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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1067–1078

Kategorie:

Literatur- und Forschungsberichte

Autor/Hrsg.:

Heinrich Holze

Titel/Untertitel:

Von Athanasius bis Jonas von Orléans. Neue Editionen patristischer und mediävistischer Texte in den Sources Chrétiennes 2013–2018

In den zurückliegenden fünf Jahren sind in den Sources Chré-tiennes wichtige griechische und lateinische Quellentexte erschienen. Sie umspannen den Zeitraum eines halben Jahrtausends und reichen von Alexandrien im 4. Jh. bis nach Orléans im 9. Jh.

I Griechische Texte


Wir beginnen den Bericht über die Neuerscheinungen der Sources Chrétiennes mit Texten zum trinitarischen Streit, die auf dem Höhepunkt der kirchenpolitischen und theologischen Konflikte in Alexandrien entstanden sind.1

Den Auftakt bildet ein Text des Athanasius († 373), der in den Jahren 359/361 entstanden ist und in der literarischen Gestalt eines Briefes »Über die Synoden von Rimini in Italien und Seleukia in Isaurien« berichtet. Darin positioniert sich der alexandrinische Bischof in den Auseinandersetzungen um die strittige Deutung des nizänischen Bekenntnisses. Schon früher hatte er sich zugunsten des Nizänums kritisch über die kirchenpolitischen Interventionen des Kaisers geäußert und deswegen ins Exil gehen müssen. Auch jetzt hielt er mit seiner Kritik an Konstantius II., der 357 die Aufhebung des Nizänums durchgesetzt hatte, nicht zurück, woraufhin der Kaiser durch mehrere Synoden die Absetzung aussprechen ließ. Athanasius hatte deswegen Alexandrien verlassen müssen und war zu den Mönchen in die ägyptische Wüste gegangen. Das (nunmehr dritte) Exil hinderte ihn aber nicht, auch weiterhin für das Nizänum kämpferisch einzutreten. Davon zeugt sein Brief »Über die Synoden«, der wichtige Einblicke in die konfliktreichen Debatten der trinitarischen Lehrbildung erlaubt, insbesondere mit Blick auf die Ereignisse rund um die Synoden von Rimini (im Westen) und Seleukia (im Osten), die beide im Sommer/Herbst 359 stattfanden. Athanasius argumentiert auf der Grundlage des Bekenntnisses von Nizäa. Leidenschaftlich verteidigt er den nizänischen Denkansatz, warnt vor den Gefahren des Neoarianismus, kritisiert die Anhänger der vom Kaiser gestützten homöischen Position, aber zeigt sich auch offen für einen Dialog mit den ebenfalls an den Rand gedrängten Homöusianern.

Dem Brief des Athanasius sind zwei Texte vorangestellt, die einen Einblick in das theologische Denken derjenigen geben, auf die sich der alexandrinische Bischof bezog. Beide Texte wurden von Epiphanius von Salamis († 403) überliefert, der sie in seinem »Panarion« als Zeugnisse des häretischen Glaubens der sogenannten Semiarianer vorstellt. Es handelt sich dabei um einen Brief der Synode von Ankyra (358), die in Abgrenzung von der homöischen Formel der Synode von Sirmium (357) das Verhältnis von Einheit und Differenz der göttlichen Personen in neuer Begrifflichkeit entfaltet. Außerdem ist ein Traktat des Basilius von Ankyra († um 364) über den Glauben abgedruckt, in dem der Verfasser die nizänische Theologie der Einheit der Substanz kritisiert und stattdessen den homöusianischen Gedanken der Ähnlichkeit in allen Belangen entfaltet. Die beiden Herausgeber, Annick Martin und Xavier Morales, äußern die Vermutung, dass dieser Traktat auf der Synode von Seleukia im September 359 verteilt wurde. Annick Martin ist Professorin an der Universität Rennes und Autorin einer Monographie über »Athanasius und die Kirche in Ägypten im 4. Jahrhundert«. Xavier Morales ist Zisterziensermönch in der Abtei Notre-Dame d’Acey und Verfasser einer Untersuchung über die trinitarische Theologie des Athanasius. Von ihnen stammen die Übersetzung, die Einführung und die Kommentierung der Texte. Der kritische Text des Athanasiusbriefes beruht auf der Werkausgabe von Hans Georg Opitz (Athanasius Werke Bd. II,1, Berlin 1935–1941). Die beiden anderen Schriften sind der von Karl Holl und Jürgen Dummer herausgegebenen Epiphanius-Ausgabe entnommen (GCS 59, Berlin 1985).

Von Gregor von Nyssa († 394) ist die Edition mehrerer kleiner, gleichwohl aber gewichtiger Schriften anzuzeigen.2 Es handelt sich um zwei Briefe und sechs Homilien, die in den Jahren nach dem Konzil von Konstantinopel (381) entstanden sind und den zahlreichen in den Sources Chrétiennes bereits vorliegenden Schriften des Nysseners an die Seite treten. In der Epistula canonica begründet Gregor gegenüber dem Bischof von Melitene am Euphrat die Notwendigkeit der öffentlichen Buße. Er beschreibt den gestuften Ablauf, der sich in der Kirche von Nyssa durchgesetzt hat, und verbindet mit den theologischen Überlegungen seelsorgerliche Ratschläge. Der zweite Brief, der mehr einem Traktat gleicht, bietet anhand der Auslegung der Erzählung von der Totenbeschwörerin von Endor (1Sam 28) eine Erörterung der Frage, wie die biblische Prophetie zu deuten ist. Die sechs Homilien sind um 380 entstanden und zeigen Gregor als einen Prediger, der sich wortmächtig an alle Gläubigen seiner Gemeinde wendet. Er ermahnt die Katechumenen, mit dem Vollzug der Taufe nicht zu warten, und er verurteilt diejenigen, die sich der Unzucht ergeben haben. Des Weiteren setzt er sich mit denen auseinander, die die Bußstrafen kritisieren und damit die Autorität des kirchlichen Amtes infrage stellen. Er predigt über die Pflicht der Christen, den Armen zu helfen, über die Wohltätigkeit und Nächstenliebe und das Vorbild Christi gegenüber den Armen und Leprakranken. Schließlich wendet er sich anknüpfend an Aussagen des Basilius gegen den mit Zinsen verbundenen Geldverleih, verurteilt ihn als Ausdruck von Habgier und fordert dazu auf, den Armen zu geben, aber nicht von ihnen zu nehmen. Der griechische Text der vorliegenden Schriften beruht auf der kritischen Ausgabe der »Gregorii Nysseni Opera« (GNO III,2; III,5; IX; X,2). Pierre Maraval, Professor emeritus an der Sorbonne und Kenner der Schriften des Nysseners, hat die Einführung, Übersetzung und Kommentierung geschrieben. Ein Index der Bibelzitate rundet die Edition ab.

