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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

144–146

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Handke, Emilia

Titel/Untertitel:

Religiöse Jugendfeiern »zwischen Kirche und anderer Welt«. Eine historische, systematische und empirische Studie über kirchlich (mit)verantwortete Alternativen zur Jugendweihe.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016. 505 S. = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 65. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-374-04762-8.

Rezensent:

Dörte Gebhard

Religiöse Jugendfeiern sind »so ein Dazwischen. Zwischen Kirche und anderer Welt« (321). Dieses Votum einer Mutter in einem der dokumentierten Interviews deutet die diffuse Situation und die Herausforderungen des Forschungsgebietes von Emilia Handke an. Religiöse Jugendfeiern werden angeboten unter ebenso modischen wie teilweise missverständlichen Titeln wie »Feier der Le­benswende«, »Segensfeier«, »Wunsch- und Segensfeier«, »Juventusfest«, »Jugendfeier«, »Jugendwendefeier«, »Take off-Fest«, »Feier des Erwachsenwerdens«, »projekt E« (15). Sie sind, wenn sie mit einem theologischen Terminus erfasst werden sollen, überwiegend als Anlässe mit einer Segenshandlung im weitesten Sinne zu bezeichnen.
H. ist derzeit leitende Referentin des neugegründeten Werks der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland »Kirche im Dialog«, das sich ausdrücklich kirchenfernen Menschen zuwendet. Sie ist unterdessen mit zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema Konfessionslosigkeit in praktisch-theologischer und empirischer Perspektive hervorgetreten. Die von H. bereits im Winter 2015 in Halle-Wittenberg eingereichte Dissertation führt in die Weite und in die Breite, in die Vielfalt und Problematik von kirchlich (mit-)verantworteten Feiern an der Schwelle zum Erwachsenwerden ein (Kapitel I, 15–67).
Das Werk ist opulent. Auf mehr als 500 Seiten werden nicht nur 50 Stunden Interviewmaterial erschlossen und interpretiert, sondern auch 27 verschiedene Initiativen für Religiöse Jugendfeiern in die Untersuchungen einbezogen (20). Dabei beschränkt sich H. in ihrer Untersuchung auf »das Feld von Schulen in christlicher Trägerschaft« in Ostdeutschland, für die Mikrostudie hat sie die »de-zidiert« Evangelische Sekundarschule Haldensleben (Sachsen-An­halt) ausgewählt (21).
Viel ist in den letzten Jahrzehnten geschrieben worden über die Entstehung und Verinnerlichung der Konfessionslosigkeit durch sozialistisch forcierte Säkularisierung während der DDR-Zeit. H.s Dissertation zeigt mutige Möglichkeiten der Wiederbegegnung von Jugendlichen mit dem Religiösen, und sei es auch nur in kleins-ten Dosen. Dabei wird zunächst die debattenreiche Geschichte von Jugendweihe und Konfirmation zu DDR-Zeiten und sodann von 1989 bis in die Gegenwart entfaltet (Kapitel II; 65–173), die eigentlich ein eigenständiges Dissertationsthema bildet.
Das Profil religiöser Jugendfeiern wird in einem dritten Kapitel entfaltet und auf das Kriterium Stabilität fokussiert (Kapitel III, 177–257). Dabei sind auch stabile, katholische Modelle im Blickfeld (181–199).
Viel Raum nimmt die Präsentation der empirischen Forschung ein, nach Hinweisen zur Methode werden die Perspektiven der El­tern, der an Jugendfeiern teilnehmenden Jugendlichen und daneben von Konfirmierten analysiert (Kapitel IV, 261–423).
Exemplarisch, weil sie besonders eindrücklich die evangelische Freiheit betont, sei hier Frau Blenklein zitiert, die in den 1960er Jahren in der DDR geboren wurde, selbst nie getauft und nicht konfirmiert wurde, seinerzeit an der Jugendweihe teilnahm, aber dennoch als Kind zur Christenlehre ging und nun die Segensfeier der jüngeren Tochter in der evangelischen Schule befürwortet (vgl. 283): »Es waren ja auch einige Stimmen dagegen, die sagten: Nö, entweder oder. Entweder Jugendweihe oder Konfirmation. Es gibt nichts dazwischen. Und das kostete dann schon ein bisschen Überzeugungsarbeit, dass es schon in der heutigen Zeit was dazwischen geben müsste. Wenn man weitergehen möchte, weil einfach alles auch so schnelllebig ist und dann kann man das nicht einfach bloß so abhaken, dann ist das für das ganze Leben abgehakt, ja? So haben die Kinder sozusagen noch einen Weg offen, den sie dann gehen können, ohne Druck. Ansonsten wär das […] schon abgehakt.« (417, H. i. O.)
