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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1016–1018

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Schulz-Wackerbarth, Yorick

Titel/Untertitel:

Die Vita Pauli des Hieronymus. Darstellung und Etablierung eines Heiligen im hagiographischen Diskurs der Spätantike.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XVI, 283 S. = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 107. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-155100-0.

Rezensent:

Ingo Schaaf

Aus dem reichhaltigen Œuvre des Hieronymus erfreuen sich seit jeher seine »Mönchsgeschichten« (Fuhrmann) besonderer Aufmerksamkeit. In dem zu besprechenden Band, der die überarbeitete Fassung einer bei Peter Gemeinhardt in Göttingen erstellten kirchengeschichtlichen Dissertation darstellt, widmet sich Yorick Schulz-Wackerbarth mit der Vita Pauli dem frühesten Vertreter dieser Reihe.
Sein Unterfangen, diesen Text als Wortmeldung im »Diskurs um religiöse Leitbilder der Spätantike« (Klappentext) zu verorten, erfolgt in drei weiter ausdifferenzierten Großschritten, denen einige hinführende Erläuterungen vorgeschaltet sind. In diesen setzt sich S.-W., derzeit als Pastor in Algermissen tätig, zunächst mit der Forschungsfrage nach der geschichtlichen Basis der Vita Pauli auseinander. Waren in dieser Hinsicht bereits unter Hieronymus’ Zeitgenossen Zweifel aufgekommen, die in der wissenschaftlichen Diskussion des 19. Jh.s verstärkt debattiert wurden, so nimmt S.-W. die zu teilende Position ein, wonach nunmehr andere Fragen lohnender seien als eine erneute Diskussion der Historizität (5). Im Anschluss an Stefan Rebenich geraten vielmehr die Bedingtheiten für den enormen Erfolg von Hieronymus’ munusculum in den Blick, wobei jedoch der Fokus statt auf den literarischen Mechanismen der Rezeption noch stärker auf »dem dezidiert hagiographischen Aspekt der Vita Pauli« (8) ruhen soll.
Gemäß dieser Perspektivenwahl, d. h. der »im Hintergrund stehende[n] These […], dass […] Hieronymus ›als Hagiograph‹ […] tatsächlich einen Beitrag zum christlichen Diskurs um das Thema der Heiligkeit mit der Beschreibung einer spezifischen Instanz, eines Phänomens von Heiligkeit, leistet« (9), erfolgt zunächst eine Diskussion der Konzepte von »Heiligkeit« und »Hagiographie« (Kapitel I). Hierin wird Erstere, methodisch klug, als Größe gesetzt, worauf verschiedentlich gemachte Bezugnahmen, nicht aber ihr Gehalt, historisch-deskriptiver Untersuchung zugänglich seien. Mit dem Hinweis auf das Fehlen einer allgemeinen Heiligkeitsdefinition im gegebenen geschichtlichen Kontext wird für die Spätantike von im Wettbewerb stehenden Leitbildern gesprochen, was zum Verständnis von Hagiographie als diskursivem Raum überleitet – eine Herangehensweise, in deren Konsequenz Gattungsfragen hinter solchen der Diskurspartizipation zurückträten (30 f.).
Vor dem Hintergrund dieser methodischen Prämissen vielleicht überraschend, kann S.-W. im Anschluss gleichwohl formale Analysen der Vita Pauli vorlegen (Kapitel II), die neben manch inhaltlicher Erwägungen durchaus beachtlichen Raum bieten für Fragen des literarischen Aufbaus, der narrativen Strukturen und Chronologie sowie nicht zuletzt (und dies angesichts der Themenstellung wieder weniger überraschend) des in Rechnung zu stellenden Adressatenkreises der hieronymianischen Schrift. Die Einzelerträge dieses Abschnittes können hier unmöglich en détail ausgeführt werden, hervorgehoben sei lediglich, dass dem Benutzer des Buches wiederholt Struktur- und Gliederungsübersichten an die Hand gegeben werden, die den Argumentationsgang hilfreich begleiten.
