Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1169–1171

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Greiling, Werner, Müller, Thomas T., u. Uwe Schirmer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Reformation und Bauernkrieg.

Verlag:

Köln: Böhlau Verlag 2019. 474 S. = Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 12. Geb. EUR 55,00. ISBN 978-3-412-51167-8.

Rezensent:

Peter Matheson

Der Band, der aus einer Konferenz in Mühlhausen 2017 hervorging, ist dem Andenken Siegfried Bräuers gewidmet. Er ist dreiteilig: Ge­sellschaft, Kirche und Konflikt; Akteure; Erinnerung und Rezeption.
Uwe Schirmers Aussage bestimmt den ganzen Band: »Der Bauernkrieg ist maßgeblich durch die frühe reformatorische Bewegung verursacht, ausgelöst und verstärkt worden.« (68) Viele Aufsätze bieten neues Material. Ulrich Hahnemann, »Die Einwohner von Frankenhausen«, zeigt, dass sich die Mehrheit der führenden Schicht in der Salzstadt dem Aufruhr anschloss; Johannes Mötsch, »Die aufständische Führungselite in Henneberg«, gibt Auskunft über die vielen Bittschriften, die »gut vernetzen« Männer vor der schlimmsten Strafe bewahrten; Antje Schloms gebraucht Mühlhausens »Liber confiscationum« in anschaulicher Weise in ihrem Aufsatz: »Nach dem Ende Thomas Müntzers – Abrechnung (mit) einer Stadt«.
Schirmers Beitrag »Die Ursachen des Bauernkrieges in Thüringen« bietet ein recht differenziertes Bild der Unruhen. Das Unbehagen der Beteiligten beruhe nicht auf gravierenden sozialökonomischen Missständen, eher auf Übergriffen im Bezug auf die Hut- und Triftgerechtigkeit und die Nutzung der Wälder, ebenfalls wichtig war die Entmündigung der bäuerlichen Gemeinde. Der Krieg erfasse besonders jene Regionen, in denen altes fränkisches Recht galt, nicht Sachsenspiegelrecht. Betont werden »die völlig an­ders gelagerten siedlungsgenetischen agrarwirtschaftlichen und sozialstrukturellen Gegebenheiten« östlich der Saale. Ob Pfeiffer und Müntzer »kundige Prediger« oder »nichts anderes als gewöhnliche Aufrührer« waren, sei irrelevant (68). Thomas Müller behandelt Ikonoklasmus in Mühlhausen. Besonders schön das Zitat von Claus Heintzen: »sihe wie weint der götz«. Julia Mandry untersucht die recht unterschiedlichen Reflexionen der thüringischen, sächsischen und hessischen Fürsten.
Im zweiten Teil zeigt Andreas Dietmann,wie Jakob Straußens stürmische Worte über den Zinswucher von den Aufständischen wie auch vom Eisenacher Stadtrat als Aufruf zum Aufruhr missverstanden wurden. Strauß sollte die Gunst Luthers nie wieder gewinnen. Anders erging es Wolfgang Stein; nachdem er seine Befürwortung der alleinigen Geltung des mosaischen Gesetzes zurücknahm, blieb der Weimarer Hofprediger mit Luther »in freundlichem Einvernehmen.« Es sei unklar, ob seine Lehre an dem Aufkommen sozialer Unruhen in Weimar beteiligt war. In seinem kurzen Artikel meint Volkmar Joestel, Karlstadt »konnte und wollte den wachsenden fundamentalen Gegensatz zwischen seiner letztlich den Kommunalismus untermauernden Theologie« und den politischen Interessen des Kurfürsten nicht begreifen. Die Orlamünder waren am Aufruhr nicht beteiligt.
Das lavierende Handeln von Graf Günter von Schwarzburg und die fehlende Organisation der Aufrührer werden von Martin Sladeczek beschrieben; der Stadtilmer Ratsherr Franz Langestat gab zu, »es sei ein swerer handel, hie im lande Swartzwaldische sachen zu rechtfertigen«. Der Graf akzeptierte die Zwölf Artikel nur als ver-zögernde Taktik. Schon am 15. Mai zog er nach Weimar; Mitte Juni wurden dann die radikalen Anführer in Arnstadt hingerichtet. Luthers drei Bauernkriegsschriften werden von Michael Beyer im Hinblick auf ihre Druckgeschichte untersucht.
Im dritten Teil, Erinnerung und Rezeption, beleuchtet Werner Greiling das überwiegend negative und oberflächliche Bild vom Bauernkrieg sowie das Bild von Thomas Müntzer in den Schriften der Volksaufklärung im 18. und 19. Jh. Die politische und wissenschaftliche Rezeption des Bauernkrieges im Kontext der deutschen Teilung bietet in Jan Scheunemanns Rückschau Überraschungen und Beispiele von Dialog und Annäherung. Provokativ stellt Jürgen von Ahn die Frage, ob zeitgenössische Künstler wie Riemenschneider, Jörg Ratgeb und Dürer »Kämpfer« für Freiheit und Rechte der Bauern waren, oder ob es letztendlich »eine Frage der bloßen Interpretation bleibt«, eine fromme Illusion. Spiegeln ihre Werke nicht eher ihre inneren Konflikte (300)?
Der Vergleich zwischen Wilhelm Pitthans ideologisch verbrämten Abbildungen von Müntzer (Friedrich Staemmler) und dem monumentalen Panoramabild von Werner Tübke ist faszinierend. Ulrike Eydinger erhellt Tübkes intensive Bemühungen, sich in die Epoche einzudenken. Sein Gebrauch von Ingeburg Neumeisters Flugblätter der Reformationszeit und des Bauernkriegs (Leipzig, 1976) und der Illustrierte(n) Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution (Berlin, 1974) wird überzeugend dokumentiert; zwölf Farbabbildungen verdeutlichen Tübkes Anfertigung von Zeichnungen, »in denen er die vorbildgebenden Motive immer wieder neu und miteinander kombinierte« (396).
Die Aufsätze werden von kurzen historiographischen Überlegungen Thomas Müllers und Günter Voglers begleitet. Beide weisen auf Peter Blickles wegweisende Monographie hin. Ich wurde erinnert, wie sehr uns sein umfassender Blick für die politischen, re-ligiösen und ökonomischen Zusammenhänge des Bauernkrieges heute noch fehlt. Ein Makel des sonst schönen Bandes sind die unmöglichen, fast unleserlichen Karten. Für die Zukunft wird es wohl wichtig sein, die Anabaptisten einzubeziehen, die Forschung außerhalb Deutschlands zu würdigen und die theologischen Einflüsse, vor allem was Karlstadt und Müntzer angeht, schärfer zu identifizieren.