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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

37–39

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Hrsg. v. H. Lichtenberger u. a.

Titel/Untertitel:

Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit. Historische und legendarische Erzählungen, Lfg. 9: Knöppler, Thomas: 3. Makkabäerbuch. Bd. I

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus (Randomhouse) 2017. 168 S. Kart. EUR 139,00. ISBN 978-3-579-03927-5.

Rezensent:

Walter Ameling

Dies ist der letzte Beitrag zu Band I der »Jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit« – und ich erinnere besonders an die wichtigen Kommentare zu 1/2Makk (Schunck, Habicht). Thomas Knöppler bietet, wie in der Reihe üblich, Einleitung, Übersetzung und Kommentar. Es gibt vergleichbare Arbeiten in den »Apocrifi dell’ Antico Testamento« (Passoni dell’Acqua), in der »Bible d’Alexandrie« (Mélèze-Modrzejewski) und in der »Septuagint Commentary Series« (Croy); in deutscher Sprache sind zu nennen die Übersetzung in der LXX.D, die Erläuterungen im Ergänzungsband dazu (beides von K.), schließlich die einführenden Artikel in LXX.H 1 u. 3 (beide von W. Orth).
K. änderte die Übersetzung in LXX.D an fast 250 Stellen, wobei nicht alle Änderungen nötig oder gar besser sind. Typologisch kann man notieren: a) Partikel am Anfang eines Satzes werden stärker hervorgehoben; anders übersetzt werden b) einzelne Wortfelder (e. g. θρασύς etc.: kühn > dreist); c) Bezeichnungen der ptolemäischen Verwaltung (s. bereits 1,1: die von ihm beherrschten Gebiete > die von ihm beherrschten Distrikte); d) oft wird nur ein Wort ausgetauscht (e. g. 1,22: kühn – mutig; 2,1: Gebieter der ganzen Schöpfung – Gebieter über die ganze Schöpfung; 2,3: des Weltalls Gebieter – des Weltalls Beherrscher); e) an wenigen Stellen ändert K. den Sinn, was angesichts der schwierigen Sprache verständlich ist (z. B. 2,9; 5,43).
An manchen Stellen würde ich anders übersetzen; ich gebe nur ein paar Beispiele: μέχρι τῶν κατὰ Ῥαφίαν τόπων »bis zu den Wohnplätzen von Rhaphia« (1,1), eher: »bis in die Gegend von Rhaphia«; τὰς πλησίον πόλεις ἐπελθῶν παρακαλέσαι »die benachbarten Städte durch sein Herbeikommen zu trösten« (1,7), eher: »die nahegelegenen Städte aufzusuchen, um aufmunternde Worte an sie zu richten«; τοῖς τεμένεσι δωρεὰς ἀπονείμας »den Tempelbezirken Privilegien verlieh« (1,7), eher: »Geschenke zuteilte«; ξένια κομιοῦντας »um Geschenke herbeizubringen« (1,8), eher: »um Naturalabgaben (für den König und dessen Begleiter) zu bringen«; χάριτας ἀποδίδους »Dankesbezeigungen abstattete« (1,9), eher: »Gefälligkeiten erwies«; τοῦ τε νόμου παραναγνωσθέντος »und als das Gesetz vorgelesen wurde« (1,12), eher: »und selbst nachdem das Gesetz öffentlich vorgelesen worden war«; μόλις δὲ ὑπό τε τῶν γεραιῶν καὶ τῶν πρεσβυτέρων ἀποτραπέντες ἐπὶ τὴν αὐτὴν τῆς δεήσεως παρῆσαν στάσιν »nachdem sie mit Mühe sowohl von den Vornehmen als auch von den Ältesten von einem Aufstand abgehalten wurden, kamen sie zu demselben Gebet« (1,23), eher: »nachdem sie kaum von den Ratsherren und den Ältesten (cf. 1,8) abgehalten wurden und zu demselben Zustand des Gebetes (cf. 1,21) gelangt waren«.
