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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1163–1164

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Bacher, Christiane, u. Matthias Vollet [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wissensformen bei Nicolaus Cusanus.

Verlag:

Regensburg: S. Roderer Verlag 2019. 183 S. = Philosophie interdisziplinär, 45. Kart. EUR 24,95. ISBN 978-3-89783-906-9.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

In diesem Band sind die zwölf Vorträge abgedruckt, die auf der 6. Internationalen Tagung für junge Cusanus-Forscher 2014 unter dem Thema »Wissensformen bei Nicolaus Cusanus« aus unterschiedlichen Forschungsperspektiven gehalten wurden.
Felix Resch sprach über »Intellekt vs. Affekt?«. Ihm geht es um die »systematische Bedeutung der kognitiven Komponente der mystischen Theologie«, worüber Nikolaus v. Kues (=NvK) mit den Tegernseer Mönchen diskutierte. Er verteidigte dabei den Intellektualismus gegen eine rein sentimentale Mystik, findet in der Liebe zu Gott eine gewisse Erkenntnis und betont, dass notwendigerweise die mystische Schau die höchste Süßigkeit und Liebe einschließt. Er hält fest an der fundamentalen Bedeutung des menschlichen Erkenntnisvermögens (9–16).
Jean Marie Nicolle widmete sich dem Thema »Knowledge as As­similation« (17–28): Die göttliche und die menschliche connection zwischen Ding und Intellekt sei inverted, wobei Nicolle sich auf De mente, n. 87, beruft. Geschieht das zu Recht?
Marc Bayard ging auf »Die Dynamik der Erkenntnis und ihr Verhältnis zum Sein bei Nicolaus Cusanus« ein (29–46): »Die cusanische Erkenntnistheorie begreift den Erkenntnisvorgang als eine Dynamik, in der Abstraktion und Apriori-Erkenntnis in einem zirkulären Verhältnis stehen.« Doch »die menschliche mens ist zu keiner positiven Erkenntnis der mens divina fähig«. Letztlich: »Als mentale Einheit ist der Intellekt Wirklichkeit, die alles begrifflich einfaltet, das ist sein Apriori.«
David Bartosch behandelte das Thema »Vom expliziten Wissen zur impliziten Weisheit, auf ein aufrichtendes Ethos hin« (47–59) sehr interessant, aber in komplizierter Sprache. Er betont, NvK denke »Wissenschaft« als »konjekturale scientia«, als »›wahrähnliche‹ Reflexionsform«; sapientia sei nicht scientia.
Antonio Dall’Igna legt einen Aufsatz vor: »Metaphysics and Di­vine Knowledge in Cusanus’ mystical Opuscula« (61–80). Er meint, NvK habe seine Aufmerksamkeit speziell einer Theorie des Wissens zugewandt und sich dabei der radikalen Position Eckharts angeschlossen. Er fragt sich, ob man die Wahrheit überhaupt erfassen kann.
Bogdana Paskaleva referierte: »Sinnliche Erkenntnis als Modell überintellektueller Erkenntnis bei Cusanus« (81–98): NvK verstehe überintellektuelle Erkenntnis als Synonym für mystische Erkenntnis, sie sei eine symbolische Erkenntnis, gewonnen durch das »Sehen«, durch ein Sich-Zeigen Gottes im Sinnlichen.
Maud Corrieras befasste sich mit »Can the Method of Beryl – which is wished by Cusanus to be irrefutable because experienced through Practice – suffice to reach the Truth«? (99–110). Sie schloss: »Cusanus has a certain way to belief, a certain optimism which makes him believe squaring a circle can be possible. And yet, one cannot be convinced«.
Federica De Felice wandte sich dem Thema »Geometria ancilla Theologiae – Theologia ancilla Geometriae« zu (111–123): Menschliches Wissen koinzidiere niemals mit der Wahrheit, erreiche sie nur konjektural.
Rodolfo Garau und Pietro D. Omodeo untersuchten »Contingent Mathematics of Nature in the Renaissance: Cusanus’s Perspective« (125–139): Die cusanische Sicht von Natur und seine Erkenntnislehre überwinden die scholastische Tradition und wirken sich bis ins 18. Jh. aus (Spinoza, Leibniz).
Susann Kabisch referierte über »Inszenierung und Erkenntnispraxis bei Nikolaus von Kues« (141–150). Für NvK sei »weniger die Information über, als vielmehr die Einsicht in die eigene Unwissenheit« entscheidend. In seinen Schriften wolle er den Leser in seinen Erkenntnisprozess einbeziehen. Vollkommene Gotteserkenntnis sei unmöglich; man kann Gott nur in seiner Andersheit erkennen.
Damiano Roberi widmete sich dem Thema »Schola huius mundi: A cusan conjectural Map of Time« (151–174): »Time viewed as a horizon has thus this characteristic: on the one hand it embraces and defines the various human conjectures, since it constitutes their (implicit) background. On the other hand, Time is a moving line, situated in the non-place of contact between two hetero-geneous dimensions.«
Zuletzt sprach Arnhild Cosima Tappeiner über »Der Begriff der docta ignorantia bei Nicolaus Cusanus und Moses Maimonides« (175–183). Auch sie betont, dass wir nach NvK von Gott nur seine Existenz, nicht sein Wesen im Wissen erfassen können. Er übernimmt von Maimonides über Eckhart die Lehre von den affirmativen und negativen Attributen Gottes.
Ein bunter Strauß von Untersuchungen zum gestellten Thema wird dem Leser vorgelegt. Wenn auch die Aufsätze von unterschiedlicher Qualität sind, so bereichern sie doch die Cusanus-Forschung.
Der Aufsatzband »Nicolai de Cusa. Opera omnia. Symposium …« mit dem Aufsatz von K. Flasch erschien 2006, nicht 1965 (183, Z. 3).