Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2020

Spalte:

175–178

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Manelli, Stefano M.

Titel/Untertitel:

Biblische Mariologie.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2018. 400 S. = Mariologische Studien, 27. Kart. EUR 39,95. ISBN 978-3-7917-3015-8.

Rezensent:

Christfried Böttrich

Maria aus Nazareth, die Mutter Jesu, ist zweifellos eine der faszinierendsten Erzählfiguren des Neuen Testaments. Die vier Evangelisten entwerfen von ihr ein facettenreiches Porträt. Von solchen Ansätzen einer »biblischen« Mariologie zu handeln, verspricht das vorliegende Buch. Sein Ausgangspunkt liegt jedoch weniger bei den biblischen Texten selbst als vielmehr bei dem entwickelten marianischen Dogma, dessen System auf die biblische Überlieferung zurückprojiziert wird. In eindrücklicher Geschlossenheit entwi-ckelt der Autor ein Bild, das sich vor allem an den Aussagen der heiligen Väter, der Liturgie und des kirchlichen Lehramtes orientiert. Die biblischen Texte aber werden allein daraufhin befragt, wie sie sich diesem dogmatischen Gesamtkunstwerk einfügen. Sie fungieren primär als Gegenstand »meditierender Forschung« und werden dabei als Quelle jener Assoziationen identifiziert, wie sie im Laufe der Jahrhunderte durch Marienfrömmigkeit und Marienkult wirksam geworden sind. Das Buch vermittelt somit ein lebendiges und authentisches Bild traditioneller katholischer Mariologie. Dahinter muss die Perspektive der biblischen Texte zurücktreten.
Der Autor dieses Buches, das zunächst auf Italienisch (1989, 22005), dann auf Englisch (2005) und nun schließlich auch auf Deutsch (2018) erschienen ist, geriet in den zurückliegenden Jahren mehrfach in die Schlagzeilen. Im Jahre 1970 hatte Pater Stefano Maria Manelli, Mitglied des Franziskanerordens und eine Art geistlicher Sohn des theologisch umstrittenen Padre Pio, gemeinsam mit einem Mitbruder das Institut der »Franziskaner der Immaculata« gegründet. Zunächst von Johannes Paul II. begünstigt und von Benedikt XVI. geschützt, wurde das Institut 2012 auf Anordnung von Papst Franziskus einer Visitation unterzogen und nach der Amtsenthebung seiner Leitung 2013 einem päpstlichen Kommissar unterstellt. Gegen M. leitete die Kommission kirchliche und staatsanwaltliche Ermittlungen ein. Einer der Auslöser für diese Differenzen war (neben dem Vorwurf materieller Vorteilnahme) unter anderem die traditionalistische, der restaurativen Piusbruderschaft vergleichbare Ausrichtung des Instituts. 2016 setzte sich M. mit einer Strafanzeige wegen Verleumdung gegen die Anordnungen der Kommission zur Wehr. Das Institut sieht sich seither in der Rolle des Opfers und positioniert sich immer deutlicher gegen alle neueren Entwicklungen in der katholischen Theologie. Vor diesem Hintergrund wird manches verständlicher, was in dem Buch ansonsten irritiert. Denn die Welt, die hier sichtbar wird, ist die Welt tridentinischer Theologie. Sie ruht in sich selbst und zeigt keinerlei Interesse, aus dem Zirkel ihrer poetisch-liturgischen Binnensprache herauszutreten.