Von Evagrius Ponticus († 399), dem griechischen Mönchstheologen, liegen in den Sources Chrétiennes bereits mehrere Schriften vor, darunter der Monachikos (SC 170/171/356) sowie Bibelkommentare zum Prediger (SC 340) und den Proverbien (SChr 397; vgl. ThLZ 105 [1980], 619 f.; 119 [1994], 953 ff.). In der anzuzeigenden Edition werden zwei Schriften abgedruckt, in denen Evagrius seine Vorstellungen von den ethischen Anforderungen eines monastischen Lebens entfaltet. Die erste Schrift trägt den Titel »Logos an den Mönch Eulogius«. Die zweite, deutlich kürzere Schrift, die in den Manuskripten oft zusammen mit der erstgenannten überliefert wurde und auch als ihre Fortsetzung betrachtet werden kann, trägt den Titel »Diskurs über die Laster, die den Tugenden entgegenstehen«.3 Beide Schriften, die Evagrius in seinem letzten Le­bensjahrzehnt geschrieben hat, wurden, da ihr Verfasser in den Strudel der origenistischen Streitigkeiten geriet und postum 553 mit Origenes und Didymus verurteilt wurde, nicht unter dem Namen des Evagrius, sondern dem des Nilus von Ancyra überliefert. Bislang gab es von diesen Schriften nur den bei J.-P. Migne verfügbaren Text (PG 79, 1093–1140).

Mit der vorliegenden Ausgabe liegt nun auf der Grundlage einer breiten handschriftlichen Überlieferung erstmals auch eine kritische Edition vor. Sie wurde von Charles-Antoine Fogielman erstellt, der mit der Vorlage und der Kommentierung der kritischen Textfassung beider Schriften 2015 an der École Pratique des Hautes Études in Paris promoviert wurde. Inhaltlich bietet die erste Schrift in der literarischen Form eines Briefes »An Eulogius« eine Aufforderung zum monastischen Leben, das als ein Kampf gegen die Dämonen, die die kontemplative Ruhe in der Einsamkeit der Wüste zu stören suchen, verstanden wird. In der Tradition stoischer Philosophie fordert Evagrius dazu auf, den Angriffen in der Haltung des Gleichmuts und der Gelassenheit zu begegnen. Zugleich formuliert er praktische Ratschläge zu einem Leben im Könobium als einer Schule der Demut und des Gebetes. In der zweiten Schrift »Diskurs über die Laster« gibt Evagrius eine zusammenfassende Darstellung seiner Lehre vom geistlichen Le­ben, indem er sich am Schema der neun Laster orientiert, denen er jeweils eine Tugend gegenüberstellt und diese durch kurze Be­schreibungen inhaltlich charakterisiert.

Von Johannes Chrysostomus († 407) sind mehrere Predigten anzuzeigen, die bislang noch nicht in kritischer Edition erschienen sind und darum eine wertvolle Bereicherung der patristischen Forschung darstellen. An erster Stelle handelt es sich um zwei Homilien, die unter dem Titel »Über die Machtlosigkeit des Teufels« zusammengefasst wurden.4 Herausgeberin ist Adina Peleanu, Schwester im Kloster Protection de la Mère de Dieu in Limours, die mit der Erarbeitung und Kommentierung der kritischen Textgrundlage an der École Pratique des Hautes Études in Paris 2007 promoviert wurde. Die vorliegende Textfassung beruht auf insgesamt 73 griechischen Manuskripten, von denen die meisten ins 10. bis 12. Jh. datiert werden können, einige aber auch jüngeren Da­tums sind. Die Manuskripte befinden sich in Bibliotheken auf dem Berg Athos, im Vatikan und in Oxford, aber auch an anderen Orten. Mit der kritischen Edition wird der bisher verfügbare Text der Homilien bei J.-P. Migne (PG 47–64), der auf einer Ausgabe des frühen 18. Jh.s beruht, abgelöst. Chrysostomus hat beide Predigten in Antiochien wenige Jahre nach seiner Priesterweihe (386) gehalten. Er hat dafür die nachösterlichen Wochen gewählt. Inhaltlich setzt er sich in ihnen mit dem Wesen des Teufels auseinander und be­stimmt dessen Boshaftigkeit und Abwendung von Gott als Ausdruck für einen schlechten Gebrauch des Guten. Das Böse beruhe a uf einer Wahl und sei untrennbar mit dem freien Willen des Menschen verbunden. Chrysostomus bekämpft den Manichäismus und beklagt die moralische Nachlässigkeit der Christen. Der Teufel habe kein anderes Ziel, als die menschliche Willensfreiheit auf die Probe zu stellen. Johannes Chrysostomus verweist auf bib-lische Beispiele der rechten Wahl und des guten Handelns und schlägt an sie anknüpfend fünf Wege zur Bekehrung vor. Als Mo­dell moralischer Überlegenheit über den Teufel und dessen Wirken gilt ihm dabei das standhafte Verhalten Hiobs in den Anfechtungen von Armut, Krankheit, Tod und Verlassensein.

