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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

118–120

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Böttigheimer, Christoph

Titel/Untertitel:

Sinn[losigkeit] des Bittgebets. Auf der Suche nach einer rationalen Verantwortung.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2018. 181 S. Geb. EUR 20,00. ISBN 978-3-451-38278-9.

Rezensent:

Peter Zimmerling

Beten ist ein Grundbestandteil christlicher Frömmigkeit. Das Ge­bet besitzt in sämtlichen Konfessionen eine herausragende Bedeutung. Martin Luther hat mit seinem Morgen- und Abendgebet jahrhundertelang das Gebetsleben evangelischer Christen geprägt. Friedrich Schleiermacher schrieb: »Fromm sein und beten, das ist eigentlich eins und dasselbige.« Da verwundert es, dass gerade im evangelischen Raum jahrzehntelang kaum theologische Literatur zum Gebet erschienen ist. Das scheint sich seit einiger Zeit zu ändern, wie nicht nur Michael Meyer-Blancks 2019 erschienenes Werk »Das Gebet« belegt.
Auch das Buch von Christoph Böttigheimer, Fundamentaltheologe an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, über das Bittgebet belegt diesen Trend. Darin wird eine der schwierigsten und gleichzeitig bedrängendsten Fragen diskutiert, die sich im Zusammenhang mit dem Gebet stellen: Sind angesichts neuerer theologischer und philosophischer Infragestellungen der Rede von der Personalität Gottes und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, die ein Eingreifen Gottes in Raum und Zeit denkunmöglich zu machen scheinen, traditionelle Bittgebete denkerisch noch verantwortbar und darum überhaupt sinnvoll? Hört Gott menschliche Bitten bzw. kann er sie überhaupt hören? Im Buch werden einerseits die unterschiedlichen Einwände gegen das Bittgebet aus philosophischer, naturwissenschaftlicher und theologischer Sicht sachlich dargestellt. Andererseits sucht der Vf. nach rationalen Antworten, die das Bittgebet plausibel erscheinen lassen. Es versteht sich von selbst, dass dazu grundlegende Fragen nach einem denkerisch verantworteten Gottesglauben und Gottesverständnis diskutiert werden müssen.
Das Buch ist in fünf Hauptkapitel gegliedert. Nach einem Eingangskapitel, in dem die fundamentale Bedeutung des Gebets im Christentum rekapituliert, das »Bittgebet als christliches Grundgebet« aufgewiesen und seine Infragestellung angesichts des Endes des klassischen Theismus nachgezeichnet wird, folgen vier Kapitel, die jeweils nach dem gleichen Schema aufgebaut sind: Zunächst werden in einem ersten Unterkapitel die Anfragen an traditionelle theologische Vorstellungen nachgezeichnet und in einem zweiten Antwortversuche formuliert. Im ersten dieser Kapitel, »Zuhören Gottes«, steht die Frage nach dem Gottesverständnis im Zentrum: Wie verhält sich das traditionelle personale Gottesverständnis zur Beobachtung, dass viele Bittgebete nicht erhört werden, und zur Tatsache, dass Gott – auch nach biblischem Verständnis – trans-zendent gedacht werden muss und seine Personalität nicht einfach anthropomorph mit dem menschlichen Personsein gleichgesetzt werden darf? Der Vf. findet die Antwort darin, Gott als eine »transpersonale Wirklichkeit, d. h. als eine transzendente Wirklichkeit mit personalen Zügen« (52) zu verstehen, die den Menschen um­fängt, ehe dieser überhaupt zu beten anfängt. Dadurch wird es möglich, Gott als das eigentliche Subjekt des menschlichen Betens zu verstehen. Im nächsten Kapitel, »Handeln Gottes«, geht es um das naturwissenschaftlich dominierte Weltbild der Gegenwart, das ein interventionistisches Handeln Gottes im traditionellen Sinne denkerisch kaum zulässt. Unmittelbar verbunden damit ist die theologischerseits erfolgende Infragestellung der herkömmlichen Rede von der Allmacht Gottes. Der Vf. antwortet darauf mit dem Gedanken der Selbsteinschränkung der göttlichen Allmacht und der Vorstellung eines nur vermittelten Handelns Gottes in der Welt. Auf diese Weise versucht er, der modernen Reduktion des Bittgebets auf eine lediglich den Bittenden selbst verändernde Wirkung zu entgehen. Im dritten Kapitel, »Wille Gottes«, wird die Frage, ob Gott dem Menschen überhaupt helfen will, thematisiert. Wie verhält sich Gottes Wille zur menschlichen Autonomie? Hat Feuerbach Recht, wenn er behauptet, dass sich im Bittgebet lediglich die Eigeninteressen des Menschen widerspiegeln? Der Vf. geht in seiner Antwort davon aus, dass das Bittgebet im Neuen Testament im Kontext der Reich-Gottes-Botschaft Jesu thematisiert wird. Daraus folgt für ihn, dass Gottes Güte dem Menschen immer schon voraus ist und dem Bittgebet deshalb wesentlich die Aufgabe zukommt, den Menschen der Güte Gottes zu vergewissern. Überdies ist es mit dem Ende des Apathieaxioms möglich, Gott als leidensfähig zu denken. Er leidet mit dem Menschen. Von daher gilt: Gebet und menschliches Engagement müssen als sich wechselseitig durchdringend gedacht werden. Das letzte Kapitel, »Affizierung Gottes«, behandelt die Infragestellungen der klassischen Lehre von der Vorsehung Gottes und seiner Unveränderlichkeit. Der Vf. sieht mögliche Antworten in einer bloß relativen Vorsehung durch Gott und in einer stärker partnerschaftlichen Fassung der Beziehung zwischen Gott und Mensch, ermöglicht durch die Erkenntnis der unkündbaren Beziehungswilligkeit Gottes.
Allein der Versuch des Vf.s, die modernen Infragestellungen des Bittgebets ernst zu nehmen und theologisch zu beantworten, stellt einen seelsorgerlichen Akt dar, ist Apologetik im besten Sinne des Wortes. Als von Luther geprägter Theologe hätte ich mir allerdings gewünscht, dass der Vf., stark von Thomas von Aquin beeinflusst, stärker die Möglichkeit genutzt hätte, in Paradoxien zu denken: z. B. Gott nicht nur als deus revelatus, sondern immer gleichzeitig als deus absconditus zu denken. Beide Gedanken lassen sich nicht einfach mittels aristotelischer Logik ausgleichen. Überdies meine ich anders als der Vf., dass die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften im Rahmen von Relativitätstheorie und Quantenphysik nicht nur das traditionelle kausal-mechanistische Weltbild des 19. Jh.s aufgesprengt haben, sondern auch Gottes Eingreifen in Raum und Zeit wieder denkerisch nachvollziehbar machen.