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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

54–56

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Boda, Mark J., Meek, Russell L., and William R. Osborne [Eds.]

Titel/Untertitel:

Riddles and Revelations. Explorations into the Relationship between Wisdom and Prophecy in the Hebrew Bible.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2018. XIII, 306 S. = The Library of Hebrew Bible/Old Testament Studies, 634. Geb. £ 85,00. ISBN 978-0-567-67164-6.

Rezensent:

Beat Weber

Der vorzustellende Sammelband geht auf Referate zurück, die in einer Forschungsgruppe des »Institute for Biblical Research« (IBR) gehalten wurden. Ziel ist die Überprüfung bibelwissenschaftlicher Sichtweisen betreffend Querbeziehungen und Beeinflussungen der Bereiche Weisheit und Prophetie respektive der zugeordneten biblischen Bücher. Dem mag der Umstand geschuldet sein, dass definitorische und methodologische Fragen einen großen Raum einnehmen. Der mit einer Gesamtbibliographie und zwei Indizes (Referenzen und Autoren) gut erschlossene Band bietet die insgesamt siebzehn Beiträge unter vier Rubriken an:
Part I: Methodology: Russel L. Meek, Prophet and Sage in Dialogue: History and Methodology, 3–18; Will Kynes, »Wisdom« as Mask and Mirror: Methodologic-al Questions for »Wisdom’s« Dialogue with the Canon, 19–29; Mark Sneed, Methods, Muddles, and Modes of Literature: The Question of Influence Between Wisdom and Prophecy, 30–44; Stuart Weeks, Overlap? Influence? Allusion? The Importance of Asking the Right Questions, 45–54; John W. Hilber, The Relationship of Prophecy and Wisdom in the Ancient Near East, 55–72.
Part II: Wisdom Among the Prophets: Eric Ortlund, Spiritual Blindness and Wisdom Traditions in the Book of Isaiah, 75–94; Leslie C. Allen, The Structural Role of Wisdom in Jeremiah, 95–108; William R. Osborne, Wisdom Gets »Tyred« in the Book of Ezekiel, 108–123; Andrew E. Steinmann, Daniel as Wisdom in Action, 124–146; Daniel C. Timmer, Where Shall Wisdom Be Found (in the Book of the Twelve)?, 147–163.
Part III: Prophecy Among the Sages: Ryan O’Dowd, A Prophet in the Sage’s House? Origins of the Feminine Metaphors in Proverbs, 167–181; Martin A. Shields, You Can’t Get a Sage to Do a Prophet’s Job: Overcoming Wisdom’s Deficiency in the Book of Job, 182–198; Richard Schultz, Was Qohelet an Eschatological or an Anti-Apocalyptic Sage? Hebel, the Evil Day, and Divine Judgment in the Book of Ecclesiastes, 199–214; Timothy Johnson, From Where Should Apocalyptic Be Found? The Book of Job as Key to von Rad’s Theory, 215–232.
Part IV: Responses: Katarine J. Dell, Response on Methodological Matters Regarding Wisdom Influence and on the Relationship Between Wisdom and Prophecy, 235–247; Mark J. Boda, Wisdom in Prophecy: A Response, 248–258; Tremper Longman III, Prophecy and Wisdom: Connections, Influences, Rela-tionships, 259–268.
Widmet sich der erste Teil der Methodologie, so untersuchen die beiden nachfolgenden Teile die Einflüsse der Weisheit in der Prophetie respektive umgekehrt der Prophetie in weisheitlichem Schrifttum. Die Beiträge im vierten Teil respondieren je zu einer der drei genannten Fragestellungen. Von daher macht es Sinn, diese bei der Besprechung der drei Teile, die hier nur knapp geschehen kann, mit dazu zu nehmen.