Sodann sind zwei Homilien zum Osterfestkreis anzuzeigen.5 Chrysostomus hat sie in seiner Geburtsstadt Antiochien gehalten, wo er bis 397 zunächst als Diakon und dann als Priester an der Hauptkirche gewirkt hat. Die erste Predigt behandelt in einer Auslegung von 2Kor 5 die christliche Lehre von der leiblichen Auferstehung der Toten und wendet sich dabei insbesondere gegen manichäistische Tendenzen. Die zweite Predigt trägt den Titel »Gegen den Rausch der Trunkenheit und über die Auferstehung«, wobei Johannes die Auferstehung auf die Taufe bezieht und mit einer moralischen Unterweisung verbindet. Beide Predigten haben ih­ren Sitz im Leben in der Osterliturgie und sind wichtige Zeugen für die Entwicklung der reichskirchlichen Liturgie. Sie werden hier erstmals von Nathalie Rambault in einer kritischen Textausgabe vorgelegt. Die Edition gründet auf der Untersuchung der Osterhomilien des Chrysostomus, mit der die Herausgeberin an der Universität von Limoges 1999 promoviert wurde. In der Einführung bietet sie eine ausführliche Darstellung der Textgeschichte, der Manuskripttradition und der zu erschließenden textlichen Zu­sam­menhänge und Abhängigkeiten. Bei beiden Predigten wird die ur­sprüngliche Textgestalt auf eine ins 5./6. Jh. zu datierende armenische Texttradition zurückgeführt, die aus zwei Textfamilien rekonstruiert werden kann. Als Anhang sind noch zwei Texte über Ostern beigefügt, die als Kurz- und Langversion eines Textes be­zeichnet werden können. Sie ergänzen thematisch die beiden Predigten, können auch in das ausgehende 4. Jh. datiert werden, lassen sich aber nicht eindeutig Johannes Chrysostomus zuordnen. Sie werden von der Herausgeberin ebenfalls in einer kritischen Textfassung vorgelegt.

Cyrill von Alexandrien († 444), der einflussreiche, aber umstrittene Vertreter alexandrinischer Theologie, hat neben seinen zahlreichen exegetischen und dogmatischen Schriften auch ein wichtiges apologetisches Werk hinterlassen. Es trägt den Titel »Gegen Julian« und setzt sich mit der antichristlichen Schrift Kaiser Julians »Gegen die Galiläer« auseinander.6 Von den insgesamt 30 Kapiteln sind nur zehn erhalten geblieben und von diesen wiederum sind in den SC bislang die ersten beiden unter der Herausgeberschaft von Paul Burguière und Pierre Évieux veröffentlicht worden (SC 322, Paris 1985). Die vorliegende Ausgabe mit den Büchern III–V übernimmt mit wenigen Änderungen die kritische Textedition, die von Chris-toph Riedweg und Wolfram Kinzig in GCS.NF 20 (2016) vorgelegt wurde. Die Übersetzung stammt von Jean Bouffartigue († 2013), ehemals Gräzist an der Universität Paris Ouest Nanterre La Dé-fense. Marie-Odile Boulnois, Direktorin an der École Pratique des Hautes Études (EPHE), die mehrere Untersuchungen zu Cyrill vorgelegt hat, analysiert in ihrer Einführung Struktur und Themen der Bücher III–V. Demnach orientiert sich Cyrill eng am Aufbau und der Argumentation Kaiser Julians und bietet darum eine wichtige Quelle für die Rekonstruktion von dessen um 362/3 entstandener Schrift. Zentrale Themen bei Cyrill sind das Zeugnis der Heiligen Schrift, das von Christen nicht – wie von Julian behauptet – als mythologisches Gedankengebilde, sondern als wahrhaftiges Gotteswort verstanden wird; das biblische Gottesverständnis, das Gott nicht als Repräsentanten eines einzelnen Volkes, sondern als universalen Herrscher der Welt denkt; schließlich die Theodizeefrage, die die göttliche Providenz und Allmacht durch menschliche Willensfreiheit nicht infrage gestellt, sondern im Gegenteil bestätigt sieht. Um seinem paganen kaiserlichen Gegenüber auf Augenhöhe begegnen zu können, beruft sich Cyrill immer wieder auf Autorit äten der antiken Philosophie, Literatur und Geschichtsschreibung, unter anderem erwähnt er Platon und Porphyrius, Homer und Sophokles, Herodot und Xenophon. Mit seinem Anliegen einer apologetischen Auseinandersetzung mit der antiken Geisteswelt sieht er sich in einer Linie mit Klemens von Alexandrien und Euseb von Caesarea und verweist auf sie als Vorbilder seines eigenen Werkes.

Die Schriften des Eutherios von Tyana († nach 434) führen mitten hinein in die christologischen Auseinandersetzungen des 5. Jh.s.7 Eutherios, Bischof von Tyana in Kappadozien, gehörte zu den Anhängern des Nestorius und wurde für seine Überzeugungen 431 in Ephesus exkommuniziert und wenige Jahre später verbannt. Von ihm sind fünf Briefe erhalten, außerdem eine Protestschrift, die gegen Cyrill von Alexandrien gerichtete »Antilogie«. Der Text beruht auf der kritischen Edition von Martin Tetz, der in seiner Bonner Habilitationsschrift (1964) die »Antilogie« untersucht und in den Patristischen Texten und Studien (PTS) herausgegeben hat. Die Herausgeber Joseph Paramelle und Louis Neyrand, die beide durch Arbeiten über Symeon den Neuen Theologen ausgewiesen sind, haben den Text unverändert übernommen und der vorliegenden Ausgabe in den Sources Chrétiennes zugrunde gelegt. Zugleich haben sie ihm eine Einleitung vorangestellt, in der sie das weitgehend im Dunkeln liegende Leben des Eutherios in seinen kirchlichen und theologischen Bezügen beleuchten und den Text auf dem Hintergrund des Konzils von Ephesus (431) und der darauf folgenden Konflikte kontextualisieren. Inhaltlich setzt sich Eutherios in der »Antilogie« kämpferisch mit den Entscheidungen des Konzils von Ephesus auseinander. Wie Theodoret von Cyrus, der zur gleichen Zeit wirkte, aber in dessen Schatten stehend, verteidigt Eutherios sein Vorbild Nestorius, verurteilt dessen ungerechte Verurteilung und greift die seiner Ansicht nach apollinaristische Theologie Cyrills an. Zugleich entfaltet er positiv den antiochenischen Gedanken von der Einheit der menschlichen und der gött-lichen Natur in Christus. Der Edition der »Antilogie« sind fünf Briefe beigefügt, in denen sich Eutherios an Freunde und Gleichgesinnte wendet. Sie eröffnen einen direkten und lebendigen Einblick in die antiochenische Denkwelt, die sich nach dem Konzil von Ephesus unter dem Druck der Häresieurteile zugespitzt entfaltete.

