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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

107–109

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Offenbarung als Geschichte. Implikationen und Konsequenzen eines theologischen Programms.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018. 422 S. = Pannenberg-Studien, 4. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-525-57079-1.

Rezensent:

Folkart Wittekind

Der vierte Band der seit 2015 erscheinenden ›Pannenberg-Studien‹ gilt der im Titel genannten Publikation von 1961 (im Folgenden OaG). Ermöglicht wird die intensive Erforschung und Sicherung des theologischen Erbes von Wolfhart Pannenberg durch die Hilke und Wolfhart Pannenberg-Stiftung. Gunther Wenz als Schüler, Assistent und Nachfolger P.s in München und jetzt Leiter der Pannenberg-Forschungsstelle an der Philosophischen Hochschule der Jesuiten in München beginnt mit dem diesem Band zugrundeliegenden Kolloquium eine theologiehistorische Aufarbeitung der wichtigsten publizistischen Stationen des Werks, nachdem die vorigen Bände mit der Theologie, der Metaphysik und der Ekklesiologie den zentralen bleibenden philosophischen und ökumenischen Einsichten P.s galten. Der Kreis der Beiträger hat sein Zentrum in den akademisch tätigen Schülern des Meisters, diese können ergänzt werden durch deren eigene Schüler, die sich mit dem Werk P.s beschäftigen. Dazu stoßen, dem genius loci verdankt, katholische Theologen und Philosophen aus dem Kontext der Hochschule. Vereinzelt kommen Stimmen von außerhalb zu Wort. Wenz hat bereits in den vorigen Bänden umfangreiche Beiträge zur Entstehung und Frühphase von P.s Denken veröffentlicht, er kann sich dabei nicht nur auf die von P. gelesenen und kommentierten Bücher aus seiner Handbibliothek und den literarischen Nachlass (der in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften lagert), sondern auch auf Briefe stützen, die ihm privat zur Verfügung gestellt würden. Wenz teilt die Sicht, dass P.s Außenseiterposition in der gegenwärtigen Theologie nur deren andauernder offenbarungstheologischer oder subjektorientierter anthropologischer Verblendung geschuldet ist und die wahre Zeit seines Denkens noch bevorsteht.
In einem ersten Beitrag führt Wenz in den zu erklärenden Be­stand ein: Die Bedeutung des Themas Geschichte im Pannenberg-Kreis in den 50er Jahren, Pannenbergs erste Äußerung zum Thema (im Aufsatz ›Heilsgeschehen und Geschichte‹), die Thesen von OaG, die ersten Kritiken sowie die Repliken Pannenbergs in den folgenden Auflagen, schließlich die Selbstkorrekturen und späten Einschätzungen des Programms durch die ehemaligen Vertreter des Kreises. Dies gibt Gelegenheit, wichtige inhaltliche Entscheidungen Pannenbergs anzusprechen, die im Folgenden immer wieder debattiert werden: Die für jedes Ereignis und seine mögliche be­wusste Rezeption vorauszusetzende Ganzheit von »Ge­schichte«, die durch die geschichtliche Überlieferung immer be­reits gesetzte Verbindung von Wirklichkeit und Deutung, das auf der geschichtlichen Offenheit von Offenbarung aufbauende Verständnis von Theologie als moderner Wissenschaft, der offene es­chatologische Rahmen um alles Geschehen und die (gleichwohl zu behauptende) proleptische Funktion der Christologie für das Wissen um das Endziel.
Wichtige philosophiehistorische Bezugspunkte des Programms OaG benennen die Beiträge von Walter Dietz zu Dilthey und Gunther Wenz zu Heidegger. Dietz stellt differenziert die Anknüpfung und die Kritik P.s an der modernen Methodologie der Geisteswissenschaften dar und geht auf die zeitgenössischen Hermeneutik-Debatten ein. Weitere wichtige Anregungen waren N. Hartmanns realistisch-ontologische Kantrezeption (Georgios Zigriadis) so-wie Lö­withs geschichtsphilosophiekritischer Geschichtsrealismus (Wenz). Flankierend zum Anteil des »Kreises« an OaG erinnern Martin Arneth an Dietrich Rösslers exegetische Dissertation mit ihrer konsequenten Einbeziehung der Apokalyptik in die alttestamentliche Geschichtstheologie sowie Helge Siemers an Trutz Rendtorffs christentumsgeschichtliche modernitätsoffene Wendung des Programms.
