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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1138–1140

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ederer, Matthias

Titel/Untertitel:

Identitätsstiftende Begegnung. Die theologische Deutung des regelmäßigen Kultes Israels in der Tora.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XVI, 609 S. = Forschungen zum Alten Testament, 121. Lw. EUR 154,00. ISBN 978-3-16-155413-1.

Rezensent:

Christian Eberhart

Bei dieser Arbeit von Matthias Ederer handelt es sich um die überarbeitete Version der im Jahre 2016 an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg eingereichten Habilitationsschrift. Sie behandelt die Tamid-Texte der Tora, also Anweisungen zu fünf regelmäßig – in der Regel zweimal täglich – auszuführenden Kultaktivitäten am Zeltheiligtum Israels, nämlich den Dienst an der Menora, das Entzünden des Weihrauchs auf dem goldenen Räucheraltar, das Auflegen der zwölf sogenannten Schaubrote (nur dieses geschieht einmal pro Woche), dann vor allem das regelmäßige Brandopfer und schließlich das Speiseopfer des Gesalbten Priesters. Diese Kultaktivitäten werden primär mit Blick auf die theologische Deutung in den Texten zueinander in Beziehung gesetzt.
Es mag erstaunen, dass die Arbeit allein mit diesem Ansatz schon ein Desiderat der Forschung erfüllt, jedoch sind die hier traktierten Themen in der bisherigen Forschung weitgehend vernachlässigt worden. Allein Texte zum Tamid-Brandopfer konnten sich in der Vergangenheit der Aufmerksamkeit einiger Exegeten erfreuen; das geschah allerdings im Kontext von Untersuchungen zu Opferritualen und nicht in Korrelation zu den anderen regelmäßigen Kulthandlungen der Tora. Insofern erschließt diese Arbeit Neuland und ist jedem und jeder mit Interesse am Kultgeschehen Israels sehr zu empfehlen.
Aufbauend auf sorgfältiger und kontextorientierter Wahrnehmung der relevanten Passagen ist die Arbeit dezidiert synchronem Textstudium verpflichtet – diachrone Perspektiven werden gleich anfangs ausgeblendet. Auch wenn der Buchtitel die »Tora« nennt, so behandelt die Arbeit primär Texte aus den Büchern Exodus, Levitikus und Numeri, da der regelmäßige Kult Israels hauptsächlich hier geregelt oder beschrieben wird. Das erste Kapitel dieses voluminösen Bandes erläutert u. a. Fragestellungen und Methoden und klärt, dass der meist mit »regelmäßig« wiedergegebene hebräische Begriff tamid ebenso im Sinne einer immer wieder neu erfolgenden Inszenierung verstanden werden kann. Das umfangreiche Kapitel 2 – es umfasst die Seiten 15 bis 347 – zeichnet detailliert die Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25–31) nach. Als deren relevante Aspekte werden das Entzünden der Menora am Abend und das Reinigen am Morgen thematisiert, wobei auch die Signifikanz der priesterlichen Gewänder sowie der Priester- und Altarweihe er­wähnt wird; außerdem geht es um das regelmäßige Brandopfer und das Räuchern auf dem goldenen Altar. In allen Abschnitten wird mit Nachdruck nach der explizit in den biblischen Texten vorgenommenen theologischen Deutung gefragt. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden diese Kultvollzüge nun einzeln diskutiert. So geht es in Kapitel 3 um den Beginn des Kultes in der Kultinauguration, die als solche zu regelmäßigen Vollzügen überleitet (Ex 40; Lev 8–10; Num 7). Kapitel 4 ist mit »Neukontextualisierung und ›halachische Entfaltung‹« überschrieben; es widmet sich einleitend der rechtssystematischen Hierarchisierung der einzelnen Tamid-Texte der Tora und postuliert einen besonderen Status der Texte der Heiligtumstora (Ex 25–31) aufgrund des Lokus der Offenbarung am Berg Sinai. Weiterhin geht es hier auch um die als typische Rituale regelmäßig zu wiederholenden Opferarten (Lev 1–7), für die der Brandopferaltar und das darauf entzündete Altarfeuer samt dem dafür benötigten Holz von großer Bedeutung sind. Kapitel 5 fasst die Ergebnisse vergleichsweise ausführlich zusammen und systematisiert sie. Die Arbeit erschließt sich durch ein Stellen-, Sach- und Autorenregister.
