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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1192–1194

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Göcke, Benedikt Paul [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Wissenschaftlichkeit der Theologie. Bd. I: Historische und systematische Perspektiven.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2018. XLIV, 388 S. = Studien zur systematischen Theologie, Ethik und Philosophie, 13/1. Geb. EUR 59,00. ISBN 978-3-402-11912-9.

Rezensent:

Sven Grosse

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Fuchs, Monika E., u. Marco Hofheinz [Hrsg.]: Theologie im Konzert der Wissenschaften. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2018. 281 S. m. 6 Abb. u. 1 Tab. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-17-032489-3.


Die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Theologie wird zu Recht wieder bewegt, und sie sollte nicht zuerst deswegen bewegt werden, weil von ihr die Zugehörigkeit theologischer Fakultäten oder Institute zu Universitäten abhängt, sondern weil die Theologie aus ihrem Eigenen danach drängen muss, diese Frage zu stellen und zu klären. Ist die Theologie aber eine Wissenschaft, dann befindet sie sich in einer Gemeinschaft mit anderen Wissenschaften, und diese Gemeinschaft ist zu gestalten.
Diesen beiden eng miteinander verbundenen Themen widmen sich zwei neuere Erscheinungen: die eine herausgegeben von Benedikt Göcke, Juniorprofessor und Leiter der Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe »Theologie als Wissenschaft?!« am Lehrstuhl für Philosophisch-Theologische Grenzfragen an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum, die andere von Monika E. Fuchs und Marco Hofheinz, Professoren für Evangelische Theologie an der Universität Hannover. So eng beide Veröffentlichungen miteinander thematisch verknüpft sind, in der Art, wie jeweils gedacht wird, sind sie sehr verschieden.
Der von Benedikt Göcke herausgegebene Band ist ein Beispiel für die Übertragung der Denkweise der analytischen Philosophie auf die Theologie, somit »analytische Theologie« genannt, die aber – im Unterschied zu manchen, eine Zeit lang sehr dominierenden Vertretern der analytischen Philosophie – die traditionellen Positionen der Theologie versucht zu bewahren und zu verteidigen. Göcke erklärt in dem zweiten seiner beiden Beiträge (»Katholische Theologie als Wissenschaft? Einwände und die Agenda der analytischen Theologie«, 145–164), dass diese Denkweise besonders zu diesem Zweck geeignet sei, weil »systematische Plausibilität und Relevanz« und der »Modus der metaphysischen Seriosität« ihr eigen sind und dies in den auszutragenden Diskussionen notwendig ist (161). Die meisten Beiträge erbringen auch den Beweis für diese Qualitäten, wenngleich man anmerken muss, dass die erstrebte Klarheit auch mit etwas weniger Aufwand an logischem Instrumentarium und Fachsprache erzielt werden kann. Zu bedenken ist auch, dass die Gesprächspartner ihres Diskurses mehr oder weniger der gerade lebenden Generation angehören; Klassiker in der Vergangenheit scheint es kaum zu geben. Diesem Missstand versucht der Band von Göcke allerdings abzuhelfen durch einen vorgeschalteten his­torisch-systematischen Teil u. a. mit Beiträgen von Michael Stickelbrock zu Johannes Duns Scotus und Stascha Rohmer über Hegel und Whitehead. Doch wäre es wünschenswert gewesen, wenn auch in dem folgenden, wesentlich breiteren analytisch-systematischen Teil Klassiker der wissenschaftstheoretischen Reflexion in der Theologie wie Thomas von Aquin nicht nur gelegentlich herangezogen, sondern ein wesentliches Gewicht erhalten hätten, nicht, um ge­schichtliches Wissen auszubreiten (das wird zu Recht von den Analytikern als nicht sach-entscheidend angesehen), sondern um den Horizont der Gedanken und Argumente wesentlich zu erweitern.
Einen beachtlichen Entwurf analytischer Theologie stellt der Aufsatz von Thomas Schärtl dar (»Theologie – Weisheit – Wissenschaft. Ein Vorschlag«, 227–276). Ich greife daraus nur einzelne Punkte heraus. Schärtl setzt sich mit der These von Gerhard Schurz auseinander, es sei fraglich (d. h. abzulehnen), dass die Theologie zu den Realwissenschaften gehöre, weil die Realität Gottes nicht bewiesen werden könne (243). Schärtl erinnert dagegen an die Gottesbeweise, die zur Tradition der Metaphysik gehören, wozu in der heutigen Situation nicht nur argumentative Kraft, sondern auch Mut gehört. Daraus ergibt sich dann aber auch eine Nähe der Metaphysik (deren Wissenschaftsstatus ebenfalls von manchen bezweifelt wird, 246) zur Theologie, deren Verhältnis zueinander geklärt werden muss (249). Schärtl macht nun gegenüber Wolfhart Pannenbergs Grundaussage in Wissenschaftstheorie und Theologie von 1973, die er eingangs zustimmend zitiert (228), dass wissenschaft-liche theologische Aussagen immer nur Hypothesen seien, in der Auseinandersetzung mit Hermann Deuser doch den Vorbehalt, dass man nicht von einer »Gott-Hypothese« sprechen könne (255, Anm. 66). Schließlich führt Schärtl, inspiriert von Bernard Lonergan, den Begriff der Weisheit ein, welche Einsicht einschließt, und verknüpft dies mit dem Gedanken eines theologischen Eros, einem »Sich-Verlieben in den Erkenntnis-Gegenstand« (256 f.).
