s, die Märtyrerkirche für die Makkabäischen Brüder in Antiochia sei ursprünglich eine Synagoge gewesen (69), wird später präzisiert: »Die vorliegenden Quellen […] identifizieren weder einen Kult noch eine Makkabäersynagoge in Antiochia.« (195)
Trotz dieser und weiterer Ungenauigkeiten (z. B. bei der Übersetzung der Predigtabschnitte ins Deutsche) steuert K. einen hilfreichen Beitrag bei zur Chrysostomosforschung im Besonderen und zur Diskussion um die Entwicklungen spätantiker christlicher Gemeinschaften und um die sich darin ausdrückende Interdependenz von Raum und Sprache im Allgemeinen. Die Wahl der Agonmetaphorik in den Märtyrerpredigten des Johannes als Un­tersuchungsgegenstand führt zu einem facettenreichen und anregenden Gesamtbild. K. vermag zu zeigen, dass »der Begriff Agon einen entscheidenden Beitrag zur Erschließung eines spätantiken Öffentlichkeitsbegriffs« (72) leistet.