Die hermeneutischen Voraussetzungen werden gleich einleitend geklärt. Den »analytischen Regeln einer reinen philologischen Exegese« stellt M. »die vollendete Anschauung der biblisch-theologischen Exegese« entgegen. Das heißt: »Wir sind daran gehalten, als biblischen Sinn das anzunehmen, was vom kirchlichen Lehramt vorgegeben ist …« (14). Der Eigenwert der biblischen Texte wird damit von vornherein ausgeschlossen: »Nur uns Christen ist es also gegeben, die Schriften des Alten Testaments auf die einzig richtige Weise zu lesen …« (16). Wichtiger Referenztext ist u. a. die »Navarra Bibel«, ein populärer katholischer Kommentar, erarbeitet an der Universität des Opus Dei in Pamplona. Zitate beziehen sich vorzugsweise auf italienische Mariologen. Ihre Aussagen werden als »geradlinige Gedankengänge«, »inspirierte und leuchtende Worte« oder »fruchtbare und f reudige Hinweise« gekennzeichnet, die den Sinn der »erhabenen Stellen« »meisterhaft hervorheben« oder »leuchtend lehren« und somit die biblische Irrtumslosigkeit »gut und scharfsinnig«, gelegentlich aber auch »höchst entzückend« erschließen – vor allem dann, wenn man die Ereignisse »mit Gnade und Freude überdenkt«. Den abgewiesenen Exegeten hingegen unterstellt M., dass sie »Exe-gese auf dem Holzweg« betrieben, hantierend in einem »Labor von Analysen« – kurz »moderne Exegese rationalistischer Art«, die sich »konstruierter theologischer Modelle« bediene, repräsentiert von »Schauklerexegeten« mit »heimtückischen Hypothesen«, die »den Text listig verdrehen und sich gegen die Überlieferung setzen«. Solche Geschmacksurteile erübrigen dann in der Regel weitere Begründungen. Eine wissenschaftliche Argumentation sieht anders aus.
Sprachlich dominiert der poetische Stil. Da ist von »bezaubernden und auch fundierten Details« die Rede, von »einem großartigen und herrlichen Bild«, von »der süßen Figur Ruts« oder der einen oder anderen »lieblichen Szene«; auch weiß M. viel über die »mütterlichen Gefühle sowie Herzensergüsse und ekstatischen Küsse« der Mutter Jesu »auf jenem kleinen Gesicht« zu sagen, die ausnahmslos der Phantasie frommer Betrachtung, nicht aber den biblischen Texten entstammen. Man kann das gern »meditierende Forschung« nennen. Auf deren Anschlussfähigkeit ist dann allerdings kaum zu rechnen.
Orientiert am Kanon gliedert sich das Buch in zwei Teile. Aus dem Alten Testament werden die von der typologischen Exegese schon zur Väterzeit identifizierten marianischen Belege zusammengestellt und referiert. Das betrifft vor allem das »Protoevangelium« (Gen 3,15), die »Jungfrau-Mutter« (Jes 7,10–14) und die »Gebärende« (Mi 5,1–2). Die Interpretation des Protoevangeliums, die hier im Lichte der Bulle »Ineffabilis Deus« (1854) erfolgt, hängt bekanntlich an der singulären Lesart »ipsa« ( sie selbst wird zertreten) einiger altlateinischer Codices, die schließlich Eingang in die Vulgata gefunden hat. Dass damit primär nicht »der Nachkomme«, sondern nur Maria gemeint sein könne, wird mit großer Entschiedenheit vertreten. In allen drei alttestamentlichen Basistexten sieht M. bereits die ausgebildete Vorstellung der immerwährenden Jungfräulichkeit und Miterlöserschaft der Maria vorgegeben.
