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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

133–135

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Edwards, Aaron P.

Titel/Untertitel:

A Theology of Preaching and Dialectic. Scriptural Tension, Heraldic Proclamation and the Pneumatological Moment.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2018. XII, 245 S. Geb. £ 85,00. ISBN 978-0-567-67856-0.

Rezensent:

Alexander Deeg

Aaron P. Edwards, Dozent am Cliff College in Großbritannien, verbindet in diesem auf seine systematisch-theologische Disserta-tion (Aberdeen, 2014; Doktorvater: Tom Greggs) zurückgehenden Buch systematisch- und praktisch-theologisches Nachdenken und möchte »a new theological approach to preaching, but also a new homiletical approach to theological dialectics« (220) vorlegen.
Entstanden ist ein Buch, das viele berechtigte Fragen stellt und zahlreiche anregende Beobachtungen vorlegt. Es ist gleichzeitig ein hochgradig normatives Buch, in dem viel behauptet, weit weniger argumentiert oder gar methodisch begründet erarbeitet wird. E. hat einen homiletisch-theologischen Essay verfasst, der konstruktivistisch (so E. selbst, vgl. 7) und über weite Strecken auch ziemlich assoziativ gearbeitet ist. E. konstruiert in vier Kapiteln Umrisse einer Theologie der Predigt, die den biblischen Kanon, das dialektische Denken, die Theorie der »Verkündigung« (»proclamat ion«) und die Pneumatologie miteinander ins Spiel bringt. Kritisch ließe sich sagen, dass E. seine Theologie der Predigt aus un-terschiedlichen Versatzstücken zusammensetzt; seinem eigenen Denken widersprechende theologische Positionen werden kaum wahrgenommen, zitierte Ansätze werden nicht umfassend, sondern nur in passenden Ausschnitten rezipiert, Einblicke in theologische Diskurszusammenhänge fehlen weitgehend.
In der Einleitung (1–10) benennt E. die höchst voraussetzungsreiche Grundfrage seines Buches: »How does the preacher know the one thing God wants to say now based upon the many things God wanted to say then?« (1). Mit dieser Frage ist ein Verständnis von Predigt gesetzt, das die Predigenden in die Rolle von Herolden (»heraldic proclamation«) bringt, die das »clear and authoritative ›Word of God‹« (1) auf der Basis eines im biblischen Kanon vielfältigen Zeugnisses (für E. ist dies der Anlass, von Dialektik zu sprechen) heute ausrichten. Es ist m. E. interessant, wie weit diese Frage vom deutschsprachigen praktisch-theologischen und kirchlichen Kontext entfernt ist, wo die Pluralität der Bibel eher als die Vielfalt der Predigt anregender Reichtum und Hilfe zur Verknüpfung mit pluralen Lebenswirklichkeiten der Hörenden erscheint und die Suche nach der einen, mit Autorität vorzutragenden Botschaft jedenfalls die landeskirchliche Predigtpraxis nicht bestimmt.
Im ersten Kapitel »Canonicity, Clarity, Dialectic: The problem-atic task of expository preaching« (11–51) beschreibt E. die Spannung von kanonischer Vielfalt und theologischer Klarheit der Bibel. Letztere sei durch die (!) Botschaft des Evangeliums gegeben (so E.s Rezeption der reformatorischen Überlegungen zur claritas scripturae; vgl. 27–41) und lasse sich materialiter als »the message of salvation for sinful humanity to be ultimately reconciled to God through the perfect life, atoning death and victorious resurrection of Jesus Christ« (18) bestimmen. Aus der Verkündigung dieses Kerygmas habe sich der Kanon entwickelt, der daher umgekehrt durch diese Botschaft zusammengehalten werde. Widersprechende Aussagen wie etwa die zwischen Jakobus und Paulus werden als biblische Dialektik bezeichnet; sie seien nötig, weil nur so die gesamte biblische ›Wahrheit‹ zur Sprache komme. Auf die Frage nach einer gesamtbiblischen Hermeneutik, die auch die eigene Stimme des Alten Testaments wahrnimmt, geht E. nicht ein.