Methodologie (I): Methodenfragen bestimmen nicht nur die ersten fünf Beiträge, sondern finden sich auch in den nachfolgenden inhaltlichen Teilen. Insbesondere die Frage nach weisheitlichen Einflüssen in nicht-weisheitlichem Schrifttum (hier: in den Prophetenbüchern) ist alt und wird immer neu traktiert. Als Ausgangspunkt wird der Beitrag von Johannes Fichtner vor siebzig Jahren angesehen (Jesaja unter den Weisen, ThLZ 74 [1949], 75–80). Meek plädiert mit Blick auf die Frage nach Verbindungen zwischen den beiden Bereichen dafür, die Vorgehensweisen der Formkritik mit derjenigen der innerbiblischen Anspielung bzw. Exegese zu verbinden. Kynes hält die Formkritik dagegen für keine solide Methode und will – diesbezüglich mit Meek, wenn auch unter Verwendung anderer Begrifflichkeit – vornehmlich auf das Verfahren der Intertextualität abstellen. Sneed setzt mit der Erwähnung von fünf Fehlannahmen ein und plädiert für eine größere Nähe zwischen Prophetie und Weisheit als gemeinhin angenommen: »Thus, the prophetic and wisdom traditions are nothing more than literary traditions, which do not require separate groups of specialists to compose in them.« (43) Weeks stimmt mit ihm insofern überein, als die Bereiche als zu stark voneinander isoliert angesehen und auf rivalisierende Gruppen verteilt würden. Er spricht sich für eine Untersuchung des verwendeten Vokabulars aus; aber auch die Gesamtpräsentation im jeweiligen Buch gilt es mit zu bedenken. In ihrem Schlussbeitrag moniert Dell, dass die Diskussion zu wenig unter Einbezug von beispielhaften Belegen geführt werde. Sie markiert die Hauptdiskussionspunkte in den Bereichen Gattung/Genre, Definition von Weisheit, weisheitliche Beeinflussung und Schriftkultur. Zugleich macht sie auf die noch nicht geklärte Asymmetrie aufmerksam, dass die Einflussrichtung Weisheit => Prophetie ungleich prägnanter sei als umgekehrt.
Der Beitrag von Hilber ist insofern besonders, als er Textbelege stärker einbezieht und über die Bibel hinausgreift. Während der Begriff Weisheit für Studien zu Ägypten und Israel gebräuchlich ist, ist er mit Blick auf Mesopotamien strittig. Unterschiedliche Einbezüge divinatorischen Geschehens in die Prozesse des Erkennens und Verhaltens dürften eine Rolle spielen. Die Integration von Weisheit in Prophetie ist karg; umgekehrt spielt die magische (mantische) Art von Prophetie in der (ägyptischen) Weisheit eine Rolle. Insgesamt bieten die nahöstlichen Analogien wenig Support dafür, biblische Weisheit mit direkter Offenbarung zu verbinden. Bei den Beiträgen dieses ersten Teils zeichnet sich ein Konsens dahingehend ab, als die Größen Prophetie und Weisheit nicht (mehr) so statisch und voneinander strikt geschieden anzusehen sind.
Weisheit => Prophetie (II): Fünf Beiträge widmen sich der Rezeption weisheitlicher Motivik bzw. Thematik in den Prophetenschriften Jesaja, Jeremia, Ezechiel, dem Dodekapropheton und dem kategorialen Grenzgänger Daniel. Ortlund attestiert der Weisheit eine beträchtliche Rolle im Kontext der Gerichts- und Heilsan-sagen des Prophetenbuchs Jesaja. Diskutiert werden Jes 1,2–3, die Thematik der weisen und unweisen Könige (Jes 10,13; 11,1–9; 19,11–12), ferner Jes 28,23–29; 29,13–14.24; 30,20–21; 32,3–8; 40,12–26; 41,20; 44,18; 52,13–53,12/15. »Israels’s failure in wisdom’s generous conditions is one part of this massive collapse in the people’s covenant existence before God.« (94) Nach Allen fungieren »Weisheit/Weiser« als Schlüsselwörter (auf die er sich konzentriert) namentlich in Aussageblöcken innerhalb Jer 7–10. Darüber hinaus sind Aussagen in den Völkersprüchen zu nennen (Jer 49,7; 50,35; 51,57). Das Buch Ezechiel hat hinsichtlich weisheitlicher Einflüsse weniger Aufmerksamkeit erfahren. Osborne erwähnt die achtmalige Verwendung von maschal (Spruch, Paralbel) und ebenso viele Belege für das Verb. Erwähnenswert ist insbesondere auch der Spruch gegen die arrogant-hybride »Weisheit« von Tyrus (Ez 27–28). »Ezekiel (seemingly both prophet and book) is by no means cut off from the proverbial wisdom circulation among the Judean exiles, as well as those remaining in the land.