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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

77–79

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Havrda, Matyáš

Titel/Untertitel:

The So-Called Eighth Stromateus by Clement of Alexandria. Early Christian Reception of Greek Scientific Methodology.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2017. IX, 376 S. = Philosophia Antiqua, 144. Geb. EUR 151,00. ISBN 978-90-04-31008-7.

Rezensent:

Dietmar Wyrwa

Matyáš Havrda, Senior Research Fellow am Institute of Philosophy der Academy of Sciences of the Czech Republic/Prag, hat ein gehaltvolles Buch vorgelegt, das nicht nur für Studien zu Clemens von Alexandrien wichtig sein wird, sondern darüber hinaus für die Erforschung der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte des 2. und 3. Jh.s insgesamt von Belang ist. Der von ihm untersuchte Text – herkömmlich als achtes Buch der »Teppiche« des Clemens bezeichnet – bereitet der Clemens-Forschung seit jeher vertrackte Probleme. Im Codex Laurentianus Plut. V 3, dem ältesten Zeugen der Stromata, folgen nach Abschluss des siebten Buches mehrere Anhänge, die sicher von Clemens stammen, aber vom Umfang her sowie in stilistischer und kompositionstechnischer Hinsicht so stark von den vorangehenden Büchern abweichen, dass sie nicht als die von Clemens angekündigte Fortsetzung der Stromata angesehen werden können. Unter ihnen befindet sich an erster Stelle, als στρωματεὺς ὄγδοος überschrieben, ein Konvolut von Notizen rein logischer Natur, das Daniel Heinsius in seiner 1616 erschienen Edition der Werke des Clemens als »liber logicus« bezeichnete. Behandelt werden darin in zum Teil skizzenhafter und stark komprimierter Form die Lehre vom Beweis, die Methode der Heuristik, das Problem der Urteilsenthaltung, das Verfahren der Dihärese und der Definition, die Kategorien und die Lehre von den Ursachen. Christlich daran ist, wenn man von einigen wenigen Zwischenbemerkungen oder eingeschobenen Glossen absieht, nur das erste Kapitel, das mit dem Zitat von Mt 7,7: »Suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan; bittet, so wird euch gegeben« den Rahmen und das Ziel aller wissenschaftlichen Forschungen gemäß der Schrift absteckt. Immerhin soll das Ganze auf nichts Geringeres gerichtet sein als auf »die Gabe der von Gott geschenkten Erkenntnis, die fest greifbar durch die wahrhaft logoshafte Untersuchung aufscheint«, wie es Str. 8,2,1 echt clementinisch heißt.
Diesen Text zu erschließen hat sich der Vf. zur Aufgabe gemacht, nachdem er schon verschiedentlich in früheren Aufsätzen sich dem anstehenden Fragenkomplex angenähert hat. Im vorliegenden Buch nun erörtert er in einem ersten Teil die nach wie vor kontroversen Einleitungsfragen, indem er einerseits die Stellung des achten Buches der Stromata und dessen theologische Relevanz innerhalb der Werke des Clemens zu bestimmen und andererseits die von Clemens benutzen Quellen für diese logischen Ausführungen zu eruieren sucht (1–84). In einem zweiten Teil legt der Vf. eine eigene Edition des griechischen Textes nebst einer englischen Übersetzung vor, wo alle in der neueren Forschung vorgeschlagenen Texteingriffe berücksichtigt und ein gutes Dutzend eigener, durchweg überzeugender Emendationen hinzugefügt sind, und schließt sodann einen ausführlichen Kommentar an, der Satz für Satz diesen so schwierigen Text erklärt (86–311). Das Literaturverzeichnis und drei Register schließen den Band ab (313–373).
Um es gleich an dieser Stelle zu sagen, der zweite Teil ist nicht nur der weit umfangreichere, sondern er trägt in den Augen des Rezensenten auch das Hauptgewicht. Was Clemens zu so abstrakten und komplexen Themen wie der formalen Logik ausführt, oftmals nicht aus sich selbst verständlich, oftmals fragmentarisch und isoliert, das findet hier die mit reichem Parallelmaterial abgesicherte sachgemäße Erläuterung und philosophiegeschichtliche Verortung. Der Vf. hat damit ein sehr wertvolles Arbeitsinstrument bereitgestellt, das allen, die mit dieser Materie zu tun haben, hoch willkommen sein wird.
