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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1136–1138

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ince, Sandra

Titel/Untertitel:

Kulturelle Veränderungen in Galiläa in der hellenistischen und frührömischen Zeit.

Verlag:

Kamen: Hartmut Spenner Verlag 2017. 356 S. m. 19 Abb. = Kleine Arbeiten zum Alten und Neuen Testament, 13. Kart. EUR 29,80. ISBN 978-3-89991-188-6.

Rezensent:

Konstantin Neklyudov

Die vorliegende Monographie von Sandra Ince stellt eine an der Universität Koblenz-Landau verteidigte Dissertation dar. Die Studie befasst sich mit den kulturellen und ethnischen Veränderungen in Galiläa während der persischen, hellenistischen und frührömischen Periode ihrer Geschichte. Die Arbeit besteht aus der Einführung (9–15), in der I. ihre Methode beschreibt, zwei Hauptteilen (einem kurzen »Überblick über die Ortslagen in Galiläa in der ausgehenden persischen Zeit« [16] und dem ausführlichen »Ortslagenkatalog für Galiläa in der hellenistischen und frührömischen Zeit« [17–272]), einer Zusammenfassung und Synthese der Ergebnisse (273–281). Die Arbeit ist mit zwei Anhängen versehen – »Übersichtstabelle aller Ortslagen der spätpersischen bis frührömischen Zeit« (282–296) und »Übersichtstabelle der durchgängig besiedelten Ortslagen« (297–301), Literaturverzeichnis und Karten.
Der Katalog der galiläischen Orte enthält die Orte, die anhand der archäologischen Daten sicher identifiziert sind. Die Orte, die hingegen nur aus schriftlichen Quellen bekannt sind, werden nicht berücksichtigt. Für jeden dieser Orte werden verfügbare Informationen angegeben: Koordinaten, Name (auf Hebräisch und Arabisch, in einigen Fällen auch die antike Form des Namens), Größe, Angaben zu der jeweiligen historischen Periode, Angaben zu eventuellen Erwähnungen in den antiken Quellen, Beschreibung der archäologischen Funde und Bibliographie der wissenschaft-lichen Literatur. Die Ortsangaben enthalten zudem weitere Ausk ünfte, die auf der Basis der vorhandenen Forschung erarbeitet worden sind, wobei in einigen Fällen deutlich wird, wie unterschiedlich intensiv die Orte in der Region untersucht wurden. I. benutzt die in den Fachzeitschriften veröffentlichten Ausgrabungsergebnisse (z. B. Israel Exploration Society, Atiqot, Hadashot Arkheologiyot oder HA-ESI, zahlreiche Websites und Online-Veröffentlichungen bis einschließlich 2016). Im Katalog, so I., »sind also alle verfügbaren Informationen zu den bekannten Ortslagen berücksichtigt« (15).
Ihre Arbeit betrachtet I. als einen Beitrag zur Lösung einer Reihe von Aufgaben, die sich die Forschung der letzten Jahrzehnte nach der Rezeption der Ergebnisse archäologischer Ausgrabungen in der Region gestellt hat. In einer kurzen Übersicht des Forschungsstandes werden einige frühere Studien erwähnt, die sich u. a. mit den von I. untersuchten Problemen überschneiden, jedoch den früheren, teilweise nicht mehr aktuellen Stand der Wissenschaft von Galiläa widerspiegeln. Sie sieht ihre Aufgabe darin, eine allgemeine Beschreibung aktueller archäologischer Evidenzen zu geben, die eine Beurteilung der ethnokulturellen Prozesse im Galiläa jener Zeit ermöglichen würden. Eine derart vollständige Beschreibung fehlte tatsächlich in der Wissenschaft bislang, und I. versucht, diese Lücke zu schließen.
I. demonstriert, dass eindeutige Antworten auf die Fragen nach den kulturellen Veränderungen in Galiläa in einigen Fällen nicht gegeben werden können. Von entsprechenden Veränderungen kann nur bei 17 von mehreren Hundert untersuchten Siedlungen mit Gewissheit gesprochen werden (273). Während der hellenistischen Zeit seien Beweise für solche Veränderungen in neun Siedlungen vorhanden; das frührömische Material, das Spuren ethnischer Prozesse aufweist, sei nur in acht galiläischen Orten auffindbar.
Im Ganzen bestätigt die Arbeit die Ergebnisse der Vorgänger, dass nämlich sich die Besiedlung des Gebiets Galiläas um die Wende der persischen zur hellenistischen Zeit spürbar intensiviert, sobald sich hier günstige wirtschaftliche Bedingungen herausbilden und die Bevölkerung aufgrund der Einwanderung erheblich zunimmt. In der frühhellenistischen Zeit finden sich vor allem im Oberen Galiläa deutliche Spuren von phönizischen und hellenistischen Einflüssen. Eine sichere Identifizierung der Bevölkerung einzelner galiläischer Siedlungen als jüdisch oder nichtjüdisch ist im Moment nur in sehr wenigen Fällen möglich. I. zufolge finden sich Spuren der jüdischen Präsenz in der frühhellenistischen Zeit nur in zwei galiläischen Siedlungen – in Yodfat und in Sepphoris, wo Mikwaot, spezielle Keramik und Fragmente von Steingefäßen gefunden wurden. Sechs Siedlungen (Akko-Ptolemais, Kafr Yasif, Horvat Beersheva, Tel Kedesch und Tel Anafa) seien laut archäologischen U ntersuchungen eindeutig heidnisch zu identifizieren (davon zeugen importierte Gefäße griechischer Herkunft, phönizische Münzen, religiöse Bilder und einige Besonderheiten der Architektur). Für die Zeit nach der hasmonäischen Eroberung seien in neun galiläischen Siedlungen kulturelle Veränderungen eindeutig fi-xierbar: Spuren von Zerstörung, Hinweise auf die Unterbrechung der Handelskontakte mit den Phöniziern und den griechischen Inseln, Verschwinden heidnischer Münzen, eine Veränderung des Siedlungstyps und der Bauart von Mikwaot.