Aus dem Œuvre des Theodoret von Cyrus († um 466) liegen in den Sources Chrétiennes bereits mehrere Texte vor, darunter ein Kommentar zum Jesajabuch (SC 276.295.315), eine Geschichte der Mönche in Syrien (SC 234.257), eine Kirchengeschichte (SC 501.530), die apologetische Schrift »Heilung der heidnischen Krankheiten« so­wie ein umfangreicher Briefwechsel (SC 40.98.111.429). Nun ist eine neue Edition zweier miteinander verbundener Schriften anzuzeigen: »Die heilige und lebenspendende Trinität« und »Die Inkarnation des Herrn«.8 Entstanden sind beide Schriften vor dem ephesinischen Konzil (431). Sie eröffnen damit einen Einblick in das Denken dieses wichtigen antiochenischen Theologen, bevor er in die Konflikte über die Christologie verwickelt und schließlich seines Amtes enthoben wurde. Sie richten sich nicht an die Fachtheologen, sondern an die Gemeinde von Cyrus, an die Gläubigen oder diejenigen, die es noch werden wollen. Der Bischof von Cyrus will sie einer Katechese vergleichbar auf der Grundlage des Bekenntnisses von Nizäa im christlichen Glauben unterweisen. Daraus erklären sich die zahlreichen Bibelzitate, die zeigen, welche Bedeutung Theodoret in seinem Werk der biblischen Begründung in der Entfaltung der trinitarischen Theologie zumisst. Gleichzeitig sind die Bezüge zu den theologischen Schriften der Zeit nur indirekt er­kennbar und lassen sich nur annähernd bestimmen. Der Herausgeber der vorliegenden Edition, Jean-Noël Guinot, Forschungsdir ektor am Centre National de la Recherche Scientifique in Straßburg, gilt aufgrund seiner Untersuchungen über Theodoret als Kenner des antiochenischen Theologen. In seiner Einleitung be­schreibt er den historischen Kontext zur Entstehungszeit sowie die ungewöhnliche Geschichte des einzigen direkten Textzeugen, der diese bedeutsame Schrift nicht unter dem Namen ihres Verfassers, sondern unter dem des Cyrill von Alexandrien und damit des entschiedenen Gegners von Theodoret überliefert hat. Durch vergleichende Untersuchungen Albert Ehrhards (1888) konnte die tatsächliche Verfasserschaft sicher festgestellt werden. Eine kritische Edition beider Schriften aber ließ lange auf sich warten und ist erst jetzt durch Jean-Noël Guinot vorgelegt worden. Für die Rekonstruktion der frühen antiochenischen Theologie ist die neue Textgrundlage von großer Bedeutung. Sie ermöglicht einen Blick auf das trinitarische und christologische Denken der Antiochener, als dieses noch nicht von den Auswirkungen des kirchenpolitischen Streites geprägt ist.

Isidor von Pelusium († 435) ist einer der bedeutendsten Briefschreiber der christlichen Antike. Er wurde um 360 in Alexandrien geboren und wirkte im östlichen Nildelta in Pelusium als Presbyter und Mönch. Von seiner umfangreichen Korrespondenz, die ursprünglich über 3000 Briefe umfasste, sind noch etwa 2000 meist kürzere Briefe erhalten. Um sie lesen zu können, war man bislang auf den Text bei J.-P. Migne Patrologia Graeca Bd. 78 angewiesen. Auch war die Frage der Autorschaft lange Zeit offen und gab zur Vermutung Anlass, es könne sich (jedenfalls teilweise) auch um Fälschungen handeln. Nun aber wird die Briefsammlung Isidors in den Sources Chrétiennes erstmals kritisch ediert. Nachdem in Bd. 1 (SC 422) und Bd. 2 (SC 454) 500 Briefe vorgelegt und mit einer Einleitung versehen worden sind, folgen nun in Bd. 3 weitere 300 Briefe.9 In diesen Briefen richtet sich Isidor an einen weiten Adressatenkreis. Mit seinen Gesprächspartnern bespricht er eine Vielzahl von Themen, die das klösterliche, kirchliche und alltägliche Leben be­treffen. Isidor diskutiert Fragen der Askese und der Moral, erteilt Ratschläge zur Erziehung, ruft Kleriker auf, sich an die kirchliche Ordnung zu halten, ermahnt die Menschen, die im politischen Leben stehen. Des Weiteren stellt er Reflexionen zum Wesen der Freundschaft an und formuliert Gedanken zur Kosmologie und zur Medizin. Breiten Raum nehmen in seinen Briefen grammatische und exegetische Gedanken zu den biblischen Schriften ein. Die Korrespondenz lässt erkennen, dass Isidor für seine Adressaten eine anerkannte Autorität war. Man schrieb ihm, weil man um seine theologische Bildung, die Qualität seiner Schriftkommentare und um seine rhetorischen Fähigkeiten wusste. Die Edition der Briefe wurde begonnen von Pierre Évieux († 2007), Forschungsdirektor am Centre National de la Recherche Scientifique in Straßburg. Nach seinem Tod hat Nicolas Vinel, Literaturhistoriker für klassische Antike, die Editionsarbeiten weitergeführt. Zur Erschließung der in den Briefen angesprochenen Themen sind Register zu den Bibelstellen, den Zitaten antiker Autoren sowie den persönlichen und geographischen Namen beigefügt.

Ebenfalls ins erste Drittel des 5. Jh.s ist die Kirchengeschichte des Philostorgios († nach 433) zu datieren.10 Philostorgios war ein spätantiker Historiker, der aus Kappadozien stammend in Konstantinopel wirkte. Theologisch war er durch den Neuarianismus des Eunomius beeinflusst und lehnte wie dieser das homöische Glaubensbekenntnis ebenso wie das Bekenntnis von Nizäa ab. In der orthodoxen Reichskirche galt er darum als heterodox und die von ihm verfassten Werke wurden verboten. Das betraf auch die Historia ecclesiastica, in der Philostorgios in 12 Büchern die Ge­schichte des arianischen Streites von den Anfängen bis ins frühe 5. Jh. beschrieb. Sie ist weitgehend verloren und konnte nur teilweise aus den Schriften byzantinischer Theologen, insbesondere des Patriarchen Photios I. (9. Jh.) und des Nicetas Choniates (13. Jh.), rekonstruiert werden. Der vorliegenden Ausgabe liegt die von J. Bidez herausgegebene und F. Winkelmann bearbeitete kritische Edition in den »Griechischen Christlichen Schriftstellern« (GCS Bd. 21, Berlin 1981) zugrunde. Von Éduard des Places wurde ihr eine Übersetzung zur Seite gestellt. Die Einführung wurde von Experten der römischen Reichskirche geschrieben: Bruno Bleckmann, Al­thistoriker an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, charakterisiert Philostorgios als eine kultivierte, an den geistigen Entwicklungen der Zeit engagiert teilnehmende Persönlichkeit, die freilich in den Strudel der theologischen und kirchenpolitischen Konflikte der Zeit geriet, was sich auch in der Textgeschichte seiner Historia spiegelt. Jean-Marc Prieur, Kirchenhistoriker an der Universität Straßburg, analysiert gemeinsam mit Bleckmann das in­haltliche Konzept der Historia ecclesiastica des Philostorgios, die sich durch ihre arianisch-eunomianische Perspektive wesentlich von der reichskirchlich orientierten Geschichtsschreibung unterscheidet und gerade deswegen wichtige Informationen über die kaiserliche Kirchenpolitik bietet. Schließlich ist das Werk des Philostorgios durch die Einbeziehung der allgemeinen Geschichte der Antike eine wichtige Quelle für die geistige Welt des 4./5. Jh.s. Doris Meyer, Forschungsreferentin am Centre National de la Recherche Scientifique Straßburg, zeigt in ihrer Analyse, dass Philostorgios in seinem Werk nicht nur auf die theologischen und kirchlichen Themen eingeht, sondern auch das antike Wissen in der Medizin, der Zoologie und der Botanik bewahrt hat.