Der Vf. legt eine beachtliche und in sich geschlossene Studie vor, die eine Wahrnehmung des Kultes Israels aus neuer Perspektive erlaubt. In der Vergangenheit dominierten in der Exegese Untersuchungen zu anderen Opferarten (speziell dem Sündopfer) und anderen Wirkungen (speziell der Sühne). Die vorliegende Arbeit nähert sich dem Thema unter Berücksichtigung einer Opferart, die bisher eher im Abseits der Aufmerksamkeit stand, und komplementiert dies mit einer weit gefächerten Wahrnehmung und mit Blick auf andere regelmäßige Kultphänomene. Diese Neugewichtung führt dazu, dass das Stichwort »Sühne« im Sachindex noch nicht einmal aufgelistet ist, womit angedeutet ist, dass eine Annä herung an den Kult Israels unter alternativen Gesichtspunkten sehr wohl möglich ist. Dennoch – oder gerade deshalb – sind die exegetischen Einsichten zum Kult bedeutsam. Dieser dient, versinnbildlicht in seinen regelmäßigen Vollzügen als den dominanten Aspekten, der identitätsstiftenden Begegnung Israels mit seinem Gott. »Das Tamid wiederholt und macht immer wieder neu erfahrbar, was im ersten Gottesdienst im Sichtbarwerden der Herrlichkeit JHWHs vor dem Volk (vgl. Lev 9,23) sinnfällig wurde: die Gegenwart JHWHs im Kult sowie die Akzeptanz der Gaben Israels …« (564 f.). Die Tora bezeichnet diese Gegenwart ferner als »Wohnen« inmitten des Gottesvolkes und bestimmt sie in doppelter Weise als Ziel des Väterbundes und des Exodusgeschehens. Kult und Geschichte Israels werden so konsequent aufeinander bezogen. Der Vf. erkennt dabei eine besondere Rolle des Tamid-Brandopfers, welches er »als das (zentrale) kommunale Opfer« bestimmt, das »Zentrum aller Kultvollzüge am Eingang des Zelts der Begegnung« (568) ist.
Meine Kritik an der Arbeit beschränkt sich auf geringfügige As­pekte. Zum einen ist zu fragen, ob real vollzogene Opferrituale tatsächlich als Teil der Rezeptionsgeschichte von Texten gelten sollten (so 6), oder ob Texte nicht eher zur Rezeptionsgeschichte von Ritualen gehören. Wahrscheinlich besteht hier ein hermeneutischer Zirkel, so dass eine eindeutige Antwort unmöglich ist. Allgemein dürften Opferrituale historisch älter als ihre textlichen Beschreibungen oder Vorschriften sein; allerdings reglementieren textlich fixierte Kulttarife seit ihrem Aufkommen ihrerseits die konkrete Ausführung von Opferritualen. Weiterhin mag bezweifelt werden, dass die vorgeschlagene Vorrangstellung der Heiligtumstora (Ex 25–31) im Vergleich zu den anderen kultrechtlichen Textkorpora allein mit der Verortung ihrer Offenbarung am Berg Sinai begründet werden kann (410.552). Ohne die spezielle Qualität dieser Loka lität abstreiten zu wollen, ist gleichwohl zu betonen, dass die Offenbarung der Kultvorschriften in Ex 25 genauso wie in Lev 1 direkt vom Gott Israels an Mose ergeht; dieser Gott wohnt seit der Fertigstellung und Einweihung des Heiligtums (Ex 40; s. auch die entsprechende Ankündigung in 25,8) von nun an unter den Israeliten. Angesichts dessen bietet sich an, von einem gleichwertigen Status der kultrechtlichen Textkorpora auszugehen, die sukzessive die relevanten Komponenten des Kultszenarios (Reihenfolge Heiligtum – Priester – Opferrituale – Anlässe) beschreiben. Schließlich sind formale Probleme anzumerken; der literarische Stil des an-sonsten sehr eloquenten Vf.s ist mancherorts durch Redundanzen gekennzeichnet. Vereinzelt ist auch eine Häufung or­thographischer Fehler zu konstatieren, die auf Eile in der Fertigstellung und im Drucklegungsprozess schließen lässt. Angesichts des Umfanges der Arbeit von 625 Druckseiten mag das verständlich sein, wirkt sich auf die Lektüre aber bisweilen störend aus.