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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

289–292

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Levin, Christoph, u. Reinhard Müller [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Herrschaftslegitimation in vorderorientalischen Reichen der Eisenzeit.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XI, 315 S. = Orientalische Religionen in der Antike, 21. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-3-16-154858-1.

Rezensent:

Rüdiger Schmitt

Der einleitende Beitrag von Joachim Friedrich Quack, »Ägyptische Einflüsse auf nordwest-semitische Königsrepräsentationen?« (1–65), untersucht kritisch die vor allem in der alttestamentlichen Wissenschaft immer wieder geltend gemachten Einflüsse ägyptischer Königstheologie insbesondere auf die judäische. Grundsätzlich stellt Quack fest, dass aus Ägypten vermittelte Konzeptionen in der gesamten Levante als »Unterströmungen« verfügbar gewesen seien, unmittelbarer Einfluss aber oft nur schwer evident zu ma­chen ist. Diese grundsätzliche Einsicht wird an Beispielen levantinischer Ikonographie, insbesondere aus der Glyptik, von Ägyptiaca im Gebrauch levantinischer Herrscher und Eliten, der Verwaltungsorganisation, den Weisheitslehren, der Figur des Königs in den Psalmen, der Königstitulatur und der Gattung Königsnovelle (Salomotradition) durchdekliniert.
Der relativ kurze Beitrag von Claus Ambos, »Rituale der Herrschaftslegitimation babylonischer und Assyrischer Könige« 67–76), untersucht die keilschriftliche Überlieferung des 1. Jt.s zur Herrschaftslegitimation, die Krönung, aber insbesondere die periodisch wiederholten Rituale zur Bestätigung bzw. Erneuerung der Herrschaftslegitimation im Rahmen der Neujahrsfeste. Ambos macht hierbei auf die Unterschiede dieser Rituale in Babylon und Assyrien aufmerksam und betont, dass es im Alten Orient keine einheitliche Königsideologie gegeben habe.
Karen Radner, »Assur’s ›Second Temple Period‹: The Restoration of the Cult of Aššur, C. 538 BCE« (77–96), untersucht das Problem der Kultkontinuität des Kultes des Gottes Assur bis ins 1. Jh. nach Christus nach der Zerstörung der Heiligtümer 612 v. Chr. Anhand textlicher und archäologischer Befunde macht sie eine assyrische »Second Temple Period« im Kontext der Religionspolitik Kyros des Großen geltend und liefert damit eine assyrische Analogie zum Zweiten Tempel in Jerusalem.
Paolo Xella untersucht in »Self-Depiction and Legitimation: Aspects of Phoenician Royal Ideology« (97–110) die phönizische Königsideologie primär aufgrund der Quellen aus Byblos (KAI 1, 4–7, 9–11) und Sidon (KAI 13–16). Ausgehend von den byblischen Polemiken gegen Tyros und Sidon in Ez 26,1–28,19 und 28,20–23 und dem dort für Phönizien unterstellten Gott-Königtum, argumentiert Xella im Hinblick auf die ugaritische Tradition und die Zeugnisse des 1. Jt.s auf die Kontinuität einer Apotheose oder Divinisierung der verstorbenen Könige. Die Annahme eines gottgleichen Status werde durch die Königsikonographie des 1. Jt.s ge­stützt, deren Attribute mit denen der Götter austauschbar seien. Während Xellas Beschreibung der Funktionen der phönizischen Könige als vicarius dei und seine Rolle als Garant der Prosperität (die sich von anderen westsemitischen Herrschern nicht unterscheiden) überzeugt, hält seine These einer quasi-göttlichen Repräsentation des Königs nicht stand, da deren Attribute sich doch deutlich von denen der Götter unterscheiden. Ob die Selbstprä-dikation der phönizischen Könige als Priester eine tatsächliche Funktion be­schreibt oder nur eine nominelle war, muss hier auch hinterfragt werden.
Ausgehend von der Funktion des Königs als Garant der Fülle der Natur, der Ernten und als Versorger seines Volkes untersucht William Morrow das Motiv »Famine as the Curse of Kings: Royal Ideology in Old Aramaic Futility Curse Series« (111–124) und kommt zu dem Schluss, dass die Versorgungsfunktion des Königs in den aramäischen Reichen aufgrund der prekären politischen und natürlichen Faktoren eine zentrale Rolle in der Königsideologie spielte. Dahinter stehe die Furcht, bei Missernten und Hungersnöte die eigene Legitimität zu verlieren.