Die Kirchengeschichte des Euagrios Scholastikos († um 600) ist das letzte große Werk in der langen Reihe altkirchlicher Ge­schichtsschreiber und Chronisten. Euagrios knüpft darin an die Arbeiten derer an, die das Werk des Eusebios von Caesarea weitergeführt haben, und führt die Darstellung bis zum Ausgang des 6.  Jh.s.11 Die vorliegende Ausgabe enthält die Bücher IV–VI. Mit ihr wird die Edition abgeschlossen. Sie beruht auf der textkritischen Edition von Joseph Bidez und Léon Parmentier (London 1898, ND Amsterdam 1964). Euagrios behandelt darin die geschichtlichen, kirchlichen und geistigen Entwicklungen von Kaiser Justin I. (518–527) bis in die eigene Gegenwart unter Kaiser Maurikius (582–602). Besonderes Gewicht legt er auf die Konflikte, die nach den Entscheidungen des Konzils von Chalkedon (451) die kirchenpolitische Szene in der Ostkirche aufgewühlt haben. Dazu gehören die Auseinandersetzungen zwischen Nestorius von Konstantinopel und Cyrill von Alexandrien.

Eine Sonderrolle spielen die Mönche, die auf beiden Seiten kämpften, aber auch, wie die Styliten zeigen, eine besondere Form christlicher Askese hervorbrachten. Für Euagrios ist die kirchliche Geschichte untrennbar mit der politischen Ge­schichte, insbesondere der Geschichte der Kaiser, verbunden. Deswegen zitiert er zahlreiche Texte aus der antiken Tradition, darunter kaiserliche Dekrete, konziliare Akten, bischöfliche Enzykliken und Briefe, was seine Darstellung zu einer bedeutsamen geschichtlichen Quelle macht. Außerdem verweist er wiederholt auf eigene Beobachtungen und Erfahrungen. Seine Sprache und Gedankenwelt ist ge­pflegt und von der Kultur der klassischen Antike geprägt. Gay Sabbah, Historiker an der Universität Louis-Lumière in Lyon, hebt in seiner instruktiven Einführung hervor, dass Evagrius mit seinem Werk einer der wichtigsten Repräsentanten der griechisch-byzantinischen Kultur des ausgehenden 6. Jh.s war.

Zu den bedeutsamsten byzantinischen Theologen des 7. Jh.s gehört Maximus Confessor († 662), der aus vornehmem Hause stammend zunächst am Hofe von Kaiser Heraklios arbeitete, sich dann aber dem monastischen Leben zuwandte und zu einem Verfechter der byzantinischen Orthodoxie wurde. Sein Kampf gegen Monotheleten und Monophysiten führte ihn nach langen Auseinandersetzungen in die Verbannung. Freilich war er weit mehr als nur ein Verteidiger der Orthodoxie. Das zeigen seine »Fragen an Thalassios«.12 In der Einleitung zum 1. Teilband schildert Jean-Claude Larchet, der sich durch mehrere Untersuchungen als Kenner der Werke des Maximus Confessor erwiesen hat, die Entstehungsumstände des um 630/4 geschriebenen Textes, als sich Maximus auf der Flucht vor den Persern in einem Kloster nahe Karthago aufhielt. Maximus begegnete dort einem gewissen Mönch Thalassios, der ihm 65 Fragen zum Verständnis schwieriger Texte der Heiligen Schrift und der dogmatischen Lehrüberlieferung vorlegte. In seinen Antworten erweist sich Maximus als ein Denker in der Tradition der alexandrinischen Schule. Außerdem sind Einflüsse des Gregor von Nyssa und des Ps-Dionysius Areopagita erkennbar. Maximus zeigt sich als ein subtiler Kenner der allegorischen Auslegungsmethode. Durch sie gelingt es ihm, aus völlig unterschiedlichen thematischen Bausteinen eine Deutung der Heilsgeschichte, eine geistliche Anthropologie sowie eine spirituelle Wegführung zu entwerfen. Mit seinen Gedanken hatte Maximus auf die Theologie der byzantinischen Kirche, insbesondere auf Johannes von Damaskus, prägenden Einfluss. Von Johannes Scotus Eriugena wurden die »Fragen an Thalassios« im 9. Jh. ins Lateinische übersetzt und konnten dadurch auch in der westlichen Kirche rezipiert werden. Der Text der vorliegenden Ausgabe beruht auf der kritischen Edition von Carl Laga und Carlos Steel (CChr.SG). Bei den Sources Chrétiennes sind die »Fragen an Thalassios« auf drei Teilbände verteilt, von denen Band 1 (SC 529, 2010) und 2 (SC 554, 2012) bereits vorliegen. Mit dem dritten Teilband (mit den Fragen 56–65) ist die Edition abgeschlossen. Françoise Vinel (Strasbourg) hat den Text mit einer französischen Übersetzung versehen. Die Kommentierung stammt von Jean-Claude Larchet (Strasbourg).