Eine Betrachtung verschiedener marianischer Repräsentationsfiguren (die Stammmutter Eva, Sara, Rebekka, Rahel, Mirjam, Debora, Rut, Abigajil, Judit, die Mutter der Makkabäer, aber auch Abraham und Isaak) sowie die Musterung verschiedener marianischer Symbole (die Arche Noahs, die Leiter Jakobs, der nicht verbrennende Dornbusch, der unüberwindliche Turm, der verschlossene Garten, die glänzende Stadt, die Bundeslade, das unberührte Land, das Paradies Gottes, das Tor des Himmels) schließen sich an; auch entferntere Assoziationen wie etwa solche, die aus der Metaphorik des Psalters herausgelesen werden, sind im Blick. Zudem wird Maria den »Anawim« der alttestamentlichen Armenfrömmigkeit zugeordnet, als »erhabene Tochter Zion« verstanden, in der Weisheitstheologie wiedererkannt und mit der Poesie des Hohenliedes als »schönste unter den Frauen« gepriesen. So entsteht ein marianisches Mosaik, das die Allgegenwart der Mutter Jesu bereits in der Geschichte des Gottesvolkes sichtbar zu machen versucht.
Im Neuen Testament geht es dann zunächst um eine Analyse der »Kindheitsevangelien«, gefolgt von Abschnitten über Maria im öffentlichen Leben Jesu, die Mutter unter dem Kreuz (Joh 19), Maria in der Jerusalemer Gemeinde als Urbild der Kirche (Apg 1) sowie die mit der Sonne bekleidete Frau (Apk 12).
Der Durchgang durch die Geburtsgeschichten basiert auf einer erzählchronologisch angelegten Harmonie mit wechselnden Bezugnahmen auf Gal 4,4/Joh 1,13/Mt 1–2/Lk 1–2. Unbestrittener Schlüsseltext ist die Ankündigung der Geburt Jesu nach Lk 1. Insgesamt wird als maßgebliche Informationsquelle dabei die »Allerseligste Jungfrau Maria« selbst angegeben, auf deren Erinnerungen und persönlichen Mitteilungen die Evangelisten letztlich fußten. Eine besondere Stellung nehmen in dieser Kommentierung die (munter psychologisierenden) »Bedrängnisse des heiligen Josef« ein, durch die der Mann der Maria trotz seiner deutlichen Nachordnung nun ebenfalls noch einen achtbaren Platz im Heilswerk erhält. Der Familienkonflikt in Mk 3,20–21 wird erwartungsgemäß (im Lichte von Mk 3,31–35) nivelliert; die Brüder und Schwestern Jesu müssen konsequenterweise Cousins und Cousinen sein. Die Szene in Joh 19 gerät zum Bild einer »geistlichen Niederkunft«, in der Maria »auf Kalvaria den mystischen Leib Christi hervorbrachte«. In der Auslegung von Apk 12 verteidigt M. vehement den Vorrang einer mariologischen vor einer ekklesiologischen Deutung jener geheimnisvollen Frau, auch wenn beide letztlich dann wieder ineinanderfließen.
Zwei theologische Hauptanliegen treten in allen Kapiteln deutlich hervor: 1. die Begründung der immerwährenden Jungfräulichkeit Marias vor, während und nach der Geburt Jesu, und 2. die Verteidigung einer Miterlöserschaft der Maria.
Dass die immerwährende Jungfräulichkeit nicht aus dem Erzähltext der Evangelien, sondern nur aus der dogmatischen Konstruktion (wie man sie seit dem 6. Jh. entworfen hat) abgeleitet werden kann, liegt auf der Hand. Für M. als Gründervater der »Franziskaner der Immaculata« ist sie verständlicherweise eine Herzensangelegenheit. Wenn dann jedoch M. und seine Gewährsleute (alte, zölibatär lebende Männer) ausführlich über die Narbe in der Gebärmutter Marias sowie über die Unversehrtheit des Jungfernhäutchens der Gottesmutter spekulieren, wirkt das im 21. Jh. nur noch befremdlich und irgendwie aus der Zeit gefallen. Mit biblischer Exegese jedenfalls hat das nichts zu tun, und mit einem Brückenschlag zwischen den neutestamentlichen Texten und unserer Zeit auch nicht. Dass Maria ferner »Miterlöserin« sei, ist ein dogmatischer Topos, der erst im 15. Jh. aufkommt und dann vor allem im 19. Jh. kontrovers diskutiert wird. Im 20./21. Jh. ist das Bemühen, die Formel von der »Miterlöserin und