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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1156–1158

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sandnes, Karl Olav

Titel/Untertitel:

Paul Perceived. An Interactionist Perspective on Paul and the Law.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. IX, 260 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 412. Lw. EUR 124,00. ISBN 978-3-16-156101-6.

Rezensent:

Roland Bergmeier

Mit den Worten »how Paul appeared to others matters in Pauline studies« beschließt S. die hier anzuzeigenden Studien (217), eine Inklusion zu »Voices of Others Matter!« (1). Warum das so zu sehen sei oder gesehen werden kann, hat zwei Seiten. Zum einen verbindet sich der »vulcano in present-day Pauline scholarship« mit den Themen, die in »Paul’s attitude to the Torah« (205) schon angelegt, aber durch die Programmatik von »New Perspective« und mehr noch von »Paul within Judaism« eruptiv hervorgetreten sind (2.205). Dafür nun, was sich mit Positionen von »Paul within Judaism« überhaupt vereinbaren lässt, bieten die Belege zu »how Paul ap-peared to others« geradezu einen Lackmustest (217). Andererseits ist »how Paul appeared to others« wichtig, weil Paulus seine Theologie über das Gesetz von Anfang an, vielleicht auch allererst im Ge­spräch mit seinen Adressaten und in Auseinandersetzung mit seinen Kritikern entwickelt hat. Was Paulus also in seinen Briefen an Einwänden und Fragen anführt, sei nicht so sehr als eine Sache des Stils und der Rhetorik zu bewerten, sondern als »embedded dicta« (20) ernstzunehmen, dokumentierend, wie andere, oft als »einige« apostrophiert, die paulinische Verkündigung, und dies in größerer Bandbreite und mit allerlei Ober- und Untertönen, wahrnahmen (»perceived«).
Im Dienst solcher Eruierung steht das Programm vom »Mirror-Reading the Opponents« (64–70), das S. nach den Kriterien von John M. G. Barclay verwendet und dazu erklärt: »It is the presence of ›some‹ within the polemical setting, which is suggestive of this procedure« (65). So wird deutlich, was S. »an interactionist perspective« nennt. Das Buch will also nicht hermeneutisch anleiten, wie Paulus selbst oder die Sache des Paulus als solche zu verstehen seien, sondern allenfalls im Sinne von Prolegomena einer Hermeneutik aufzeigen, wie er, seine Verkündigung oder sein Verhalten »were perceived and reacted upon by others« (205). Das wirft dann zu­ gleich Licht auf die »dynamic of Paul’s theology, to which also belongs response, reception, critique, and rumors« (9), weshalb in der Folge das Stichwort »rumors« auch zu den »Key subjects« (260) zählt.
Überraschend hält S. die jüdischen Strafmaßnahmen nach 2Kor 11,24 (Kapitel »6 What’s in a Punishment? The Lashes of 2 Corinthians 11:24«, 155–177) sodann ebenso für sprechend »on the topic of the present investigation« (176), obwohl man ja feststellen muss, dass weder aus den Worten des Paulus noch aus der Strafe als solcher (vgl. 165) zu erheben ist, weswegen sie im Falle des Paulus verhängt wurde. Das Urteil, »2 Cor 11:24 attests that leaders of various synagogues considered Paul to be on the verge of breaking the fellowship to which he belonged« (216), geht jedenfalls über das exegetisch Erweisbare hinaus. Es war ja nach dem Wortlaut von 1Kor 1,23 nicht so, dass Paulus selbst ein »stumbling block to the Jews« (176) geworden war. Vielleicht war S. zu sehr auf die halachische Seite der p aulinischen Äußerungen zur Tora fixiert (»for reasons of the Torah in some way or other«, 20), wenn er Gründe für die Strafmaßnahmen nach 2Kor 11,24 nicht deutlicher auch im Christuszeugnis des Paulus gegenüber seinem Volk (vgl. dazu 214 f.) suchen konnte (vgl. Röm 10, 14). Dies wiederum mag damit zusammenhängen, dass sich für S. schon das Verkündigen des Christusglaubens nach Gal 1,23 – die Stelle wird als »the eldest extant testimony about Paul from others« (55) bzw. als »the first embedded dictum in Paul’s letters« (56) eingeführt –, »deeply fixed in Paul’s rhetoric«, auf die Thematik von »faith versus law« (59) bezieht: »The change that the victims experience is, therefore, a result of Paul’s altered atti-tude to the Torah« (62).