II Lateinische Texte


Von Hieronymus († 420) sind in den Sources Chrétiennes bereits mehrere Schriften erschienen. Zu ihnen gehören biblische Kommentare zum Jonabuch (SC 323) und zum Matthäusevangelium (SC 242.259), eine Darstellung des altkirchlichen Mönchtums (SC 508) sowie die Apologie gegen Rufin (SC 303). Außerdem liegen zwei Predigtbände zum Markusevangelium (SC 494) und zum Thema »Bethlehem« (SC 593) vor. Diesen beiden Predigtbänden ist nun ein dritter Band mit »Zwölf Homilien zu verschiedenen Themen« zur Seite gestellt worden.13 Der lateinische Text beruht auf der kritischen Edition von Germain Morin in CChr.SL 78 (Turnhout 1958) und wurde mit geringfügigen Änderungen übernommen. Übersetzung, Kommentierung und Einführung stammen von Jean-Louis Gourdain, Klassischer Philologe am Centre Théologique Universitaire in Rouen. Die zwölf Homilien lassen sich in drei thematische Gruppen gliedern. Die erste Gruppe behandelt Texte aus den Evangelien: Über den Umgang mit Verführungen der Welt (Mt 18,7–9); Über Lazarus und den Reichen (Lk 16,19–31); Über das Wort und Johannes den Täufer (Joh 1,1–14). Die zweite Gruppe versammelt Predigten zum liturgischen Jahr und zu den christlichen Festen: Über die Geburt des Herrn; Über den Tag der Epiphanie und die Taufe Christi; Über die Buße derer, die sich auf die Taufe vorbereiten; Über die österliche Vigil; An die Neubekehrten; Über den Sonntag von Ostern. Die dritte Gruppe enthält Homilien zum monastischen Leben und zum christlichen Leben: Über den Gehorsam der Mönche; Über die Verfolgung der Christen in der Welt. Hieronymus hat diese Predigten vermutlich in der Geburtskirche von Bethlehem gehalten, wo er als Vorsteher des von ihm begründeten Klosters wirkte. Die Datierung ist schwierig, aufgrund innerer Kriterien aber vermutet der Herausgeber das beginnende 5. Jh. als Entstehungszeit. Adressaten der Predigten sind in erster Linie die Mönche, mit denen Hieronymus in könobitischer Gemeinschaft stand. Ihnen, die sich für eine verbindliche Form christlicher Existenz entschieden haben, stellt er die Herausforderungen und Verheißungen der monastischen Lebensweise vor Augen und ap­pelliert zugleich an die nichtmonastischen Hörer, die für das Klos-ter gewonnen werden sollen. In den Predigten heben sich mehrere Querschnittsthemen heraus. Zum einen richtet Hieronymus den Blick auf die ewige Jungfräulichkeit Marias, die er als ein Vorbild für das christliche Leben im Allgemeinen und das klösterliche Le­ben im Besonderen deutet. Zum anderen erinnert er an die Bedeutung der Taufe, weil sich in ihr die Überwindung des Todes und der Beginn eines neuen Lebens – wie beim Eintritt ins Kloster – zeige. Drittens ermahnt er seine Hörer, den orthodoxen trinitarischen Glauben zu bewahren und den Häresien, in welcher Gestalt auch immer sie begegnen, zu widerstehen. Schließlich erinnert er an die rechte Weise, die Heilige Schrift zu lesen, und fordert dazu auf, die biblischen Texte zunächst auf den buchstäblichen und erst danach auf den geistlichen Sinn hin auszulegen. Register zu den herangezogenen Stellen im Alten und Neuen Testament runden diese Edition ab.

Die zweite Edition zeigt Hieronymus als Interpreten der Bibel. Zu seinem umfangreichen philologisch-exegetischen Werk, das in der Bethlehemer Zeit entstanden ist, gehören neben der Übersetzung der Bibel und den Kommentaren auch die »Vorreden«, also kurze Texte, mit denen er die biblischen Schriften eingeleitet hat. Mit seinen Vorreden führte Hieronymus in die Geschichte der Bibelausgaben eine literarische Gattung ein, die zum Vorbild für viele Ausleger werden und bis in die Neuzeit nicht an Relevanz verlieren sollte. Die vorzustellende Edition versammelt alle Vorreden, die Hieronymus geschrieben hat, überwiegend zu den alttestamentlichen Schriften, aber auch zu den Evangelien.14 Der lateinische Text beruht auf der Biblia Sacra iuxta Latinam Vulgatam der Abbaye des Moines de Saint-Jérôme (Rom 1927/87) und der von R. Weber, J. Gribomont et alii herausgegebenen Ausgabe der Vulgata (Stuttgart 5. Aufl. 2007). Die Edition in den Sources Chrétiennes ist ein Gemeinschaftswerk. Aline Canellis, Latinistin und Literaturwissenschaftlerin an der Universität Jean Monnet in Saint-Etienne, weist in ihrem Vorwort darauf hin, dass die Textarbeit, die Kommentierung und die Übersetzung von den Mitgliedern eines Forschungsseminars, dessen Anfänge in das Jahr 1991 zurückreichen, als Yves-Marie Duval am Institut Catholique de Paris eine Forschergruppe zu Hieronymus begründete, gemeinsam durchgeführt wurden. Die Einführung ist aber wohl überwiegend auf Aline Canellis, die in mehreren Veröffentlichungen ihre gediegene Kennerschaft des hieronymianischen Werks gezeigt hat, zurückzuführen. Zu den Voraussetzungen, unter denen Hieronymus seine Übersetzungsarbeit begann, gehört die Beobachtung, dass die Septuaginta und die Textfassungen der Vetus Latina erhebliche Unterschiede aufwiesen, was sein Bestreben weckte, den ursprünglichen hebräischen Text durch Übersetzung für die christlichen Gemeinden neu zu erschließen. Canellis beschreibt den langwierigen Prozess der Übersetzung der hebräischen Bibel und die dabei aufgetretenen methodischen und philologischen Fragen, die Hieronymus in Briefen mit seinen Gesprächspartnern erörtert hat. Indem er den biblischen Schriften Vorreden voranstellte, öffnete er den Blick nach außen und wandte sich direkt an die Gemeindeglieder. Dabei hatte er durchaus konkrete Personen vor Augen, denen die Vorreden zugeeignet werden, darüber hinaus aber war es sein Anliegen, möglichst vielen Christen seine exegetischen, theologischen und geistlichen Überlegungen zu vermitteln.

