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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1171–1173

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kohnle, Armin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Luthers Tod. Ereignis und Wirkung.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2019. 386 S. m. 43 Abb. = Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 23. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-05067-3.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Der vorliegende Band ist aus einer im November 2013 abgehaltenen Fachtagung erwachsen, trat aber aufgrund widriger Umstände erst fünfeinhalb Jahre später an die Öffentlichkeit. Diese Verzögerung mochte die 18 Beiträgerinnen und Beiträger, deren Zahl wohl nur zufällig mit der Tagesnummer von Luthers Ableben am 18. Februar 1546 übereinkommt, vielleicht schmerzen, ist aber, bedenkt man die magistrale forschungsgeschichtliche Bedeutung der Publikation, kaum von Belang. In sachlich-chronologischer Folge werden dabei alle wesentlichen Aspekte, die im Blick auf das im Buchtitel genannte »Ereignis« und dessen »Wirkung« von Interesse sind, nicht etwa nur rhapsodisch berührt, sondern erstmals in umfassendem, durchweg gelehrtem, organisch verschränktem Zugriff erhellt.
Als Bandherausgeber präludiert Armin Kohnle mit einer ausführlichen, grundsoliden »Einleitung« (15–31), die, über eine bloße Kompilation blasser, blutleerer abstracts, womit sich manche Editoren von Tagungsbänden begnügen, weit und entschieden hinausgehend, in eigener Weise ein bündiges Gesamtbild des zugleich synchron und diachron sich erstreckenden Gegenstandes entwirft.
Zwei Beiträge erinnern zunächst an wesentliche literarische und theologische Voraussetzungen. Harald Schwillus rekonstruiert in kenntnisreicher Pointierung die gattungsspezifische Transformation der spätmittelalterlichen Ars-moriendi-Traktate in re­formatorische Sterbebücher (33–48). Die Inspektion des von Luther 1519 mit seinem »Sermon von der Bereitung zum Sterben« einschlägig geleisteten Beitrags dient Volker Leppin als Auftakt seiner »Beobachtungen zu Luthers Umgang mit dem Tod« (49–68), die sich sodann, quellenkundig und exemplarisch, vier weiteren sachli-chen Brennpunkten zuwenden: der von Luther 1537 während des Bundestags zu Schmalkalden akut erfahrenen Todesfurcht, dem schmerzlich erlittenen Tod seiner Töchter Elisabeth und Magda-lene, dem von Luther als biographisch zäsural erlebten Tod seines Vaters, der ihn, wie er sagte, mit einem Schlag zum »senior […] Lutherus« (63) gemacht habe, sowie den in Todesfällen von Freunden, Weggefährten und Lebensnachbarn eschatologischen Trost ge­währenden Seelsorgebriefen des Reformators.
Bekanntlich hat Luther drei testamentarische Verfügungen ausgefertigt. Deren erste diktierte er 1537 in vermeintlicher Todesnot dem Mitreformator Johannes Bugenhagen. Die zweite brachte er am 6. Januar 1542 eigenhändig zu Papier und ließ sie von Philipp Melanchthon, Caspar Cruciger und Bugenhagen beglaubigen. Überdies verbriefte er im Februar 1544 vor dem Wittenberger Stadtgericht etliche Nutzungs- und Grundstücksübertragungen. Bei alledem bevorzugte Luther seine Ehefrau nicht nur auf eine damals unübliche Weise, sondern verstieß mit seinen Bestimmungen un­mittelbar gegen das in Kursachsen geltende Recht. Der namhafte, in Halle lehrende Rechtshistoriker Heiner Lück unterzieht diese drei Dokumente einer präzisen, sachkundigen Analyse und fügt seinem Beitrag (69–88) als Anhang eine diplomatisch getreue Edition dieser Quellen bei. Einen weiteren »folgenreiche[n] Erbfall«, nämlich die von Luther zwei Tage vor seinem Tod im »Pactum Lutheri« vertraglich gesicherte Befriedung des von den Mansfelder Grafen geführten Erbstreits porträtiert und ergründet Lothar Berndorff (89–101).
Dass sich die in Luthers Testamenten fixierten, formal rechtswidrigen Verfügungen, nachdem der Erbfall eingetreten war, nicht problemlos würden umsetzen lassen, lag auf der Hand. Diesbezüglich erkundet Sabine Kramer die teils dramatisch erkämpften, teils fatal wirksam werdenden »Folgen von Luthers Tod für seine Witwe und Familie« (103–118). Ausgehend von dem Schicksal der verwais-ten Nachfahren Luthers sehen sich diese durch Christopher Spehr auf höchst instruktive Weise in die Gruppe der »Wittenberger Re­formatorenkinder«, denen der »Dienst des theologischen Erbes der Väter« zumeist eine heillose Überforderung aufbürdete, eingeordnet (119–139). Tatsächlich wäre es, wie Spehr anregt (vgl. 139), erheblicher Mühen wert, die Lebensläufe der Wittenberger Reformatorengeschlechter auch über die erste Generation hinaus um­sichtig und tiefenscharf aufzuarbeiten.