Bob Becking analysiert in »A Voice from Accross the Jordan: Royal Ideology as Implied in the Moabite Stela« (125–145) zentrale Elemente der Königsideologie auf der Stele des Mesˇa von Moab. Be-cking charakterisiert nach der Untersuchung einzelner Aspekte der Herrschaftsideologie (wie dem Motiv des früheren Versagens von Mesˇas Vater, das mit dem Erfolg des Sohnes kontrastiert, dem Preis des Königs als Sieger und Bauherrn) die Stele als Gottesbrief, die die Herrschaft Mesˇas, seiner Dynastie und seines Stammes, der Diboniter, legitimiere und die Mehrung des Segens durch den Staatsgott Kamosˇ evoziere.
Angelika Berlejungs Darlegung »Dimensionen der Herrschaftslegitimität: Ikonographische Aspekte königlicher Selbstdarstellung in den Kulturen der südlichen Levante der Eisenzeit anhand der Bildwerke von Balu‘a, Yarih-‘ezer und Askalon« (147–187) bietet einen methodisch reflektierten und überaus einsichtsreichen Überblick über die Dimensionen königlicher Repräsentation in den genannten Bildwerken, die die Legitimität des Herrschers konstituieren, reproduzieren, performieren und steigern. Als zentrale Aspekte der Herrschaftslegitimation werden 1. die Übereinstimmung mit Regeln, Gesetzen und Traditionen, 2. das Vorhandensein gesellschaftlich anerkannter Autoritätsquellen und 3. deren performative Realisierung herausgearbeitet.
Reinhard Müller, »Herrschaftslegitimation in den Königtümern Israel und Juda: Eine Spurensuche im Alten Testament« (189–230), bietet einen konzisen Überblick über die zentralen Aspekte der israelitisch-judäischen Herrschaftsideologie, wie sie primär aus den alttestamentlichen Zeugnissen zu erheben ist: Die Herrschaftsübergabe und Legitimation durch Jahwe, der König als Sohn Gottes, die Weisheit und Schönheit des Königs, der König als Krieger und als gerechter Richter, als Bauherr sowie der König als Segensmittler und als frommer Diener seines göttlichen Herrn. Instruktiv ist Müllers kurze Darlegung über historische Strategien der Delegitimation von Herrschern und die Strategien im DtrG zur Diskreditierung der Herrscher des Nordreiches. Müller schließt mit der Feststellung, dass es insbesondere der zweimalige Untergang des Königtums (im Nordreich und Südreich) war, der das Bild des Königtums und die Frage nach der Legitimität von Königen wesentlich bestimmt hat.
Christoph Levin, »Das Königsritual in Israel und Juda« (231–260), rekonstruiert aufgrund der verstreuten Belege in den Samuel- und Königsbücher sowie in den Königspsalmen ein Grundmuster entsprechender Rituale: Die Designation und die damit verbundene Statusveränderung kann durch performative Akte, wie das Reiten auf dem königlichen Reittier, kommuniziert werden. Das zentrale, die Herrschaft konstituierende performative Element scheint hierbei die Salbung gewesen zu sein, die in der Regel durch einen religiösen Funktionär, einen Priester bzw. Propheten, vorgenommen worden ist. Es folgte ein »Königslärm« (Hornsignal oder Händeklatschen), sowie der Proklamationsruf (»Es lebe der König!« oder »NN ist König geworden!«). Ein weiteres Element, das nicht sicher im Ablauf verortet werden kann, ist die Übergabe der Herrschaftsinsignien wie des Diadems als sichtbares Kennzeichen sowohl der Statusveränderung als auch des Herrschaftsanspruches und das Niedersetzen auf dem Thron. Dass die Übergabe eines Königsgesetzes bzw. eines Kö­nigsvertrags zu den entsprechenden Ritualen gehört habe, scheint jedoch eher deuteronomistische Fiktion zu sein. Überhaupt lässt der Beitrag eine kritische Reflexion über die Historizität der geschilderten Rituale vermissen bzw. darüber, inwieweit es sich um »literarische Rituale« handelt. Abschließend hebt Levin zutreffend die enge Abhängigkeit des Mo­tivkreises des Königtums Jahwes und des Gottesbildes insgesamt von der Herrscherideologie hervor.
Udo Rüterswördens Darlegungen über »Das Königtum im Hohelied« (261–275) scheint hier völlig fehl am Platz, da er weder historisch noch religionsgeschichtlich etwas zur Thematik des Buches beiträgt.
Der Beitrag von Timothy. P. Harrison, »Royal Self-Representation and the Legitimation of Authority at Tayanat (Ancient Kunulua)« untersucht die architektonische und bildhafte Herrschaftsrepräsentation im neohethitischen Kunulua, dem heutigen Tell Tayanat, im nördlichen Tal des Orontes (277–299). Wie in anderen neo-hethitische Staaten sei die Basis königlicher Herrschaft in Kunulua eher schwach ausgebildet gewesen und der Herrschaftsbereich der Herrscher von Tyanat dürfte sich über kaum mehr als auf die Stadt und ihr unmittelbares Hinterland erstreckt haben.