Von Sulpicius Severus († 420/5), dem aquitanischen Geschichtsschreiber, stammt die früheste und zugleich bekannteste Vita des Martin von Tours, die in den Sources Chrétiennes vor längerer Zeit vorgelegt wurde (SChr 133–135, 1967/1969; vgl. ThLZ 94 [1969], 918–920). Nun folgt ein Werk, das ebenfalls das Leben des großen Mönchsvaters zum Gegenstand hat, dies aber auf eine ganz andere Weise beschreibt. Dabei handelt es sich nicht um eine geschichtliche Darstellung, sondern um eine große, mehr als 3600 Hexameter um­fassende Dichtung, die Paulinus von Périgueux geschrieben hat, ein in der zweiten Hälfte des 5. Jh.s lebender gallischer Dichter, über den freilich kaum mehr bekannt ist, als sich aus seinem Werk erheben lässt.15 Möglicherweise ist Paulinus ein in der antiken Lyrik gebildeter Geistlicher, vielleicht sogar ein Bischof, der in seinem dichte-rischen, metrisch geformten Werk nach dem Vorbild von Vergils Aeneis das Leben des Martin von Tours zur Darstellung bringt. Aufgrund innerer Indizien lässt sich die Entstehung des Werkes auf die Jahre 460/70 datieren. Inhaltlich bezieht sich Paulinus auf die geschichtlichen Daten und biographischen Informationen, die er der Vita des Sulpicius entnimmt. Aus ihnen formt er ein lyrisches Werk, das den Soldaten, Mönch, Bischof und Wundertäter als Vorbild und Heiligen besingt. Den Anfang bildet ein Prolog, der sich an Bischof Perpetuus von Tours, den Auftraggeber des Werkes, richtet. In den darauf folgenden sechs Gesängen beschreibt Paulinus das Leben des Martin von Tours als das eines Heiligen, der von Christus zur Vollendung des apostolischen Werkes ausgesandt wurde. Martin wendet sich vom weltlichen Leben ab und zieht sich in die Einsamkeit zurück, er ringt mit dem Teufel und bekämpft die Irrlehrer, er predigt zu den Menschen und unterrichtet sie im Glauben. Er ist vollmächtig im Gebet und vollbringt zahlreiche Wunder. Was immer er tut, er wird von der Gnade Gottes begleitet. Die vorliegende Edition enthält von diesem großen Gedicht die ersten drei Bücher, die auch als Gesänge bezeichnet werden. Die Herausgeberin ist Sylvie Labarre, Latinistin an der Universität von Le Mans, die in den vergangenen Jahren zahlreiche Veröffentlichungen zu Martin von Tours und zur hagiographischen Lyrik vorgelegt hat. In ihrer Einführung beschreibt sie den Entstehungskontext der Dichtung, der von den politischen, kulturellen, institutionellen und sozialen Umbrüchen der Völkerwanderung geprägt ist. In einer Zeit tiefgreifender Veränderungen, in der die katholische Kirche als Hüterin der antiken Tradition und des katholischen Glaubens gefordert war, bedeutete die Dichtung des Paulinus eine Selbstvergewisserung über die Grundlagen der eigenen Geschichte. Sylvie Labarre analysiert in ihrer Einführung den hagiographischen Charakter des vorliegenden Werkes und das ihm zugrundeliegende poetische Programm, das auf die Vergegenwärtigung des Heiligen im Leben derer zielt, die diese Dichtung lesen oder hören. Als Sitz im Leben nimmt Labarre die Festtage an, an denen in Tours die Erinnerung an den Heiligen Martin mit Gottesdiensten und anderen Feiern begangen wurden. Das Gedicht war bislang nur in einer Ausgabe des späten 19. Jh.s zugänglich. Mit der Edition legt die Herausgeberin auf der Grundlage von acht Manuskripten nun eine kritische Textausgabe vor und hat dazu auch die Übersetzung verfasst. Register zu Bibelzitaten, antiken Autoren sowie zu Orts- und Personennamen runden die Ausgabe ab.

Abschließend ist die Edition einer frühmittelalterlichen Schrift anzuzeigen. Von Jonas von Orléans († 843) stammt der Traktat »De institutione laicali«. Jonas war Bischof von Orléans und verfasste die Schrift Anfang des 9. Jh.s, um Graf Matfried von Orléans, dessen Herrschaftsgebiet auch das Bistum einschloss, in christlicher Le­bensführung zu unterweisen.16 In seiner Schrift knüpft Jonas an frühere Schriften an, in denen er ebenfalls Themen von Ethik und Moral behandelt hatte (SC 407). Bei der hier vorzustellenden Schrift, die nunmehr vollständig in zwei Teilbänden (SChr 549/550) vorliegt, handelt es sich jedoch um einen der ersten frühmittelalterlichen Traktate, der sich ausschließlich an Nichtkleriker richtet und damit ein frühes Beispiel für die Gattung der Fürstenspiegel (specula-principum) darstellt. Die bislang zugängliche Textfassung dieses Traktates stammt aus dem frühen 18. Jh. und wurde ohne Änderungen von J.-P. Migne (PL 106) nachgedruckt. Eine kritische Textfassung wurde erstmals von Odile Dubreucq vorgelegt, die mit der Edition und der Kommentierung von »De institutione Laicali« an der Sorbonne 2007 promoviert wurde. Wie sie in der Einleitung, die sie dem 2012 veröffentlichten ersten Teilband (SC 549) vorangestellt hat, ausführt, unterscheidet sie bei der Edition unter Aufnahme der derzeit bekannten neun Manuskripte zwei Textfassungen, die auf unterschiedliche Phasen der Niederschrift zurückgeführt werden können. Der Edition liegt die Letztfassung zugrunde, deren Vorgeschichte in den Anmerkungen nachgezeichnet wird. Inhaltlich geht es dem bischöflichen Autor darum, seinen gräflichen Adressaten stellvertretend für alle aus dem Laienstand kommenden Leser darüber zu unterrichten, wie ein christliches Leben in der Welt geführt werden soll. Der Traktat gliedert sich in drei Bücher, von denen das mittlere das Leben der Laien ins Zentrum stellt. Jonas ermahnt sie zu einem Leben aus dem Gebet, das in der Taufe begründet ist. Die Eltern werden aufgefordert, ihre Kinder nach christlichen Grundsätzen zu erziehen. Die weltliche Obrigkeit wird ermahnt, im Geiste der Liebe Christi zu dienen statt zu herrschen und gegenüber allen Menschen Gerechtigkeit zu praktizieren. Umrahmt wird der Abschnitt von zwei Kapiteln, in denen Jonas die Stellung des Menschen in der Heilsgeschichte beschreibt, zur Nachfolge Christi auffordert und den Blick auf die Vollendung im ewigen Leben richtet. Auffällig ist, dass der Bischof von Orléans den Laien eine den Priestern und Mönchen durchaus vergleichbare Würde zuerkennt.

