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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1133–1134

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dällenbach, Ulrich

Titel/Untertitel:

Schlaf und Schlaflosigkeit im Alten Testament und seinen Nachbarkulturen.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2019. 398 S. m. 28 Abb. u. 13 Tab. = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 216. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-17-034982-7.

Rezensent:

Bernd Janowski

Schlafen und Schlaflosigkeit/(Er-)Wachen sind anthropologische Konstanten, die unser Leben bestimmen wie Essen und Trinken, Freude und Schmerz oder Arbeit und Ruhe. Als anthropologische Konstanten sind sie zugleich Ausdruck einer bestimmten Kultur und unterliegen immer gesellschaftlichen und situativen Wertungen. Das Buch von Ulrich Dällenbach, eine von S. Schroer betreute und 2016 von der Theologischen Fakultät der Universität Bern angenommene Dissertation, widmet sich diesem marginal scheinenden, bei näherem Hinsehen aber komplexen Thema auf eine umsichtige und überzeugende Weise.
Das Buch, das in sieben Kapitel und einen ausführlichen An­hang (356–398: Verzeichnisse) gegliedert ist, beginnt nach einer phänomenologisch gehaltenen Einleitung (14–18) mit einer in bi­belwissenschaftliche und interdisziplinäre Arbeiten untergliederten Forschungsgeschichte (19–34), an deren Ende Perspektiven und Fragestellungen für das eigene Vorgehen notiert werden (32  ff.). Um zu einer den alttestamentlichen Schlaf/Schlaflosigkeits-Texten angemessenen Fragestellung zu gelangen, geht der Vf. zu Recht von der hebräischen Begrifflichkeit des Schlafs aus (35–84), die differenziert ist und primäre ( sˇnh/jsˇn, tardemåh u. a., 35 ff.) wie sekundäre Schlaflexeme (ljn, sˇkb u. a., 63 ff.) enthält. Hinzu kommen noch die Lexeme des Erwachens und Aufstehens (jq’/qj’ hif., qwm u. a., 77 ff.). Als Ergebnis der detaillierten semantischen Analyse hält der Vf. zwei Themenbereiche fest: zum einen Aspekte der Schlafkultur (natürliche, subjektive, mythologische Aspekte des Schlafens u. a.) und zum anderen Aspekte des Schlafzustands (Schlaf als Bewusstseinsunterbrechung u. a.). Zwischen beiden As­pekten gibt es zahlreiche Querverbindungen (83 f.). Ebenfalls zu den propädeutischen Erkundungen zählt der anschließende Blick auf die Schlafkonzepte Mesopotamiens, Ägyptens und Griechenlands (85–176, mit zwölf Abbildungen), der naturgemäß verwandte wie divergierende As­pekte zutage fördert, die aber insgesamt geeignet sind, die vergleichbaren Aussagen des Alten Testaments zu profilieren. Dabei helfen ausführliche Register (389–391.396–398), die besprochenen Begriffe und Texte aufzufinden.
Der Schlaf vollzieht sich in der Regel in der Nacht. Davon ist in den Kapiteln 3 und 4 immer wieder die Rede (99 ff. u. ö.). Diesem Nachtgeschehen wendet sich das fünfte Kapitel ausführlich zu (185–251, mit 15 Abbildungen und drei Exkursen: »Die göttliche Hilfe am Morgen«, 189 f., »Nachtdämonen in AT und Israel«, 192–198, »Modellbetten in Ton für Haus, Tempel, Palast«, 223–226) und stellt die alt-testamentliche Nachtsemantik (Gestalt/Dynamik der Nacht, nächtliche Bedrohungen, Rhythmus der Nacht), die Realien der Schlafkultur (Schlafplätze, Bett u. a.) sowie die regenerative Kraft des Schlafs dar. Positiv hervorzuheben ist dabei, dass der Vf. seine Beobachtungen durchgehend an ausgewählten Texten verifiziert, die dadurch an Kontur und Prägnanz gewinnen. Dass der Schlaf eine Bewusstseinsunterbrechung darstellt, liegt auf der Hand und wird vom Vf. in den bisherigen Kapiteln immer wieder thematisiert (43.74 u. ö.). Das sechste Kapitel (252–348) wendet sich diesem Thema ausführlich zu und differenziert es anhand von vier Leitaspekten und im Gegenüber zu den medizinischen und psychologischen Termini »Be­wusstlosigkeit« und »Unbewusstes«: Selbst- und Fremdwahrnehmung (252 ff.), Anthropologie und Theologie (261 ff.), Bewusstsein im Menschen- und Gottesbild (336  ff.) und Schlaf und Schlafstörungen im Alten Testament (341 ff., mit dem Exkurs: »Faulheit in den Proverbien«, 291 f.). Am Ende werden die Hauptergebnisse zusammengefasst (346–348) und um einen kurzen Ausblick auf den Schlaf im Neuen Testament ergänzt (349–355).
Alles in allem zeigt sich, dass das Thema »Schlaf und Schlaflosigkeit« kein Randthema des Alten Testaments und der sogenannten Nachbarkulturen ist, ganz im Gegenteil. Dem Vf. ist es gelungen, seine realienkundlichen, mythologischen, anthropologischen und theologischen Aspekte an den alttestamentlichen und altorientalischen/griechischen Texten herauszuarbeiten und zum Sprechen zu bringen. Mit Fug und Recht kann sein Buch als alttestamentliches Kompendium für diese zentrale Frage des leiblichen und seelischen Wohls gelten.