Das zweite Kapitel »Dialectic, Paradox, Contradiction. The paradoxical legacy of theological dialectic« (53–108) untersucht den Begriff der Dialektik näher und geht dazu einen weiten und interessanten Weg. Ausgangspunkt ist eine Relektüre der anti-idealistischen, ikonoklastischen Überlegungen der frühen Dialektischen Theologie (vgl. besonders 60–72). E. bestimmt im Folgenden das Paradox als einen Zustand der Verbindung von Inkongruentem und die Dialektik als Methode, vom Paradox zu reden (vgl. 72–83). Über Kierkegaard, Sokrates und Hegel führt E. weiter zu der 2009 publizierten und hier gut lesbar dargestellten Kontroverse zwischen John Milbank und Slavoj Žižek über Dialektik und Paradox (vgl. 90–95). Gegenüber der damit erreichten Höhe der Argumentation fällt m. E. der Versuch, vier »Dialectical Modes« zu bestimmen, deutlich ab (vgl. 104–107): E. unterscheidet paradoxe, harmonisierte, hierarchische und antagonistische Dialektik und deutet damit einen Weg an, der ihn homiletisch zu einem ›ermäßigten‹ Umgang mit der Herausforderung der Dialektik führt.
Im dritten Kapitel »Dialectic, Proclamation, Correctivity: The possibility of dialectic heraldic confidence« (109–161) wendet sich E. nun explizit der Homiletik zu und kritisiert die von Fred Craddock 1971 eröffnete Bewegung der New Homiletic vor allem aus zwei Gründen: Einerseits habe sie sich zu stark mit Fragen der Form beschäftigt; andererseits sei bei ihr der kerygmatische Auftrag der Verkündigung zu kurz gekommen. Beide Vorwürfe scheinen mir unberechtigt, da es Craddock und anderen gerade um die Verbindung von Form und Inhalt und so darum ging, die theologische Erwartung an die Predigt mit der Frage nach ihrer konkreten Gestaltung zu verbinden. E. fokussiert hingegen auf den Prediger selbst, den er als Herold konzipiert, der eine eindeutige Botschaft (»clear and assured proclamation«, 110) auszurichten habe (was das bedeuten soll, hätte E. gerade mit einem seiner Gewährsleute Kierkegaard und dessen begründeter Ablehnung jeder ›direkten‹ Rede der Verkündigung, kritischer hinterfragen und in Folge auch sprachpragmatisch reflektieren können). Immer wieder leuchtet auch eine Kritik an gegenwärtiger kirchlicher Verkündigung auf, die nicht klar genug sei und sich nicht mehr wage, von Gott und in seinem Auftrag zu reden. »The pulpit has not been seen as a place where words of life may be found, where they may receive news from on high, because the preachers themselves no longer seemed to believe they had the right to speak from ›on high‹ at all« (115). Schon hier deutet sich an, was dann im vierten Kapitel weiter entfaltet werden wird: E. bezieht das Wirken des Geistes vor allem auf den Prediger, nicht auf den gesamten Kommunikationsprozess der Predigt. Die Rezeption durch die Hörerinnen und Hörer spielt gegenüber der Betonung der »heraldic confidence« des Predigers kaum eine Rolle (vgl. 134–146).
Das vierte Kapitel »Dialectic, Prophecy, Decisiveness: A pneumatology of dialectical heraldic proclamation« (163–218) bestimmt jede gelingende Predigt als prophetische Rede. Durch den Geist werde »decisive heraldic proclamation with a full awareness of the dialectical possibilities in Scripture« (164) ermöglicht. Es ist bedauerlich, dass Rudolf Bohrens ästhetisch konturierte Pneumatologie hier nicht rezipiert wird; stattdessen bedenkt E. die Wirkung des Geistes vor allem im Blick auf die predigende Person in den Perspektiven der Erleuchtung, des Urteilsvermögens und des Glaubens (vgl. 180–188). Durch den Geist werde die Begegnung mit Gott im Predigtgeschehen möglich – ein Gedanke, den E. schließlich zeittheologisch einholt.
Es wurde eingangs bereits gesagt: Die Antworten, die E. gibt, haben mich nicht überzeugt. Dennoch stellt das Buch Fragen, die sich jeder Homiletiker und jeder Prediger immer wieder stellen sollte; es gibt eine Denkbewegung vor, die in sich schlüssig ist und mich gerade deshalb fast Seite für Seite zum Widerspruch und zur Frage nach meiner eigenen Position veranlasste. Im Blick auf unsere deutschsprachige Diskussion regt das Buch zu mindestens drei Fragestellungen an: 1. Wie ist es möglich, die alte Paarbeziehung von Homiletik und Systematischer Theologie zu neuem Leben zu erwecken? 2. Wie kann der dialektisch-theologische Aufbruch, dessen 100-jähriges Jubiläum derzeit begangen wird, jenseits von zu einfachen Affirmationen oder zu pauschalen Zurückweisungen theologie-produktiv fruchtbar gemacht werden? 3. Wie lässt sich theologisch verantwortet und jenseits bloßer Behauptung von der ›Aktivität Gottes‹ in der Predigt und davon reden, dass es um ›Gottes Wort‹ im Kontext der Menschenworte geht? Ich bin E. dankbar, dass er mit seinem Buch Fragen wie diese angestoßen hat.