Das fünfte Kapitel bündelt die historischen, systematisch- und praktisch-theologischen, empirischen und sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse (Kapitel V, 429–476) zu folgender Titelthese: »Religiöse Jugendfeiern als ritueller Ausdruck der intermediären Aufgabe von Kirche« (429).
Die Intention dieser »Mittelding(e) zwischen staatlich und kirchlich« (467) wird dabei deutlich: »Es geht vielmehr darum, die konfessionslosen Familien überhaupt erst wieder biographiebezogen mit Religion und Kirche in Kontakt zu bringen, ihnen religiös-kirchliche Erfahrungen zu ermöglichen. Religiöse Jugendfeiern werden in dieser Perspektive zu einem Medium religiösen Lernens – es geht um religiöse ›Bildung im Ritual‹. Dieser Gedanke ist sowohl in der religionspädagogischen Lerntheorie als auch in der praktisch-theologischen Kasualtheorie bislang noch kaum im Blick.« (435)
Gibt es genuin kirchliche Motive für religiöse Jugendfeiern? Diese Frage wurde außerordentlich kontrovers geführt und von nicht wenigen Pfarrpersonen grundsätzlich verneint. Innerhalb der Evangelischen Kirche sind die Feiern scharf kritisiert worden, weil sie als bedrohliche Konkurrenz zur Konfirmation begriffen und als nicht realisierbar in Zeiten schwindender personeller und finanzieller Ressourcen verworfen wurden.
H. kann dieser gemeindlich-verankerten Angst nicht nur an­hand von deprimierenden Statistiken widersprechen – im Osten ist die Jugendweihe nach wie vor das mehrheitlich gefeierte Ritual, die Konfirmation kommt nur für eine Minderheit überhaupt in Betracht – sondern die positiven Perspektiven dieses intermediären Anlasses zeigen: »Damit ergänzen Religiöse Jugendfeiern die kirchliche Jugendarbeit um einen Zweig für Konfessionslose, für die sie eine vertiefte Begegnung mit Religion und Kirche und potentiell immer auch die Initiierung eines katechetischen Prozesses und damit einen Weg zur Erwachsenentaufe bedeuten können. Im Gegensatz zur Konfirmation stellen Religiöse Jugendfeiern dann keine Erinnerung, sondern vielmehr eine – gleichwohl eher implizite – ›Einladung zur Taufe‹ dar (451).«
Dabei bleibt H. realistisch, sieht die finanziellen Probleme und geht nicht davon aus, dass es zu signifikant mehr Kircheneintritten kommt (471.475). Aber »Räume für Religion in der Gesellschaft zu eröffnen bzw. die Kommunikation des Evangeliums zu fördern ist für die Kirche ein wesensnotwendiges und zugleich herausforderndes Unterfangen« (470). Der frühere Bischof Axel Noack hat noch im letzten Jahrtausend festgestellt: »Die Menschen haben die Kirche massenhaft verlassen, wir müssen sie als Einzelne zurückgewinnen.« (in: Kirchenamt der EKD [Hrsg.]: Reden von Gott in der Welt. Der missionarische Auftrag der Kirche an der Schwelle zum 3. Jahrtausend, Hannover 2000, 40).
An dieser Aufgabe hat sich bei allem gesellschaftlichen Wandel nichts geändert, im Gegenteil. Die Religiösen Jugendfeiern, die offensichtlich nicht in Konkurrenz, sondern ergänzend (vgl. 473, H. i. O.) zu anderen kirchlichen Passageriten mit den konfessionslosen Jugendlichen und ihren Eltern gemeinsam entwickelt werden, sind dazu ein wichtiger Beitrag. Die Überlegungen ihrer Dissertation sind nicht nur in den nicht mehr neuen Bundesländern von Interesse, sondern werden auch ›im Westen‹ zunehmend wichtiger.
Wem die Zeit für die ausführliche Lektüre mit den reichlichen Doppelungen fehlt, dem seien die letzten gut 40 Seiten (431–476) besonders empfohlen.