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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

120–122

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dirscherl, Erwin, u. Markus Weißer

Titel/Untertitel:

Dogmatik für das Lehramt. 12 Kernfragen des Glaubens.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2019. 400 S. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-7917-3050-9.

Rezensent:

Ulrich H. J. Körtner

Hinterm Horizont geht’s weiter: Wer, wie Dirscherl, Udo Lindenberg zitiert, um K. Rahners Gedanken der »Verwiesenheit auf einen unendlich offenen Horizont« (93) zu veranschaulichen, darf von vornherein mit der Sympathie des Rezensenten rechnen. Zeitgemäße Dogmatik kann durchaus etwas mehr Rock ’n’ Roll ge-brauchen, als Gegengewicht zum Modern Jazz neo-idealistischer Religionstheorien oder dem Blues, der die fortschreitende Entkirchlichung und den Traditionsabbruch des alteuropäischen Christentums betrauert. Wer aber gleich im vierten Satz J. Ratzinger zitiert und auch sonst dafür sorgt, dass die letzten Päpste bis zum gegenwärtigen Amtsinhaber ausgiebig genug zu Wort kommen, gehört dann doch nicht zu den richtig harten Bands.
Der Buchtitel »Dogmatik für das Lehramt« ist herrlich doppeldeutig. Gemeint ist ein Lehrbuch, das sich an Lehramtsstudierende der katholischen Theologie, vornehmlich in Bayern richtet. Die Themenauswahl lehnt sich eng an die Lehramtsprüfung des bayerischen Staatsexamens im Fach Religion (römisch-katholisch) (vgl. 12). Herausgekommen ist eine Dogmatik im Grundriss, die stets darauf achtet, dass sie sich im Einklang mit dem Lehramt der römisch-katholischen Kirche, will sagen: dem bischöflichen magis-terium ecclesiae, befindet.
Sofern das vorliegende Lehrbuch des Regensburger katholischen Dogmatikers und Dogmenhistorikers Erwin Dirscherl und des an seinem Lehrstuhl tätigen Mitarbeiters Markus Weißer für die ka­tholische Lehrerausbildung repräsentativ ist, erstaunt es den evangelischen Leser, wie wenig offenbar katholische Religionslehrer über evangelische Theologie und Kirche wissen müssen, allen Be­teuerungen, wir befänden uns inzwischen im Zeitalter der un­umkehrbaren Ökumene, zum Trotz. Zumindest trifft das augenscheinlich auf Universität und Bistum Regensburg zu. Es beginnt damit, dass fast ausschließlich römisch-katholische Autoren zitiert werden, sieht man vom Alttestamentler A. Marx, dem Neutestamentler C. Eberhart und R. Stuhlmann ab, der einmal als evangelischer Gewährsmann für eine lutherkritische Sicht der paulinischen Rechtfertigungslehre zitiert wird (202). Unter den Top Ten der beiden Autoren rangiert K. Rahner (der manchmal gegen innerkatholische Kritik verteidigt wird) ganz oben, gefolgt von J. Ratzinger. Evangelische systematische Theologen von Rang haben in diesem Lehrbuch nichts verloren, und auch im Fall Luthers genügt es den Autoren, ihn ohne jede Quellenangabe (z. B. 210) oder aus dritter Hand zu zitieren (z. B. 282), also vom Hörensagen her, statt nach der Weimarer Ausgabe oder der von W. Härle, J. Schilling u. a. herausgegebenen Martin Luther Studienausgabe (LDStA/DDStA). Ausgerechnet im Abschnitt zur Rechtfertigungslehre, für die W. zwei Seiten reichen (203 f.), ist das besonders ärgerlich. Dass der Begriff der billigen Gnade (200) von D. Bonhoeffer stammt, wird unterschla gen, und dass Luthers zentrales Anliegen dem Trienter Konzil nicht widerspricht, wird unter Berufung auf die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre ohne Tiefgang behauptet (201 f.). Bei aller Sympathie für guten Rock ’n’ Roll, die Reformation lediglich darauf zurückzuführen, dass der Ablasshandel Luther »auf die Palme« gebracht habe (310), ist schon etwas schräg. Luthers sola scriptura findet keine Erwähnung, und in der kontroverstheologischen Darstellung der unterschiedlichen Abendmahlsauffassungen (311–313) oder im Kapitel zur Taufe (282 f.) werden Zwingli und Calvin prominent ignoriert. Für den ökumenischen Dialog mit den lutherischen Kirchen – andere protestantische Kirchen fallen grundsätzlich unter den Tisch – müssen zwei Seiten reichen (318–320).