Den Gegenstand des nächsten und zugleich weit umfassends-ten Buchteils (Kapitel III) bildet sodann die Figur des Paulus von Theben. In einem ersten Unterabschnitt wird dabei der Argu-mentation nachgegangen, wie sie Hieronymus im Prolog der Vita Pauli verfolgt mit dem bekannten Ziel, seinen Heiligen als ersten Eremiten (gegenüber dem athanasisch-evagrischen Antonius) auszuweisen. Es handelt sich hierbei um eine Form des close readings, das nicht nur in Fühlung mit den einschlägigen Paralleltexten zum frühen Mönchtum zu bleiben versucht, sondern das auch die frühchristliche Vielstimmigkeit zu den Ursprüngen dieses Phänomens, mithin das provokatorische Potential der Vita Pauli erkennbar zu machen beabsichtigt. Dass Hieronymus indes nicht nur den Nachweis eines zeitlichen, sondern auch eines qualitativen Vorrangs zu führen beabsichtigt, wird in einem weiteren Schritt nachgezeichnet, als dessen erwartbares Resultat festgehalten wird, dass Paulus als »die Verkörperung der perfekten Askese und der vollkommenen Anachorese« (122) ein Heiligkeitsideal des Stridonensers darstelle.
In kursorischer Auseinandersetzung mit den (spät)antiken Formgesetzen biographischen Schrifttums werden in einem zweiten Unterabschnitt die ersten Lebensjahre des Protagonisten der Vita problematisiert, wobei S.-W. zwar die »asketische Abneigung ge­genüber dem Körperlichen (und somit der Entwicklung des Menschlichen), zusammen mit einer hagiographischen Schwerpunktsetzung bei den Taten christlicher Vorbilder« (129) für das Fehlen entsprechender Nachrichten mit haftbar zu machen bereit ist; gleichzeitig kommt es angesichts abweichender Verfahren durch Hieronymus selbst aber auch hier zum vergleichenden »Blick auf die narrative Funktion dieser Auskünfte in den jeweiligen Erzählungen« (ebd.). Es ist ohnehin positiv zu verbuchen, dass S.-W. den antiken Einbezug von Rhetoriktheorie und – seit einiger Zeit verstärkt beachteter – Alterstopoi nicht scheut (auch wenn hier, wie zudem gelegentlich sonst, auffällige bibliographische Fehlstellen zu bemerken sind). Dem spezifischen Autorenprofil des Hieronymus entsprechend, fällt der Folgeabschnitt zur hagiographischen Bildungsthematik vergleichsweise lang aus. Lassen sich gerade für diesen Bereich aus Platzgründen auch keine Einzelbeobachtungen vermerken, so sei zumindest auf das Korollar hingewiesen, wonach der Entwicklungsweg des Paulus in der hieronymianischen Vita diametral entgegengesetzt zu dem des Antonius verlaufe (171), mit dem Ergebnis, dass Ersterer durchaus auch durch schulische Bildung – heilig geworden sei (179). Wenn die untersuchte Figur somit nicht zuletzt eine idealtypische Verbindung von christlicher Bildung und Heiligkeit verkörpert, so lässt sich Letztere im Falle der eremitischen Lebensform kaum losgelöst vom recessus-Motiv be­sprechen. Folgerichtig ist der vierte Unterabschnitt des Kapitels der Flucht in die Wüste gewidmet, die in Übereinstimmung mit dem Verhalten anderer ›Helden‹-Figuren des Hieronymus so auch mit Blick auf Paulus »als ein notwendig erkannter und gewollter Schritt eines selbstbestimmt handelnden christlichen Akteurs auf dem Weg seiner Heilig-werdung« (201) erscheint. In direktem Anschluss an diese Ausführungen steht die Deutung des letzten Buchabschnitts, in dem S.-W. eine Verhältnisbestimmung zwischen zu­rückgezogenem Wüstenheiligen und »freiwilligem Märtyrer« vorlegt. Auch hier erweise sich, so S.-W., dass Paulus in mehrerlei Hinsicht das Heiligkeitskonzept des Hieronymus (u. a. unter Rückgriff auf bei Cyprian vorgefundene Modelle) personifiziere im Sinne einer »strukturelle[n] Gleichwertigkeit von neuem und altem Martyrium« (242 f.).
S.-W. hat eine nützliche, wenn auch nicht in allen Teilen gleich innovative Untersuchung vorgelegt, neben deren erklärtem Hauptziel strukturelle wie erzähltechnische Gesichtspunkte in einem erfreulichen Maß mitberücksichtigt werden. In ihr findet sich ein Modell ›progressiver Heiligkeit‹ expliziert, das sowohl mit Freiwilligkeit als auch mit Erkenntnisfähigkeit in Verbindung gebracht wird: Demzufolge tue der Heilige in konfliktfreier, nachgerade paradiesischer Weise, was er als richtig erkenne, was er wolle und was er müsse (250). Als hilfreiche Studie bei der weiter anhalten-den Beschäftigung mit Hieronymus’ Mönchsviten sowie spätan-tiken Heiligkeitsdebatten ist ihre Hinzuziehung fraglos zu empfehlen.