« (110) Nach Steinmann werden Daniel und seine Genossen als Weise im Blick auf ihre Handlungs- und Lebensweise dargestellt. Tabellarisch wird weisheitliche Schlüsselbegrifflichkeit in den hebräischen und aramäischen Buchteilen (im Mengenvergleich mit andern alttestamentlichen Texten der Weisheit/Poesie) erhoben. Timmer klammert (zunächst) historische Vorannahmen und damit Abhängigkeitsrichtungen aus und wählt einen semantisch-intertextuellen Ansatz. Er behandelt le­diglich einen Teil des Zwölfprophetenbuchs (und lässt Schriften, die ebenfalls als Kandidaten für weisheitlichen Einfluss gelten, beiseite – ohne dies zu erwähnen und zu begründen). Ein erster Vergleich betrifft Hiob und Habakuk. Die Korrespondenzen werden weniger auf der lexikalischen denn auf der konzeptionellen Ebene gesehen. Die Verbindungen von Nahum zur Weisheit (Prov; Hiob) sind marginaler. Im Schlussbeitrag von Boda wird Timmers Ausgehen von strukturellen und konzeptuellen Analogien als zu allgemein und zu wenig textevident problematisiert. Bei Steinmann wird das Fehlen der Di­mension der Offenbarung im Zusammenhang von Daniels Weisheit bemängelt.
Prophetie => Weisheit (III): O’Dowd fragt nach Einflüssen der Reden von der Frau in Prov und sieht in Aussagen der Prophetenbücher (Jer; Ez; Hos; Mal) »the inspiration for the sages to weave together themes of harlotry, folly, and covenant infidelity in Prov 1–9« (178). Schultz fragt nach prophetischen Einflüssen in Kohelet, wobei das Buch Jesaja im Blick ist. Die Evaluation geschieht um­sichtig, das Urteil ist insgesamt negativ: Zwar sind Einflüsse von Jesaja möglich, aber »the extent of prophetic influence on Qohelet’s thought as well as the degree to which his teaching reflects a fundamental polemic against prophetic or apocalyptic traditions is considerably less than has been claimed« (214). In den Beiträgen von Shields und Johnson stehen Hiob und die Frage, ob und inwiefern er zu den »klassischen« Weisheitsbüchern gehört – namentlich aufgrund von Hinweisen auf Offenbarung in den Elifas- und Elihu-Reden (vgl. Hiob 4,12–13; 32,7–9; 33,15–16) und den Theophanien (Hiob 38–41) –, im Fokus. Während Shields göttliche Offenbarung in der Weisheit von Hiob reflektiert sieht und das Buch gleichsam eine Brücke zwischen den Weisen und den Propheten darstellt, sieht Johnson in seinem interessanten Beitrag in Hiob ein frühes Stadium der Apokalyptik (aus dem 6. Jh. v. Chr., ausgelöst durch das Exil). Die entscheidende Frage sei, ob Hiob Gott ins Angesicht fluchen wird (wie zweimal vom Satan vorausgesagt) oder nicht. Betont wird das Ausharren angesichts von Attacken gegen das Festhalten an Gott im Glauben. Johnsons Sicht widerspricht Longman in seinem Schlusswort dezidiert: Hiob erfülle zwei Grundbedingun-gen der Apokalyptik nicht (keine endzeitliche Botschaft; nicht über Visionen vermittelte, sondern direkte Gottesanrede), und das Thema von Hiob sei die Weisheit: als Gottesweisheit gegenüber menschlicher Weisheit; erstere sei »informed by God’s revelation« (263).
In der Diskussion und Beurteilung von Weisheit (insbesondere bei Hiob) erweist sich die Frage, ob und in welcher Art göttliche Offenbarung genuin zur Weisheit gehört bzw. sie ausmacht, als besonders virulent. Je nach der Beurteilung werden die Größen Weisheit, Prophetie und Apokalyptik anders nuanciert und einander zugeordnet. Die beiden Begriffe im Buchtitel stehen für das Verhältnis der beiden Größen Weisheit und Prophetie und dürften der Erzielung eines Stabreims geschuldet sein. Um »Riddles« im engeren Sinn, ging es freilich kaum; wohl aber erwies sich der An­teil an »Revelations« über die Prophetie hinaus auch in der Weisheit als Leitfrage, welche namentlich im letzten Teil der Beiträge kontrovers wie anregend diskutiert wird.