Mittlerin aller Gnaden« als fünftes marianisches Dogma zu etablieren, bislang gescheitert. Für M.s Buch indessen ist dieser Topos eine Art cantus firmus. Mit stereotyper Beharrlichkeit wird die Miterlöserschaft Marias in nahezu jeder der behandelten Bibelstellen verankert. Das kann auch kaum verwundern, denn immerhin fungiert M. als Herausgeber einer Monographienreihe unter dem Titel »Maria Corredentrice. Storia e teologia« und erweist sich damit als ein maßgeblicher Protagonist der beabsichtigten Dogmatisierung. Die Maria »Corredemptrix« ist also nachweislich eines seiner zentralen Themen. Dass die katholische Theologie heute – vor allem mit Blick auf das ökumenische Gespräch – deutlich vorsichtiger nur von Maria als einer »Mediatrix« spricht, geht für M. offensichtlich noch nicht weit genug.
Am Schluss mündet das Buch in eine »Synthese« ein, die sich zu einem begeisterten Lobgesang aufschwingt. In überbordender Schwärmerei (»sie ist … sie ist … sie ist …«) werden noch einmal alle die zuvor in den biblischen Texten aufgespürten marianischen Bilder und Symbole aneinandergereiht und mit den Formeln der Väter, der Bullen und der Enzykliken vereint, eingespannt in den großen Bogen zwischen Gen 3,15 und Apk 12 und kulminierend in dem Titel der »Immaculata«, der nun alles miteinander verschmilzt. Dieser Titel gestattet es nach M., in einer einzigen Formel »die aktualisierte Version des gesamten biblischen Gegebenen« auszudrücken. Die biblischen Texte liefern dafür jedoch nicht mehr als die Farben, mit denen nun das Gesamtbild einer mythisch-mys-tischen Kunstfigur ausgemalt wird – ein Mosaik, in dem alles mit allem harmoniert und korrespondiert. Diese Maria »Immaculata« ist unnahbar in ihrer göttlichen Vollkommenheit und nahe in ihrer mütterlichen Fürsorge, von kosmischer Dimension und fa­miliärem Format gleichermaßen – in jedem Falle aber ein Ideal, das nun der glühenden Verehrung anheimgestellt wird.
Maria aus Nazareth bleibt eine faszinierende Figur – trotz der dogmatischen Bürde, die ihr hier aufgeladen wird. Von der Einzigartigkeit des Sohnes aus fällt auch viel Licht auf die Mutter. Warum sie in der protestantischen Tradition dann so ganz und gar in Vergessenheit geraten konnte – das allerdings wird bei der Lektüre von M.s Buch besser verständlich. Denn dessen zirkuläre, sich selbst genügende und abschottende Welt aus Tradition, Dogma, Liturgie und Frömmigkeit verbaut den Weg zu den biblischen Texten mehr, als dass sie ihn öffnet. Nach den einleitend dargelegten hermeneutischen Prinzipien können das Geheimnis der »Immaculata« ohnehin nur diejenigen verstehen, die sich im Raum des kirchlichen Lehramtes befinden – das allein auch bevollmächtigt ist, die Bibel a uthentisch auszulegen. Da bin ich als Rezensent schon draußen. Also Schluss der Debatte, bevor sie überhaupt begonnen hat? Glücklicherweise lässt sich Gottes Wort nicht domestizieren und der Kontrolle unfehlbarer Interpretationen unterwerfen. Es ist ein lebendiges, kommunikatives und integratives Wort. Das gilt auch für das, was die Evangelisten über die Mutter Jesu erzählen. M.s Buch ist ein Artefakt aus dem Museum der Theologiegeschichte und als solches durchaus interessant zu betrachten, besonders für Protestanten. Eine »biblische« Mariologie ist es nicht. Die gibt es – im ökumenischen Horizont – erst noch zu entdecken.