Gegen Ende des 10. Jh.s sei die in ihrer Anlage undifferenzierte Siedlung zu einer stark befestigten Zitadelle für die lokale Herrschaftselite ausgebaut worden. Die monumentale zweite Bauphase (spätes 9.–8. Jh. – zerstört wohl während des Feldzuges von Tiglatpileser III., 738 v. Chr.) ist gekennzeichnet durch zwei um einen großen Hof angeordnete Palastbauten des bit hilani-Typs und einen kleinen Tempel. Eine massive Toranlage des Palastkomplexes war wahrscheinlich durch eine Prozessionsstraße mit dem Tor der Oberstadt verbunden. In sekundärem Kontext nahe dem Tor der Zitadelle (wahrscheinlich nach der assyrischen Eroberung demontiert und »beigesetzt«) fand sich eine Anzahl von monumentalen Skulpturen, eine vollplastische Statue eines sitzenden Löwen, eine Säulenbasis mit in Hochrelief herausgearbeiteten Stier und Sphinx, eine fragmentarische Statuenbasis mit der Darstellung eines »Herrn der Tiere« mit gepackten Löwen und der Kopf und der Torso und Kopf einer überlebensgroßen Statue des Königs Suppiluliuma mit bildluwischer Inschrift, die in die erste Hälfte des 9. Jh. zu datieren ist. Die Plastiken waren wohl ursprünglich im Torbereich der Zitadelle verbaut bzw. aufgestellt. Die archäologischen Befunde lassen einige Rückschlüsse auf die Funktion der Architektur und Plastik in der Herrschaftsrepräsentation zu: Die Zitadelle mit ihren Monumentalbauten verkörpert die Macht des Königtums auch räumlich in der Vertikalen und kreiert eine »landscape of power« (289). Die von Statuen des Herrschers und Plastiken mythologischer Wesen gesäumten Tore und Prozessionswege als Orte von Ritualen und Akten königlicher Selbstinszenierung bilden hierbei einen symbolischen Aufstieg vom irdischen zum himmlischen Bereich. Die Funktion der Anlage ist – ähnlich wie in Karkemisch – quasi eine Bühne für selbslegitimatorische Inszenierungen und Rituale des Herrschers und seiner Eliten und bringt den Herrschaftsanspruch über die ethnisch-kulturell diverse Bevölkerung der späthethitischen politischen Entitäten zum Ausdruck.
Der Band versammelt – trotz einiger ausgesprochen schwacher Beiträge – insgesamt material- und gedankenreiche Einzelbeiträge mit vielen weiterführenden Einsichten aus der alttestamentlichen Wissenschaft, der Ägyptologie und der Altorientalistik und der vorderasiatischen Archäologie. Was den Wert des Bandes jedoch deutlich mindert, ist der Verzicht auf eine thematische Einleitung. Gerade die Thematik der Herrschaftslegitimation hätte Anlass geben können, sich genereller mit dem Komplex von Herrschaft im alten Vorderasien auseinanderzusetzen, den Forschungsstand zu reflektieren und insbesondere die implizit oder explizit mit der Herrschaft verbundene soziologische und religionsgeschichtliche Theoriebildung zu diskutieren (dies wird zumindest in einer knappen methodischen Reflexion im Beitrag von Berlejung dargeboten) sowie die häufig in Arbeiten von Alttestamentlern allzu deutliche theologische Schlagseite und deren Mangel an religionsgeschichtlicher und archäologischer Einsicht (eine entsprechende Kritik enthält Quacks Beitrag).
Zu kurz kommt insbesondere der archäologische bzw. ikonographische Aspekt, der nur in den Beiträgen von Berlejung zur Ikonographie der eisenzeitlichen Bildwerke und von Harrison für das neohethitische Tayanat verhandelt wird. Versuche einer Synthese von archäologischen und textlichen Befunden bleiben insbesondere die alttestamentlichen Beiträge schuldig, was nach wie vor symptomatisch für die deutsche alttestamentliche Wissenschaft zu sein scheint, die förmlich am Primat der Texte klebt. Auch wird der wichtige Aspekt der Herrschaftsarchitektur mit seinen Implikationen für die Herrschaftsrepräsentation fast völlig ausgeklammert (Müller geht nur kurz auf S. 221 f. darauf ein, ohne die konkreten archäologischen Befunde zu berücksichtigen). Eine Analyse der durchaus in signifikanter Anzahl vorhandenen Zeugnisse zur bildhaften Herrschaftslegitimation hätte den Band sicherlich bereichern können. Nichtsdestotrotz ist den Herausgebern ein beachtenswertes Kompendium gelungen, das den Stand der Forschung dokumentiert und weiterführende Perspektiven aufzeigt. Der Band wird durch ein Stellen- und Autorenregister beschlossen (303–315). Zur besseren Erschließung des Bandes wäre ein Sachregister sinnvoll gewesen.