Nachdem im Frühjahr 1545 eine »Welsche Lügenschrift von Luthers Tod« ausgegangen war, gab der Totgesagte den vorgezogenen bösen Nachruf sogleich in den Druck und fügte ihm lediglich die Bemerkung hinzu, er fühle sich von diesem niederträchtigen Machwerk an der rechten Kniescheibe und linken Ferse gekitzelt (WA 54, 193). Als ihn kaum ein Jahr später tatsächlich der Tod ereilte, war es dann allerdings mit dem Spaß vorbei, weil sich das Ableben des Reformators umgehend in die kontroverstheologische Polemik eingespeist fand. »Die Entstehung und Entwicklung der Berichte über Luthers Tod« (141–157), die zu seiner christlichen Ehrenrettung alsbald publiziert wurden, erkundet Jochen Birkenmeier in verlässlicher Umsicht. Ein eigener, von Christine Mundhenk verfasster Beitrag widmet sich »Melanchthons Schriften zu Luthers Tod« (159–175). Darüber hinaus werden andere Formen des Totengedenkens sorgfältig aufgearbeitet: das Totenbildnis des Re­formators (Heinrich Dilly; 209–229), seine zum zentralen Erinnerungsort avancierte Grablege in der Wittenberger Schlosskirche (Ruth Slenczka; 231–250) sowie die von Stefan Rhein in erstaunlicher Fülle aufgespürten poetischen Abgesänge (177–208). In kompara-tiver Absicht wirft Michael Beyer diskrete Seitenblicke auf die Sterbeprozesse von Melanchthon, Bugenhagen und Justus Jonas (251–264).
In einem gewaltigen, bewundernswerten, klugen, von Cyriacus Spangenberg bis zu Friedrich Schorlemmer ausgreifenden Längsschnitt führt der sächsische Landeshistoriker Wolfgang Flügel vor Augen, wie aus dem pietätvollen Gedenken an Luthers Tod zusehends ein integraler Bestandteil der protestantischen Erinnerungskultur werden konnte (315–339). Anhand einer Vielzahl von Luther-Reliquien und -Devotionalien, die sogar einen Originalgriff von Luthers Sarg umfassen, illustriert, reich bebildert, Stefan Laube »das Weiterleben Martin Luthers in den Dingen« (297–314). Selbstverständlich zieht auch das Eislebener Sterbehaus des Reformators die gebührende historiographische Aufmerksamkeit auf sich (Martin Steffens; 341–359). Und als hätten die um 1550 tobenden kontroverstheologischen Schlachten fröhlich-fatale Urständ gefeiert, setzten im ausgehenden 19. Jh. abermals schmutzige, das Ableben Luthers besudelnde Kampagnen ein, deren bis in die absurde These, der Reformator habe Selbstmord begangen, sich steigernde Heftigkeit eine traurige Begleiterscheinung des Kulturkampfes darstellte. Die von Klaus Fitschen in nüchterner Umsicht geleistete Rekapitulation dieser Kontroversen (361–369) beschließt den Band.
Über den thematischen Zuschnitt hinausdrängend, gleichwohl in großer, sachdienlicher Präzision ausgeführt, bringt der Nestor der mitteldeutschen Reformationsgeschichtsforschung Siegfried Bräuer (1930–2018) mit dem Dramenwerk Spangenbergs eine Mansfelder Variante der reformatorischen Ars moriendi in das gelehrte Spiel (265–295). Bräuer nahm an der das vorliegende Sammelwerk konstituierenden Fachtagung teil, hat das Erscheinen des Bandes, der seinem Andenken gewidmet ist, aber nicht mehr erlebt.
Anders als die meisten Konferenzakten, die ein manchmal buntes, manchmal eher blasses Sammelsurium von Einzelstudien präsentieren, besticht die vorliegende Dokumentation durch insgesamt eindrucksvolle thematische Homogenität. Man würde kaum übertreiben, sie als eine von einem Autorenkollektiv verfasste Mo­nographie anzusprechen. Im Abstand der Zeiten wird dieses be­deutsame, vielfach anregende Unternehmen zu den in ihrer Zahl höchst überschaubaren Titeln gehören, die, im Umfeld des Reformationsjubiläums von 2017 entstanden, ihren hohen, bleibenden Wert zu erweisen vermögen.