Etwas anders liegen die Dinge im ersten Teil, wo es um die heiklen Einleitungsthemen geht. Man hat fast den Eindruck, dass der Vf. mehr neue Fragen aufreißt als fertige Antworten gibt. In der langen Forschungsgeschichte, von ihm erhellend nachgezeichnet, haben sich letztlich zwei Grundpositionen herausgebildet, die für alle Anhänge, die in der Florentiner Handschrift auf das siebte Buch folgen, gelten, hier aber auf das achte Buch zu fokussieren waren. Man kann im achten στρωματεύς Vorarbeiten sehen, die Clemens selbst für die Abfassung der Stromata angefertigt hat, sei es, dass er sie gleich zu Beginn für die Benutzung bei allen Büchern konzipiert habe (Wilhelm Ernst 1910, Wilhelm Bousset 1915), sei es, dass er sie für die geplante Fortsetzung nach dem siebten Buch, zu deren Ausführung er dann nicht mehr gekommen ist, zusammengestellt habe (Johannes von Arnim 1894, Otto Stählin 1905). In beiden Fällen wäre der uns überlieferte Text zwar nicht zur Publika-tion bestimmt gewesen, aber wir hätten den originalen Wortlaut, so wie ihn Clemens niedergeschrieben hat, vor Augen. Oder man kann im achten στρωματεύς Auszüge und Exzerpte sehen, die ein späterer Bearbeiter aus der ihm vorliegenden Fortsetzung, die Clemens fertig abgeschlossenen hätte, aber heute verloren gegangen ist, angefertigt habe (Theodor Zahn 1884, Pierre Nautin 1976). In diesem Fall würden wir im überlieferten Text zwar immer noch Clemens vernehmen, aber doch in einer mehr oder weniger stark verstümmelten und verkürzten Form, wo gerade die theologische Anwendung so gut wie ausgeblendet zu sein scheint. Angesichts dieser Forschungslage plädiert der Vf. dafür, dass nicht generelle Erwägungen, sondern nur genaue und detaillierte Analysen des Textes im Vergleich mit Clemens’ Plänen für die Fortsetzung der Stromata zu einem sicheren Ergebnis führen können.
Im analysierten Textmaterial erkennt der Vf. dementsprechend, frühere Forschungsergebnisse weiterführend (Johannes von Ar­nim 1894, Christiane von Wedel 1905, Wilhelm Ernst 1910, Friedrich Solmsen 1973, Teun Tieleman 1996, Jean-Joel Duhot 1989), einen aristotelischen Grundstock, der um einige stoische Motive erweitert und mit medizinischen bzw. pharmakologischen Elementen angereichert ist, und postuliert für das gesamte achte Buch eine einzige Quelle: das verlorene Werk »De Demonstratione« des Arztes und Philosophen Galen von Pergamon, was durch eine in der Tat überwältigende Zahl von Parallelen, Analogien und Entsprechungen aus Galens erhaltenen Werken nahegelegt werde (so der Vf. schon in Vigiliae Christianae 65 [2011], 343–375; dort 373 f. auch der wichtige Verweis auf Eusebius, Hist. Eccl. 5,28,14, vgl. noch 7,32,6). Natürlich ist sich der Vf. bewusst, dass sich nun erhebliche Fragen aufdrängen. Die vordringlichsten wären zweifellos, wie man sich Anlage, Gestalt und Zielsetzung dieses ehedem 15 Bände umfassenden philosophischen Hauptwerkes Galens vorstellen soll und ob Clemens dieses Werk überhaupt je im Ganzen gelesen oder nicht eher nach einem Kompendium gegriffen hat und, wenn doch, aus welchem Zusammenhang er welche Passagen übernommen hat. Dazu erklärt der Vf.: »These and other questions must be further explored, particularly against the background of the fragments and testimonies of Galen’s On Demonstration. And of course, the hypothesis itself has to be further scrutinized« (ebd., 50).