Das Lehrbuch behandelt zwölf Kernthemen katholischer Dogmatik, nämlich die Gottesfrage (23–54), die Trinitätslehre (55–85), die Anthropologie (86–114), die Sündenlehre (115–141), die Christologie einschließlich der Frage nach dem historischen Jesus (142–180), Kreuzestheologie und Soteriologie (181–206), allgemeine Sakramentenlehre (207–222), Ekklesiologie (223–270), Taufe (271–289), Eucharistie (290–322), Tod und Eschatologie (323–347) sowie gesondert die Rede von der leiblichen Auferstehung (348–369).
Einleitend erläutern die Autoren ihr Verständnis von Dogmatik. Ihnen schwebt eine diskursive und apologetische Form der Dogmatik vor, welche die Inhalte des christlichen Glaubens unter soteriologischer Perspektive im »Modus der Frage« (12) erörtert. Das macht neugierig, denn ein Buch für Lehramtsstudierende sollte – religionspädagogisch auf der Höhe der Zeit – didaktisch, methodisch und systematisch-theologisch bei den offenen Fragen heutiger Schüler und Studierender ansetzen. Dafür könnte man einen subjektorientierten Ansatz wählen. Der Modus offenen Fragens und Suchens (vgl. 14–17) wird aber im vorliegenden Buch nicht durchgehalten. In den von W. geschriebenen Kapiteln spürt man ihn stärker als bei D. (z. B. 162 f.184). Insgesamt folgt der Fragestil b eider Autoren streckenweise eher der traditionellen Katechis-mustradition, in der die richtigen Antworten bereits feststehen und die Fragen so gestellt werden, dass sie zur vorgefertigten Antwort passen. Auf die unterstellte Leserfrage, wozu wir die Kirche brauchen und was und wer sie eigentlich ist, folgt zur Antwort unmittelbar der Verweis auf die Konzilsdokumente ›Lumen Gen-tium‹ und ›Gaudium et Spes‹ (223). Generell erklären die Autoren, die Dogmatik entfalte die fides quae, d. h. den von der Kirche überlieferten und geglaubten Glaubensinhalt, der zwar nur in persönlicher Freiheit angenommen werden könne – oder auch nicht –, der aber als solcher feststeht und lediglich nach- und mitzuvollziehen ist (vgl. 17). »Wir müssen Gott und den Menschen, die von ihm Zeugnis ablegen, Glauben schenken, also vertrauen« (28). D. h. aber, man muss eben auch der Kirche und ihrem Lehramt vertrauen; zwar nicht fraglos, aber kritische Rückfragen und Zweifel werden nur so weit zugelassen, als das, »was wir hören und lesen, nicht eindeutig ist, sondern mehrere Deutungen zulässt« (ebd.). Offene Dialogprozesse dürften vom kirchlichen Lehramt »nicht einfach ab-gewürgt und autoritativ beendet werden« (228). Aber was heißt: »nicht einfach«? Irgendwann oder irgendwie doch?
Das Buch ist gut lesbar geschrieben. Den Autoren gelingt es, auch komplexe dogmengeschichtliche Sachverhalte aus katholischer Sicht verständlich zu machen, wenngleich die Probleme manchmal zu stark vereinfacht werden. Markions Einwände gegen das Alte Testament verdienen Zurückweisung, man kann sie aber nicht so leicht abtun, wie D. es tut (43 f.). Schöpfungstheologisch favorisiert D. ein panentheistisches Modell (vgl. 95 f.), ohne die hinlänglich bekannten theoretischen Probleme des Panentheismus auch nur anzudeuten.
Erfreulicherweise beziehen die Autoren bisweilen ausdrücklich die Schülerperspektive ein (z. B. 110). Ob man bei der Zielgruppe damit besonders gut ankommt, dass man z. B. »besonders Asterixleser/innen« (277) anspricht, ist vielleicht Geschmackssache. Wie »spannend« Schüler und Studierende »die vielen spannenden Fragen« (184) finden, die W. entdeckt, sei dahingestellt. W. befleißigt sich bisweilen eines predigtartigen Tones (z. B. 254.340). Dass Paulus die christliche Gemeinde als »geradezu antirassistische, gendergerechte, ständelose, antielitäre Gemeinschaft« beschrieben habe, klingt arg zeitgeistig. »Christ/inn/en« (129) oder »Repräsentant/ inn/en der Kirche« (287): Gendern will gelernt sein.
Ihre Antwort auf die soteriologische Leitfrage, was für das Heil des Menschen relevant ist, geben die Autoren bereits in der Einleitung: »Letztlich kann es sich dabei allein um Gott selbst, seine erlösende und befreiende Selbstoffenbarung durch Jesus Christus und seine bleibende Präsenz im Hl. Geist handeln, die in der Gemeinschaft der Kirche je neu sakramental vergegenwärtigt wird und die Gläubigen über die Grenzen des Todes hinaus in Hoffnung und Liebe verbindet« (20).
Um noch einmal auf Udo Lindenberg zurückzukommen: Einer seiner stärksten Songs heißt: »Und ich mach mein Ding«. Die klassische Bezeichnung für die christliche Eschatologie lautet im Deutschen aber immer noch »Lehre von den letzten Dingen« und nicht »Rede vom ›letzten Ding‹« (337).