Lesen und Verstehen seiner Studien begleitet S. hilfreich mit einer detaillierten Einführung (1–25) und der Ergebnissicherung in Kapitel »8 Final Summary and Implications« (205–217). Im Einzelnen entwickelt sich der Inhalt des Buchs in folgenden Schritten: »2 It Takes Two to Have an Interaction: Sketching Paul for Reasons of Transparency« (27–53); »3 Paul’s First Interpreters: Judean Christ Believers and Galatian Adversaries« (55–91); »4 Roman Debates: The Absurdity of Paul’s Gospel« (93–127). Einerseits erhebt S.: »The accusations mirrored in Rom 3:8, revolving around ›doing good or evil,‹ imply that the law is addressed more widely than assumed by the ›New Perspective’s‹ emphasis on ethnicity« (125). Andererseits werde die Position von »Paul within Judaism«, wonach die Theologie des Paulus ausschließlich den addressierten Heidenchristen gelte, durch Röm 9–11 gründlich infrage gestellt (126 f.). Das 5. Kapitel »A Contemporary Context?« (129–154) fragt, »if what we have found is conceivable within the relevant historical context« (129), nimmt also die Herausforderung an, die sich ergibt aus dem programmatischen Sammelband »Paul within Judaism: Restoring the First-Century Context to the Apostle« (11, Anm. 46). Dabei geht es wieder um eine Frage des Tests: »the miscellaneous nature of contempo-rary Judaism is certainly relevant in providing a historical context for the question as to whether Paul is within Judaism or not« (129). Ein weiteres Testfeld betritt Kapitel »7 Paul and the Law in the Book of Acts: An Ambiguous Picture« (179–204).
S. hat den Eindruck, bei Vertretern von »Paul within Judaism« werde der Paulus der Apg zu sehr ihrem eigenen Paulusbild angepasst (210), der Komplexität und Ambivalenz in der lukanischen Darstellung aber nicht gerecht. Und überdies: Alles, was in Apg gesagt bzw. erzählt werde, »presents Paul from the viewpoints of others«, und dies aus der Sicht einer späteren Zeit (179). Im Ergebnis kann man feststellen: »Paul is both more loyal and more disobedient toward the law than in the letters« (211). Einen Schlüssel, wie der Apostel der Paulusbriefe selbst verstanden werden müsse (201), gibt also die Apg entgegen manchen Stimmen aus dem Lager von »Paul within Judaism« nicht an die Hand (202–204).
Als störend kann man empfinden, dass die Rezeption der authentischen Paulusbriefe in jenen, die unter den kanonischen Briefen dem Apostel nur zugeschrieben werden (19), von Röm 16, 17–20 als Beleg zur »reception history of Romans« (120, vgl. auch den Literaturhinweis 20, Anm. 79) abgesehen, nicht in die Untersuchung der »voices of others« einbezogen wurde. Es wäre nämlich wahrzunehmen gewesen, dass sich »the Lutheran reading of Paul«, wonach die paulinische Kritik »der Werke des Gesetzes« als Kritik der Werkgerechtigkeit zu lesen sei (10), in Eph 2,8; 2Tim 1,9; Tit 3,5 durchaus seine »paulinische« Leseanleitung hatte. Eine Begründung der Wiedergabe des paulinischen Ausdrucks »Werke des Ge­setzes« mit »practices« (4.116.137) im Sinn von »practices of the law« (210) hätte der Untersuchung wohl angestanden, zugleich aber auch klären müssen, dass und in welcher Weise »doing the law« (vgl. 260: »Key subjects«) auch für Paulus »key terminology« (82) war.