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Ausgabe:

Dezember/2019

Spalte:

1252–1254

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Cremer, Oliver

Titel/Untertitel:

Das sagt der Sohn Gottes. Die Christologie der Sendschreiben der Johannesoffenbarung.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2014. 255 S. = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 141. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-7887-2860-1.

Rezensent:

Stefan Alkier

Bei der Monographie von Oliver Cremer handelt es sich um eine für den Druck »leicht überarbeitete Fassung« (Vorwort) seiner Dis-sertationsschrift, die im Jahr 2012 an der Kirchlichen Hochschule Wup­pertal/Bethel angenommen wurde. Gutachter waren Martin Karrer und François Vouga.
Ziel der Arbeit war es, auf der Basis der sieben Sendschreiben in Kapitel 2 und 3 einen Beitrag zur Christologie der Apk zu erarbeiten. Das theologische Interesse C.s ist es, sich von der soteriologischen Interpretation der Christologie durch Traugott Holtz, Die Christologie der Apokalypse des Johannes, TU 85, Berlin 1962, abzugrenzen, die Christus »nahe unter Gott« (Holtz, 126) verortete. Demgegenüber unterstützt C. im Anschluss an u. a. Konrad Huber und Thomas Söding den Trend zu einer »hohen Christologie« (5. 136.165.214) der Apk. Eine systematische Begriffsklärung dieser »hohen Christologie« fehlt. Nur implizit wird deutlich, dass es C. wohl darum geht, die Trinitätstheologie des 4. Jh.s ansatzweise schon in der Apk wiederzufinden, wenn er etwa die »gottgleiche Macht Christi« (139; vgl. 152) hervorhebt und die »Wesenseinheit Gottes und Christi« (206) in der Apk zu finden meint. Das dogma-tische Leitmotiv der »hohen Christologie« zieht sich durch alle Ab­schnitte der Arbeit wie ein roter Faden und bestimmt mitunter auch die philologischen und exegetischen Entscheidungen.
Kapitel 1 (1–22) skizziert knapp »Forschungsstand und Problemstellung«. Kapitel 2 (23–203) kommentiert Aspekte der Sendschreiben vornehmlich unter Herstellung von Text-Text-Beziehungen, und Kapitel 3 (205–214) dient der Ergebnissicherung. Ein metho-discher Abschnitt fehlt. Angehängt sind ein Abkürzungsverzeichnis (215), ein Literaturverzeichnis (217–234), ein epigraphischer Anhang (235–245), ein numismatischer Anhang (247–254) und ein ikonographischer Anhang (255).
Kapitel 1 skizziert die methodische Idee C.s, ohne die Methodik vorzustellen und sie hermeneutisch zu reflektieren. Er möchte nach der Christologie der Sendschreiben fragen, dabei besonders den Bezug zur Vision in 1,9–20, die »Schriftbenutzung« (208) und »Lokale Bezüge in den Sendschreiben« (15) berücksichtigen. Letzteres führt allerdings trotz der medialen Anhänge entweder kaum über die Arbeiten von William Mitchell Ramsay, The Letters to the Seven Churches of Asia, 2nd Ed., Grand Rapids 1963, und Colin J. Hemer, The Letters to the Seven Churches of Asia in Their Local Setting, BRS, Grand Rapids 2001, hinaus oder beschränkt sich auf trendige Allgemeinplätze über die vermeintliche Bedrohung durch den Kaiserkult. Folgerichtig gibt es dann in der Ergebnissicherung in Kapitel 3 zu den lokalen Bezügen der Sendschreiben keinen eigenständigen Abschnitt.
Auch die wichtige Einsicht der engen Verwobenheit der Vision in 1,9–20 mit den Sendschreiben in 2–3 (17) wird nicht hinreichend ausgearbeitet. Zwar präsentiert C. eine übersichtliche Tabelle der Bezüge (18), aber er verkennt, dass die Sendschreiben zum selben Sprechakt gehören, der in 1,17b beginnt. Damit bilden aber 1,9–3,22 eine durchgehende Szene, die gänzlich auf Patmos angesiedelt ist. Erst mit dem Sprecherwechsel und der Ortsveränderung in 4,1 wird ein Szenenwechsel vorgenommen. Eine Analyse der Sendschreiben bedarf daher dringend einer Analyse der gesamten Szene von 1,9–3,22. Deshalb hätte C. zunächst das Gesamtbild der Erscheinung