K. datiert das Buch auf ca. 100 v. Chr., was möglich ist; der Autor kennt LXX Dan 3,46–50, was nicht vor dem letzten Drittel des 2. Jh.s entstand; er kannte 2Makk, das Habicht auf 124 v. bis 70 n. Chr. datiert; ob er LXX Esther kannte oder beeinflußte, ist umstritten; 5,43 wäre nach der Zerstörung des Tempels sinnlos. Sachliche und stilistische Argumente für die Zeit um 100 sind allerdings schwach (K. möchte die Grußformel χαίρειν καὶ ἐρρῶσθαι [3,12; 7,1] für seine Datierung nutzen, doch bietet ihre Einführung nur einen t. p. q.; die Formel wird formal von Caesar im Jahr 46/5 v. benutzt (Sherk, Roman Documents 26; Mytilene) und kommt in einem Privatbrief noch 2 v. Chr. vor (SB 14, 11294). M. Orian, SCI 36, 2017, 45–54 datierte 3 Makk jetzt in die herodianische Zeit.
Das Datum mag trotzdem stimmen, aber K.s grundsätzliche historische Einordnung scheint mir wenig wahrscheinlich, denn er beurteilt den historischen Wert von 3 Makk »durchaus zuversichtlich« (839). Dies mag zur Not für die Anfänge gelten (auch wenn Ptolemaios v. Megalopolis aus dem Spiel bleiben sollte), aber K. fährt – trotz einiger Einschränkungen – fort: »Aus einer Fülle von…] Indizien ergibt sich […] doch ein historisch plausibles Bild. Wäre es nicht möglich, dass der […] Hof im Fall des Ausbleibens der Nilschwemme oder zur Niederschlagung von Aufständen den gegenüber der einheimischen ägyptischen Bevölkerungsgruppe privilegierten Juden eine Sondersteuer (vgl. 2,28–33) auferlegte, um so seine nicht unbeträchtlichen Finanzaufgaben schultern zu können? Dass ein Großteil wohl vor allem der hauptstädtischen Juden diese Steuer entrichtete, wird in 2,32 f. angedeutet. Dass sich eine starke jüdische Gruppe fern der Hauptstadt dieser Anordnung verweigerte, ist zwar nicht mit letzter Sicherheit zu beweisen, aber historisch durchaus vorstellbar. Dass die ptolemäische Zentralgewalt diese Verweigerung nicht hinnehmen konnte, dürfte ebenso plausibel sein. Ob es am Ende tatsächlich zwei Engel waren, die für ein Einlenken bei Hofe gesorgt haben, oder ob diese beiden ἄγγελοι mit zwei finanzstarken Repräsentanten der alexandrinischen Juden zu identifizieren sind, mag dahingestellt bleiben.« Das scheint mir alles ebenso unwahrscheinlich und unmöglich wie die Vorstellung von K. 840, dass der Autor »Absolvent einer Ausbildung für Verwaltungsfachkräfte« ge­wesen sei. Auch scheint er nur unpräzise Vorstellungen von der Terminologie für die Institutionen des ptolemäischen Staates zu haben (gleichgültig, ob 2. oder 1. Jh.) – pace Mélèze-Modrzejewski, Passoni dell’Acqua, Keddie. Um wieder nur ein Beispiel zu geben: auch wenn es φίλοι und σωματοφύλακες als ptolem. Hofrangtitel gab, so macht die Kombination φίλοι καὶ σωματοφύλακες (2,23) wenig Sinn – sie stammt aus der Literatur über Alexander d. Gr. (Plut. Alex. 39,7; Diod. 18,2,2; 4). Ich finde auch in 3,12–29; 7,1–9 weder Form noch Stil der ptolemäischen προστάγματα.
K. widmet sich der ›asianischen Schreibart‹ von 3Makk relativ wenig. Hier bietet eine brillante Seite von Wilamowitz einen ersten Ansatz (Kl. Schriften IV, 105 f., n. 4), und es würde mich wundern, wenn eine Analyse nach seinem Vorbild nicht unterschiedliche Schreibarten in einzelnen Teilen des Buches erwiese.
Der Kommentar ist weit umfangreicher, als es die Bemerkungen im Erläuterungsband zur LXX.D sein konnten, er ist auch ausführlicher als der von Mélèze-Modrzejewski, ist damit der ausführlichste moderne Kommentar zu 3Makk. In ihm interessiert sich K. besonders für die Mentalitätsgeschichte und das Theologische, die Fragen des Gottesbildes. Dies ist für viele Benutzer der Reihe wohl besonders wichtig, und hier zeigt sich noch einmal, dass K. der ge­eignetste Autor dieses Bandes war. Es hat uns das schwierige Werk an vielen Stellen nähergebracht, und vielen wird er die erste, si-chere und kompetente Einführung bieten. Sein Kommentar ist eine würdige Ergänzung der Reihe.