Einige problematische Punkte treten indes in dem Beitrag von Dominikus Kraschl hervor (»Christliche Theologie als paradigmenbasierte Wissenschaft. Ein Plädoyer in wissenschaftstheoretischer Perspektive«, 277–314). Theologie wird hier als ein Forschungsprogramm (zu dem Begriff: 284) vorgestellt, das auf einer bestimmten religiösen Weltanschauung beruht (286–290, hier: 292). Es gehört nun zu der Eigenheit von Forschungsprogrammen, dass sie auch scheitern können, und Kraschl meint, dies könne auch bei der Theologie der Fall sein (298.310). Hier zeigt sich die Kehrseite von Pannenbergs wissenschaftstheoretischem Entwurf, dem auch Holm Tetens verpflichtet ist (»Müssen Theologen methodische Athe­isten sein? Überlegungen zu einem vermeintlichen Dilemma, den Wissenschaftsanspruch der Theologie einzulösen«, 189–201: Theologie versucht, ausgehend davon, dass ein Gott sei, das Ganze der Welt- und Selbsterfahrung aufzuschließen: 198).
Christliche Theologie hat nämlich nicht erst seit Anselm von Canterbury die unvermeidliche Eigenheit, welche sie für eine von außen her entworfene allgemeine Wissenschaftstheorie noch herausfordernder macht, dass sie mit einer Wahrheitsgewissheit an­fängt, die dem Glauben gegeben ist, d. h. nicht dem eigenen Wissensvermögen, sondern die empfangen wird aufgrund einer vertrauensvollen Zustimmung zu dem Wissensvermögen eines an­deren (nämlich Gott). Weil diese Wahrheitsgewissheit zu einem noch ausstehenden Zeitpunkt (nämlich dem Eintritt in die Seligkeit) vollständig in das eigene Wissensvermögen übergegangen sein soll, darum arbeitet der von Glauben angestoßene Verstand jetzt schon an dem Aufdecken einer umfassenden Kohärenz, die sich durch diese Glaubenswahrheit erschließt. Dadurch verwandelt sich diese Gewissheit aber nicht in eine Hypothese, die sich auch als falsch erweisen kann.
Damit ist noch ein Zweites verbunden: Die Mitteilung dieser Glaubensgewissheit geschieht durch einen bestimmten größeren Text, der als Ganzes als Anrede Gottes und als seine Selbstmitteilung verstanden wird, nämlich die christliche Bibel. Die Auslegung der Bibel ist damit ein wesentlicher Teil der Theologie, der sich nicht einmal disziplinenunterscheidend von der Dogmatik und Fundamentaltheologie abtrennen lässt, auf welche sich die analytischen Theologen fokussieren (z. B. Göcke, 148).
Die enge Zusammengehörigkeit von Bibelexegese und systematischer Theologie zu betonen, ist indes einer der wertvollsten Beiträge im Buch von Monika E. Fuchs und Marco Hofheinz: Carsten Jochum-Bortfeld, »Die ›Sache‹ des Textes – Systematische Theologie und Exegese im Gespräch«, 198–216, hier: 214.
Wie eine Zusammenarbeit von Theologie und anderen Wissenschaften nicht aussehen darf, zeigt in diesem Band allerdings sehr schön der Beitrag des Soziologen Ralf Hoburg. Er legt den Theologen eine »aus der konkreten Lebenserfahrung entstehende Theo-logie« nahe, welche sich nach den Kriterien richtet, die aus der soziologischen Methodik der Wirklichkeitsbeschreibung stammen: Re­levanz, empirischer Test und subjektive Evidenz (260–262). Er übersieht dabei, dass es eine theologische, nicht eine soziologische Aussage ist, wenn man meint, über Gott aufgrund solcher Kriterien zutreffende Aussage machen zu können. Eine christliche Theologie ist eine solche Theologie dann allerdings nicht mehr.
Überblickt man nochmals beide Bände, dann fällt bei »Theologie im Konzert der Wissenschaften« eine unter Geisteswissenschaftlern weit verbreitete stark referierende Arbeitsweise auf, die in ihren Schlussfolgerungen bemerkenswert schwach ist (so etwa in dem Beitrag von Kai-Ole Eberhard über Wunder, 92 f., oder von Thorsten Paprotny über das Verhältnis von Theologie und Philosophie, 278). Demgegenüber hat allein schon die Arbeitsweise der analytischen Theologen und Philosophen die Aussicht, den denkerischen Aufgaben besser Genüge zu tun, und die hier genannten Einwände sollen nur als konstruktive Kritik an ihrem Projekt verstanden sein.