Andererseits geht der Vf. der Frage nach, wie die logischen Ab­handlungen des achten Buches innerhalb von Clemens’ Plänen zur Abfolge der Stromata zu stehen kommen. Dazu mustert er Clemens’ programmatische Ankündigungen vom ersten Buch an durch und kommt zu dem ausdrücklich gegen Nautins Position gerichteten Ergebnis, dass das achte Buch, zumal nach dem richtungsweisenden ersten Kapitel, nicht dem entspricht, was man aufgrund von Clemens’ erklärten Absichten erwarten müsste: nämlich eine Verteidigung des christlichen Glaubens gegen Angriffe von Heiden und Juden. Das würde für die Annahme von Vorarbeiten sprechen. So konstatiert es der Vf. auf S. 56 auch, aber zwingend ist diese Annahme nicht, wenn man die mäandrierende, kreisende Schreibweise be­rücksichtigt, für die Clemens geradezu berüchtigt ist. Außerdem prüft der Vf. die seit Joseph Hubert Reinkens (1851) ins Feld geführten Stellen, die schon in den früheren Büchern I–VII der Stromata eine Benutzung des logischen Materials von Buch VIII zu verraten scheinen. Doch das sich ergebende Bild ist nicht eindeutig, zumal dort bisweilen überschießende Gesichtspunkte festzustellen sind, sodass der Vf. nur sicher zu sagen vermag, dass Clemens in den ersten sieben Büchern einen ähnlichen Text wie das achte Buch als Quelle benutzt hat, aber nicht dieses, wie es uns vorliegt: »rather he used a different text, stemming in all probability from the same source, but containing some other material« (72). Man müsste wohl mit mehreren Bearbeitungsstufen, in denen Clemens sein Material gesammelt hätte, rechnen. Doch wirklich nachvollziehbar erklären lässt sich auf diesem Wege, wie der Vf. selbst einräumt (75), die Entstehung des achten στρωματεύς nicht. Er möchte aber – im Unterschied zur Position von Theodor Zahn und Pierre Nautin – daran festhalten, dass Clemens die Exzerpte zur Logik selbst für die eigene Arbeit an den Stromata zusammengestellt hat. Und mit Gewissheit lasse sich auch sagen, dass Clemens sie anwendungsorientiert, d. h. nicht als reine Sachinformationen um ihrer selbst willen, sondern als Hilfsmittel im Dienst der Verteidigung und Entfaltung des christlichen Glaubens habe verstanden wissen wollen (73). Das würde sich in der Tat in die schulphilosophische Debatte dazu, ob die Logik ein Teil oder ein Werkzeug der Philosophie ist, einpassen und Galens erkennbarem utilitaristischen Ansatz in »De Demonstratione« entsprechen.
Zwei kritische Rückfragen seien noch angeschlossen. Anders, als der Vf. meint (9), wird man sagen müssen, dass Photius, der mehrere Handschriften der Stromata eingesehen hat und auch solche mit dem Traktat »Quis dives salvetur« nach Buch VII erwähnt, nicht Buch VIII in der Form, wie wir sie kennen, gelesen haben kann. Zwar zitiert er (Bibl. 111) die ersten Worte, wie sie auch im Laurentianus stehen, aber sagt dann weiter, dass dieses Buch (es wäre sehr willkürlich, den Passus auf alle Bücher der Stromata beziehen zu wollen) ἐνιαχοῦ οὐχ ὑγιῶς διαλαμβάνει und dass darin viele Ideen der Hypotyposen bekämpft werden – was beides schwerlich für den »liber logicus« zutrifft.
Die Überschrift nach VIII 16,3 auf f. 353r als ursprüngliche Glosse zu erklären, wie es der Vf. tut (219), wird nach Meinung des Rezensenten dem Sachverhalt, dass sie (nur ohne das Verb) am Schluss nach 33,9 auf f. 361r als subscriptio wiederkehrt (zutreffend die Beschreibung, 3), nicht gerecht. Sie steht, wie auch das Schmuckband andeutet, gleichrangig mit den anderen Überschriften und dürfte wohl als Indiz zu deuten sein, dass der »liber logicus« in verschiedenen Rezensionen existiert hat. So würde sich am ehesten auch die versprengte Stellung von VIII 22,1–4 erklären (für den Vf. »a mystery«, 241). Aber mit Recht scheidet er die von Otto Stählin missverstandenen Worte Πρὸς τοὺς Πυρρωνίους zwischen VIII 15,1 und 15,2 als Glosse aus (102.200 f.).
Zuletzt noch eine Kleinigkeit zu VIII 29,3: Es mag verführerisch sein, hier die platonisch christliche Junktur von δημιουργὸς καὶ ποιητής wiederzuerkennen, so der Vf. (292). Doch wenn es im nächsten Satz heißt: οὐκ ἔστιν αὐτό τι ἑαυτοῦ αἴτιον, so gilt das gerade nicht für den göttlichen Weltschöpfer, denn der ist ungeworden, aus sich selbst seiend (vgl. Str. 7,28,7). Dass das Argument ein anderes Ziel habe, »namely to show that matter cannot create itself, and so it must be created by the demiurge«, steht aber nicht im Text. Ich würde dafür plädieren, die besagte Junktur als Glosse zu tilgen.