Dem inneren Zusammenhang von Pannenbergs Denken über Geschichte gelten die Beiträge von Friederike Nüssel, Manuel Zelger und Markus Oehl. Nüssel zeigt, dass OaG noch keine eigene Theorie über Geschichte enthält, sondern nur von der Christologie und der Offenbarung aus über Geschichte spricht. Das ändert sich erst mit den geschichtstheoretischen Reflexionen in Pannenbergs Mo­nographie zur Theologie von 1973. Zelger versucht eine logisch-spekulative Rekonstruktion der Behauptung von der Vorgängigkeit des universalgeschichtlichen Ganzen unter Anwendung eines modernen Ereignisbegriffs, kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass die christologischen Teile, insbesondere die Prolepse in der Auferstehung (also die Inanspruchnahme eines Ereignisses als Vorschein des Ganzen) so nicht herleitbar sind. Oehls nicht direkt auf den Geschichtsbegriff bezogene Überlegungen gelten dem Verhältnis von unmittelbarem Wissen von dem Ganzen und der bleibenden Strittigkeit der Offenbarung Gottes; er postuliert hier einerseits inhaltlich ein Stufenmodell, andererseits eine werkgeschichtliche Entwicklung.
Mehr lockere Anknüpfungen an OaG bieten die Überlegungen von Klaus Vechtel SJ zur Hoffnungstheorie von Holm Tetens, die (wie auch die Kants) dem Pannenbergschen Subjektivitätsverdikt verfällt (zum auf S. 107 erwähnten Beitrag von Christine Axt-Piscalar vgl. KuD 2018), und von Josef Schmidt SJ zur gegenwärtigen Theologie der Religionen: Er postuliert als Grundlegung dafür (wie in mancher entsprechenden Karl-Barth-Rezeption zu diesem Thema) ein überkonfessionelles anthropologisches Widerfahrnis der Wirklichkeit Gottes als eigentliche Position P.s. Felix Körner SJ re-feriert islamische Debatten um die Möglichkeit der Weltregierung Gottes, insbesondere die ascharitische und mutazilitische Motive verbindende Theologie al-Maturidis aus dem 10. Jh.
Abschließend sei auf zwei theologiegeschichtlich weiterfüh-rende Beiträge hingewiesen. Dietrich Korsch parallelisiert Pannenbergs Überlegungen zur Eschatologie mit den zeitgleichen Moltmanns und leitet beide aus einem gleichen zeitbezogenen Ursprungsmotiv ab, nämlich der Integration der modernen Ge­schichtssicht in die Offenbarungstheologie. Dies sei aber nur durch eine strikte Allgemeinheitsbeanspruchung des christlichen Heilsgeschichtsprogramms für alle Ereignisse innerhalb der Geschichte möglich, einmal nachvollziehend-kirchlich-kulturkonservativ (bei Pannenberg) gewendet, einmal gesellschaftspraktisch-kulturrevolutionär. Der Paderborner Ökumeniker Wolfgang Thönissen erschließt die parallele geschichtstheologische Erneuerungsbewegung im Denken von Josef Ratzinger. Ausgriffe auf die bzw. Ab­grenzungen von der protestantische(n) Theologie dienen der in­nerkatholischen Plausibilisierung von Neuentwicklungen und entsprechen so innerprotestantischen Absetzbewegungen bzw. Frontstellungen. Ob allerdings die Überwindung der lehrbezogenen Neuscholastik in der katholischen Theologie mit Pannenbergs Absetzung von Barth gleichgesetzt werden kann, bedürfte wohl einer größeren zeitlichen Zusammenschau der beiden Theologien und ihrer Entwicklungsgeschichte.
Wenz hat mit den Pannenberg-Studien und -Kolloquien ein großzügiges und zu schätzendes Forschungsinstrument an der Hand. Wenn man sich etwas wünschen dürfte, dann, den Horizont über eine affirmierende Pannenberg-Exegese auszuweiten auf eine positionsoffene und vergleichende Erforschung der Theologiegeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jh.s. Ergänzend zu den im Band angesprochenen Kontexten sei am Ende noch hingewiesen auf die Habilitationsschrift von Alexander Heit, der Pannenbergs Ge­schichtstheologie auf der sinntheoretischen theologischen Linie von Troeltsch über Tillich rekonstruiert, sowie die ältere Dissertation von Stephan Schleissing, der Pannenbergs Geschichtstheorie in die Neuzeitdebatten der 60er Jahre zwischen Blumenberg, Koselleck, Odo Marquard, Lübbe u. a. einordnet.