In der frührömischen Zeit seien die Veränderungen in der Intensivität des Stadtbaus offensichtlich. Während in der hellenis-tischen Zeit in Obergaliläa das Wirtschaftswachstum einsetzte, breiteten sich diese Veränderungen mit der Machtübernahme durch die Römer auf das Untere Galiläa aus: Größere städtische Zentren wie Sepphoris, Tiberias und Magdala werden neu gebaut und ausgedehnt. Es entstehen Zentren für die Herstellung jüdischer Keramik (Kfar Hananya, Shikhin) und jüdischen Reinheitsvorschriften entsprechender Steingefäße (Rhein). Für diese Periode ist das für die hellenistische Zeit charakteristische Bestreben nach Verbreitung der jüdischen Religion nicht mehr so spürbar. I. kommt zum Ergebnis, dass die im frührömischen Material eindeutig vorhandenen Anzeichen der jüdischen Identität (Steingefäße, Kfar Hanania-Keramik) darauf hinweisen, dass sich in Galiläa zu dieser Zeit das »stabile Judentum« etabliert hat und dass zusätzliche Bemühungen um seine Festigung in der Region nicht mehr nötig waren, da externe Bedrohungen nachgelassen hatten.
Da die Arbeit einen Vollständigkeitsanspruch erhebt bzw. beansprucht, alle verfügbaren Informationen zu den bekannten Orts-lagen herangezogen zu haben, sollte man einige Mängel der Un-tersuchung nicht unerwähnt lassen. Zum Beispiel wird in der Monographie eine Reihe von Diskussionen der Forschung nicht vollständig wiedergegeben. Unter anderem wären zu nennen die Diskussion über die Natur der materiellen Merkmale der jüdischen Präsenz und die über das Verständnis des Reinheitsbegriffs, die auch den Galiläern der frührömischen Zeit galt (Zangenberg); die Diskussion über die Möglichkeit, dass auf die eine oder andere Weise motivierte Nichtjuden angefangen haben, solche Vorschriften nach der hasmonäischen Eroberung auch zu befolgen, was wiederum einen Bevölkerungswechsel wenig wahrscheinlich machen kann (Moreland).
Eine Lücke in der Darstellung des Forschungstandes ist auch das Fehlen einer Schilderung der sozioökonomischen Veränderungen in Galiläa, die mit den kultischen Veränderungen Hand in Hand gehen (Jensen, Root). Was das galiläische Judentum anbelangt, so berührt I. in keiner Weise das Problem der Entstehung der Galiläer der frührömischen Zeit als einer ethnischen Gruppe: Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund I. es nicht für nötig erachtet, die »ituräische Hypothese« zu erwähnen (vgl. Myers). Ohne Berücksichtigung der letzten Monographie von D. Syon erscheint die numismatische Statistik des untersuchten Zeitraums etwas irrelevant.
Am auffälligsten ist fast völliges Fehlen der Information über das frührömische Dorf Khirbet Qana (das war in der Wissenschaft ziemlich lange als Hauptkandidat für die Identifizierung mit dem Kana des Johannesevangeliums betrachtet wurden). Diese Frage ist um­fangreich — vor allem von D. Edwards und P. Richardson – un­tersucht worden.
Darüber hinaus wirkt der Anspruch auf Vollständigkeit im Hinblick auf den Umfang der herangezogenen Forschung in einer Reihe von Fällen auch etwas unglaubwürdig, das gilt z. B. für Nazareth. Die Daten der chemischen Bodenanalysen der frührömischen Schichten in Nazareth (Dark) legen nahe, dass die Einwohner von Nazareth die jüdischen Reinheitsvorschriften strenger eingehalten haben als beispielsweise die Einwohner des benachbarten Sepphoris, das I. doch zu den jüdischen Siedlungen zählt. Die Liste derartiger bibliographischer Mankos bezüglich der einzelnen Orte kann fortgesetzt werden. Zu nennen wären Beer-Sheva, Bethsaida, Magdala, Tiberias, Sepphoris, Meiron, Omrit. Zum Schluss würde ich aber darauf hinweisen, dass sich trotz dieser Mängel methodologischen Charakters mit Sicherheit sagen lässt, dass die Arbeit von I. eine hervorragende Leistung in der Erforschung der galiläischen materiellen Geschichte darstellt, da hier m. W. erstmals in der Forschung die ethnischen und kulturellen Prozesse so fundiert aufgrund fast aller (mit wenigen Ausnahmen) veröffentlichten Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen in Galiläa verfolgt und eine Reihe von Besonderheiten religiöser und ethnischer Transformationen scharfsinnig beobachtet werden. Die Arbeit sollte in weiteren Studien auf diesem Gebiet unbedingt berücksichtigt werden.