in 1,12b–16 interpretieren müssen, bevor er die in den Sendschreiben aufgenommenen Aspekte untersucht. Dadurch unterlaufen ihm semantische Fehler, wie etwa seine zwar kreative, aber methodisch unhaltbare Interpretation von χαλκολίβανος (Apk 1,15; 2,18). Der methodische Fehler besteht darin, über das einzelne Wort und seine Zusammensetzung zu spekulieren und dabei den Zusammenhang seiner Verwendung in 1,12b–16 aus dem Blick zu verlieren. Die Ekphrasis in 1,12b–16 trifft nämlich neben einer auditiven se­mantischen Markierung (»seine Stimme wie großes Wasserrauschen«, 1,15b) ausschließlich visuelle Markierungen. C. aber vermutet eine olfaktorische Bedeutung von χαλκολίβανος, nämlich »nach (himmlischem) Weihrauch duftende Bronze« (120). Dieser Einfall C.s sprengt aber die semantische Isotopie der Ekphrasis in 1,12–16. Solche semantischen Fehler unterlaufen ihm mangels me­thodischer Reflexion auch an anderen Stellen, wenn er etwa gegen seine eigene Einsicht (»Besonders der Sprachgebrauch der Offenbarung spricht gegen die Deutung von ἀρχή als Herrschaft.«, 197) mittels einer methodisch unkontrollierten Inanspruchnahme von Dan 7 (vgl. 200) sich dann doch für »Herrschaft« entscheidet, offensichtlich um ein Argument für seine »hohe Christologie« zu erzielen.
Dieser letzte Aspekt einer methodisch unkontrollierten Untersuchung von »Schriftbenutzung« zeigt die wohl schwerwiegendste methodische Schwäche der Dissertationsschrift C.s an. Es handelt sich nämlich bei seinen Untersuchungen zu den sieben Sendschreiben weniger um eine christologische Studie als vielmehr um Einflussforschung. Intertextuelle Theoriebildung ignoriert C. da­bei zum großen Schaden seiner Argumentation gänzlich. So unterscheidet er nicht zwischen produktions- und rezeptionsästhetischen Aspekten von Intertextualität und führt auch keine Kriterien für die Behauptung von Text-Text-Beziehungen an. Vielmehr kreiert er assoziativ einen monologischen Zusammenhang der Apk nicht nur mit hebräischen und griechischen Versionen der Schriften Israels, mit Qumranschriften und Targumen, sondern auch – wie schon lange vor ihm Vittorin von Pettau (ca. 230–304), der in seinem Kommentar den Seher in Übereinstimmung mit den Evangelisten und mit Paulus schreiben ließ – eine weitgehende Harmonie einer frühchristlichen Traditionsgeschichte (vgl. u. a. 98 ff.). »Jo­hannes war offensichtlich über seine jüdisch-palästinische Heimat und deren exegetische Traditionen hinaus mit der Schriftauslegung der ersten Christen vertraut.« (210) In der »Theologiegeschichte des Urchristentums« (198) verortet C. thetisch den Seher Johannes »im Kontext der johanneischen Schule, an deren Rande die Offenbarung steht« (175).
Die Dissertationsschrift von C. zeigt, wie schädlich die Ignoranz methodischer Theoriebildung für die Exegese ist. Dennoch trägt C. mit seiner Studie vor allem durch seine kreativen Einfälle und seine assoziativen Text-Text-Verknüpfungen Hilfreiches für die Interpretation der Johannesapokalypse bei. Sie kann vor allem als ein interessantes Reservoir für die Spurensuche möglicher intertextueller Beziehungen zwischen der Apk und jüdisch-christlichen Texten genutzt werden. Sie bietet zudem einige interessante Textbeobachtungen wie etwa die folgende zu Apk 1,17a; 2,8a: »Die Offenbarung des Johannes als Ganze bietet auf der Makroebene eine weitere Auflösung der Christusattribute ὁ πρῶτος und ὁ ἔσχατος. So ist der Name Ἰησοῦς der erste und der letzte Name, der in der Offenbarung genannt wird (1,1; 22,21).« (68)
Die lesenswerte Studie C.s zeugt insgesamt von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Johannesapokalypse im Rahmen ihrer Vernetzung insbesondere mit Schriften Israels und neutestamentlichen Schriften. Sie sollte insbesondere für intertextuelle Studien zu Apk 1,9–3,21 in die Forschung zur Apk einbezogen werden.