Jonas begründet seine durchaus ungewöhnlichen Gedanken mit zahlreichen Verweisen auf Bibel und Vätertradition, die durch die Herausgeberin in den Anmerkungen und beigefügten Regis-tern erschlossen werden. Der Traktat ist damit ein wichtiges Zeugnis dafür, dass die Renaissance der Laien, die im Hochmittelalter zur Blüte gelangt, bereits in der spätkarolingischen Zeit Ge­stalt ge­winnt.

Fussnoten:

1) Athanase d’Alexandrie: Lettre sur les synodes. Texte critique par H. G. Opitz (Athanasius Werke II,1). Synodale d’Ancyre. Basile d’Ancyre: »Traité sur la foi«. Introduction, texte, traduction, notes et index par A. Martin et X. Morales. Paris: Les Éditions du Cerf 2013. 409 S. = Sources Chrétiennes, 563. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-2-204-10135-6.
2) Grégoire de Nysse: Lettre canonique, Lettre sur la Pythonisse et six homélies pastorales. Text grec (GNO). Introduction, traduction et notes par P. Maraval. Paris: Les Éditions du Cerf 2017. 290 S. = Sources Chrétiennes, 588. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-2-204-12206-1.
3) Évagre le Pontique: À Euloge. Les vices opposés aux vertus. Introduction, texte critique, traduction et notes par Ch.-A. Fogielman. Paris: Les Éditions du Cerf 2017. 534 S. = Sources Chrétiennes, 591. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-2-204-12617-5.
4) Jean Chrysostome: Homélies sur l’impuissance du diable. Introduction, texte critique, traduction et notes par A. Peleanu. Paris: Les Éditions du Cerf 2013. 227 S. = Sources Chrétiennes, 560. Kart. EUR 22,00. ISBN 978-2-204-10169-1.
5) Jean Chrysostome: Homélies sur la Resurrection, l’Ascension et la Pentecôte. Tome 1: Introduction, texte critique, traduction, notes et index par N. Rambault. Paris: Les Éditions du Cerf 2013. 322 S. = Sources Chrétiennes, 561. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-2-204-10191-2.
6) Cyrille d’Alexandrie: Contre Julien. Tome II (Livres III–V). Introduction et annotation par M.-O. Boulnois. Texte grec par Ch. Riedweg (GCS NF 20). Traduction par J. Bouffartigue, M.-O. Boulnois et P. Castan. Paris: Les Éditions du Cerf 2016. 663 S. = Sources Chrétiennes, 582. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-2-204-11754-8.
7) Euthèrios de Tyane: Protestation – Lettres. Texte par M. Tetz (PTS). Introduction et traduction par J. Paramelle, L. Neyrand. Paris: Les Éditions du Cerf 2014. 403 S. = Sources Chrétiennes, 557. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-2-204-10214-8.
8) Théodoret de Cyr: La Trinité et l’Incarnation (De theologia sanctae Trinitatis et de oeconomia). Tome 1 et 2. Texte critique, introduction, traduction, notes et annexes par J.-N. Guinot. Paris: Les Éditions du Cerf 2015. Tome 1: La trinité sainte et vivifiante. 403 S. = Sources Chrétiennes, 574. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-2-204-10347-3; Tome 2: L’incarnation du seigneur. 447 S. = Sources Chré-tiennes, 575. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-2-204-10534-7.
9) Isidore de Péluse: Lettres. Tome III: Lettres 1701–2000. Texte critique, traduction et notes par P. Évieux et N. Vinel. Paris: Les Éditions du Cerf 2017. 488 S. = Sources Chrétiennes, 586. Kart. EUR 50,00. ISBN 978-2-204-12329-7.
10) Philostorge: Histoire ecclésiastique. Texte critique par J. Bidez. Traduction par É. des Places. Introduction, révision de la traduction, notes et index par B. Bleckmann, D. Meyer et J.-M. Prieur. Paris: Les Éditions du Cerf 2014. 621 S. = Sources Chrétiennes, 564. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-2-204-10189-9.
11) Évagre le Scholastique: Histoire ecclésiastique. Livres IV–VI. Introduction, texte grec, annotation et traduction par L. Parmentier, G. Sabbah, L. de la Beaumelle et A.-J. Festugière. Paris: Les Éditions du Cerf 2014. 424 S. = Sources Chrétiennes, 566. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-2-204-10246-9.
12) Maxime le Confesseur: Questions à Thalassios. Tome 3 (Questions 56 à 65). Traduction et notes par F. Vinel et J.-C. Larchet. Paris: Les Éditions du Cerf 2015. 337 S. = Sources Chrétiennes, 569. EUR 42,00. ISBN 978-2-204-10765-5.
13) Jérôme: Douze Homélies sur des sujets divers. Texte par G. Morin (CChr.SL 78). Introduction, traduction et notes par J.-L. Gourdain. Paris: Les Éditions du Cerf 2018. 234 S. = Sources Chrétiennes, 593. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-2-204-12479-9.
14) Jérôme: Préfaces aux livres de la Bible. Texte latins par R. Weber et R. Gryson. Introduction, traduction et notes par A. Canellis. Avec la collaboration de B. Gain, H.-L. Gourdain, M. Cozic. Paris: Les Éditions du Cerf 2017. 530 S. = Sources Chrétiennes, 592. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-2-204-12618-2.
15) Paulin de Périgueux: Vie de Saint Martin. Tome I: Prologue – Livres I–III. Introduction, édition critique, traduction et notes par S. Labarre. Paris: Les Éditions du Cerf 2016. 403 S. = Sources Chrétiennes, 581. Kart. EUR 47,00. ISBN 978-2-204-10653-5.
16) Jonas d’Orléans: Instruction des laïcs. Tome II (Livres II, 17–III). Texte, traduction, notes et index par O. Dubreucq. Paris: Les Éditions du Cerf 2013. 424 S. = Sources Chrétiennes, 550. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-2-204-10163-9.