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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1182–1183

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Moxter, Michael, u. Markus Firchow [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Zeit der Bilder. Ikonische Repräsentation und Temporalität.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. VIII, 220 S. = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 73. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-155814-6.

Rezensent:

Anna Niemeck

Der von Michael Moxter und Markus Firchow herausgegebene Sammelband Die Zeit der Bilder. Ikonische Repräsentation und Temporalität vereint acht Beiträge, die das Verhältnis von Bild- und Zeitlichkeit erkunden. Michael Moxters ausführliche Einleitung (1–37) widmet sich zunächst der Bedeutungspluralität des Repräsentationsbegriffs, der zwar deswegen problematisch ist, sich je­doch nach wie vor als bildwissenschaftlicher Grundbegriff eignen soll. Moxter gibt eine Darstellung bisheriger Bildtheorien und erkundet, wie diese Zeitlichkeit miteinbeziehen. Danach werden die Beiträge vorgestellt.
Gottfried Boehms Auftaktaufsatz (38–60) widmet sich der Zeit als »Motor und Thema der ikonischen Artikulationen« (40). Anhand des Topos des Punktes analysiert er ikonische Temporalität in Skizzen und Werken mit Drehimpulsen, Zeitmessgeräten sowie Still-leben. Das Thema der Zeit in Darstellung zeichnet sich, Boehm zufolge, besonders durch seine Erscheinungsfülle aus und so muss Zeit als »die zentrale Kategorie bildlicher Darstellung« (55) gelten. Johann Kreuzers Beitrag (61–84) nähert sich Augustins Verständnis von Imagination über die Erklärung von Wahrnehmung und Erinnerung. Imagination ist sowohl auf innere Formgebung angewiesen als auch Zeitbedingungen unterworfen. In der Erinnerung wird ein Bewusstsein zeitlicher Verschiedenheit – dem erinnerten Vergangenen und dem jetzigen Moment der Erinnerung – evoziert, was Erinnern gleichsam zu einer »andauernde[n] Aufmerksamkeit auf das Vorübergehen des Zeitlichen« (79) macht. Sartres Sonderstellung innerhalb der phänomenologischen Bildtheorie wird im Aufsatz von Jens Bonnemann (85–103) erörtert. Die Bilderfahrung bei Sartre ist gerade keine besondere Wahrnehmung, sondern eine Form der Imagination und von Zeitlosigkeit bestimmt. Ein Kunstwerk ist demnach keine direkte Realisation einer Vorstellung, sondern der Versuch, die images mentales zu objektivieren und so öf­fentlich in images physiques zugänglich zu machen. Reinhard Hoeps (104–117) erfasst die Zeit der Bilder nicht nur als innerbild-liches Ereignis, vielmehr widmet sich der Beitrag Bildern, die den »Vergangenheitscharakter des christlich geprägten Bildes« (104) thematisieren. Hoeps problematisiert eingangs die Tatsache des religiösen Bildverlusts, der in dem Wegfall der Bildverehrung und in der theologischen Fixierung auf den ikonographischen Wert der Bilder gründet.
Bilder zeichnen sich vielmehr durch eine Ambivalenz von un­mittelbarer Präsenz und uneinholbarer Vergangenheit aus. Hoeps’ Beitrag zeigt in stichhaltigen Analysen von C. D. Friedrich und Goya die Bedeutung der christlichen Bildandacht für die Forschung – auch in Hinblick auf die Zeitlichkeit von Bildern – auf. Friedhelm Hartensteins Beitrag (118–143) untersucht medien-im­manente Zeitverhältnisse von Bild und Erzählung. Anhand der antiken Beispiele des Gilgamesch-Epos, der Ilias und Exoduserzählung werden jeweilige Besonderheiten ihrer spezifischen Tempo-ralität aufgezeigt. Zeitliche Wahrnehmung kann beispielsweise verlangsamt werden oder ein innehaltendes Betrachten eine Un­terbrechung der Narration hervorrufen, so dass es zu einer Verschränkung von Narrativem und Deskriptivem kommt (vgl. 142 f.). Petruschka Schaafsmas Aufsatz (144–160) nimmt den iconic turn im Horizont der Ethik, speziell der Familie, in den Blick. Die Ikonographie der Heiligen Familie, die nur eine fragmentarische neutes-tamentliche Grundlage hat, verweist in religiöser Kunst – besonders in Gemälden Rembrandts – auf etwas vermeintlich Natürliches und ist geeignet, das als heilig vorausgesetzte Bild der Familie zu hinterfragen. Materielle Bilder und ein solcher Bezug auf den iconic turn der Familie können so u. a. eine Alternative zur auf die Erzählung fokussierten ethischen Debatte bieten. Kristóf Nyíri (161–182) betrachtet die Gebärdensprache als »eigentliche Ursprache der Menschheit« (162) und untersucht eingehend u. a. mimische Eigenschaften der Lautsprache, Gebärden der Zeit und des Gebets. Dieter Mersch (183–199) schließt den Sammelband mit einer Untersuchung zum paradoxen Zeitverhältnis der Photographie ab. Photographien versetzen den Betrachter zwar in einen anderen Raum und eine andere Zeit, sie unterliegen jedoch auch achro-nischer Temporalität und sind gleichsam der Zeitlichkeit enthoben, ja stellen dem Betrachter sogar seine Vergänglichkeit gegenüber.
Der Band versammelt theologische, kunsthistorische und philosophische Beiträge und ermöglicht somit einen multiperspek-tivischen Blick auf das Problemfeld. Dabei fällt die thematische Verschiedenheit der Beiträge nicht negativ ins Gewicht, sondern zeugt vielmehr von der facettenreichen Bedeutung der Bild-Zeit-Thematik in den verschiedenen Disziplinen. Der Band kann also als das imposante Ergebnis der interdisziplinären Zusammenarbeit von renommierten Forschern zum Bild gesehen werden und lässt darauf hoffen, dass sich auch in Zukunft die verschiedenen Perspektiven gegenseitig bestärken, anregen oder kritisieren.