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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1018–1019

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Jehle, Frank [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Ain christliche Underwisung der Jugend im Glouben«. Der St. Galler Katechismus von 1527.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich in Koproduktion m. VGS Verlagsgenossenschaft St. Gallen 2017. 85 S. m. 14 Abb. Geb. EUR 17,90. ISBN 978-3-290-17927-4 (TVZ); 978-37291-1164-6 (VGS).

Rezensent:

Albrecht Beutel

Schon früh zählte der Katechismusunterricht zum Kernbestand des reformatorischen Gemeindeaufbauprogramms. Bereits zwei Jahre bevor das klassisch gewordene Lehrwerk Martin Luthers pu­bliziert wurde, erschien 1527 der für die evangelisch gewordene Reichsstadt St. Gallen erstellte Katechismus. Frank Jehle (*1939) hat sich um eine aktuelle Edition dieser Ausgabe verdient gemacht. Er wirkte als Pfarrer und Mitbegründer des Katecheteninstituts der reformierten Kirche von St. Gallen und war zuletzt Lehrbeauftragter für evangelische Theologie an der dortigen Universität.
Der Edition ist eine allgemeinverständliche, reich bebilderte Einleitung (7–48) vorangestellt, welche die Leserschaft mit nützlichen Hintergrundinformationen versieht. Da der vermutlich von Ulrich Zwingli veranlasste, von Leo Jud 1525 verantwortete Zürcher Wandkatechismus als ein Poster gedruckt wurde, stellt der St. Galler Katechismus auf eidgenössischem Boden tatsächlich das erste Exemplar seiner Gattung dar. Nachdem der reformatorische Aufbruch in St. Gallen aufgrund von Täuferunruhen zunächst ins Stocken geraten war, wurde dort zu Ostern 1527 das erste evangelische Abendmahl gefeiert. Im August desselben Jahres beauftragte der Rat der Stadt den Zürcher Verleger Christoph Froschauer mit dem Druck eines Katechismus, der zur häuslichen Unterweisung durch die Eltern gedacht war, daneben aber auch der evangelischen Jugend am Sonntagnachmittag durch einen Pfarrer erklärt und ausgelegt werden sollte. An den vier jährlichen Abendmahlssonntagen (Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Herbst) fand fortan in der Stadtkirche St. Laurenzen ein darauf bezogenes öffentliches Glaubensexamen statt.
Als Verfasser konnte Jehle den humanistisch gebildeten Theologen Dominik Zili, der als städtischer Schulmeister und Mitglied der vom Rat eingesetzten Reformationskommission wirkte, wahrscheinlich machen. Dass sich Zili eng an ein katechetisches Vorbild der Böhmischen Brüder anlehnte, wird bereits in der fast wörtlich übernommenen Überschrift kenntlich, die Zili lediglich mit dem protestantischen Sola-scriptura-Hinweis, sein Lehrbuch sei »ge­gründt in der hailigen geschrifft«, noch ergänzte. In geringfügiger graphematischer Varianz dient der erste Teil dieser Überschrift auch als Titel der vorliegenden Edition.
Die strukturelle Logik des St. Galler Katechismus erscheint merkwürdig und mag der obwaltenden Zeitnot geschuldet sein. Lässt sich in der erklärenden Abfolge von Apostolikum, Dekalog, Seligpreisungen und Vaterunser noch sinnvolle Ordnung erkennen, so geht es danach buntscheckig durcheinander, indem die Jugendlichen nun »von der Abgöttery«, »von der falschen erdichten Gaistlichait« und »betruglichen Hoffnung«, »von den Tödtlichen begirden« und »vom yngang in die gmaysame der Christglöubigen« belehrt werden. Die Erläuterung des Abendmahls erfolgt zwischendurch, die Taufunterweisung beschließt das Werk.
Deutlich markiert Jehle, was in St. Gallen gegenüber der böhmischen Vorlage geändert und ergänzt worden ist. So fällt allenthalben eine entschiedene christologische Konzentration ins Auge, mit der eine deutliche Zurücknahme der Marien- und Heiligenverehrung korrespondiert. Instruktiv ist zumal der dem Abendmahl gewidmete Teil (68–72), in dessen Ausführlichkeit Jehle einen Reflex des zeitgleich ausgetragenen Streits zwischen Zwingli und Luther und in dessen sakramentstheologischer Positionierung er eine klare Parteinahme für die in Zürich vertretene signifikatorische Deutung erkennt. Gleichermaßen billigte der St. Galler Katechismus auch der Taufe keine unmittelbar heilsvermittelnde, sondern lediglich eine erinnernde Prägekraft zu. Wohl um die vor Ort noch immer präsenten Befürworter einer Wieder- bzw. Erwachsenentaufe nicht unnötig zu provozieren, entbehrt der Taufabschnitt jeder diesbezüglichen Polemik, verwahrt sich hingegen umso entschiedener, sich gleichermaßen von Rom und Wittenberg distanzierend, gegen einen »materialistische[n] bzw. magische[n] Sakramentalismus« (39).
Der St. Galler Katechismus erlebte zahlreiche Auflagen und blieb ein halbes Jahrhundert hindurch, bis 1574 auch dort der Heidelberger Katechismus eingeführt wurde, in regem Gebrauch. Ob man angesichts der obrigkeitlich verordneten Pflichtlektüre von einem buchhändlerischen »Erfolg« (47) sprechen sollte, kann ge­fragt werden.
Die Edition (49–80) bietet den ursprünglichen Textbestand di­plomatisch getreu, was sich anhand etlicher faksimilierter Seiten des Originals mühelos verifizieren lässt. Biblische Nachweise sind als Marginalien beigefügt, etliche schwer verständliche Wörter und Wendungen, gelegentlich auch Sachfragen werden in den Fußnoten kundig erläutert.
Eine »Persönliche Nachbemerkung« (81–85) beschließt den Band. Hier schildert Jehle knapp die Entstehungsgeschichte seiner Edition und macht aus dem Umstand, dass die einschlägige wissenschaftliche Forschung bereits im 19. Jh. erbracht worden ist, keinen Hehl. Gegenüber der sehr breiten, nicht historisch gebildeten Le­serschaft, die Jehle offenbar voraussetzt, erscheint ihm die gattungsgeschichtliche Feststellung angezeigt, »dass der Übergang vorreformatorisch-reformatorisch ein fliessender ist« (82).
Das Bändchen macht ein Frühwerk aus der protestantischen Kat­echismustradition wohlfeil verfügbar. Auch wer sich für die In­kubationszeit reformierter Lehrbildung interessiert, wird die Neuausgabe dankbar und nutzbringend frequentieren.