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Ausgabe:

September/2019

Spalte:

931–933

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Schuster, Dirk

Titel/Untertitel:

Die Lehre vom »arischen« Christentum. Das wissenschaftliche Selbstverständnis im Eisenacher »Entjudungsinstitut«.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2017. 327 S. = Kirche – Konfession – Religion, 70. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-8471-0716-3.

Rezensent:

Oliver Arnhold

Am 6. Mai 2019 jährte sich mit dem Festakt zur Eröffnung des »Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben« auf der Wartburg zum achtzigsten Male eines der dunkelsten Kapitel evangelischer Kirchengeschichte. Die besondere Bedeutung dieses Instituts, das auf der Grundlage einer Entschließung von elf evangelischen Landeskirchen in Eisenach gegründet wurde, liegt darin, dass hier mit unbeirrbarer Zielstrebigkeit auf der Basis eines Konsenses führender Vertreter in Theologie und Kirche der Versuch unternommen wurde, die Kirche und Theologie zu »entjuden«, um sie der Ideologie des Nationalsozialismus anzupassen, während gleichzeitig die deutschen und europäischen Juden zunächst ausgegrenzt und verfolgt, dann in den Vernichtungslagern ermordet wurden. Das wissenschaftliche Selbstverständnis dieses kirchlichen Instituts sowie die Rekonstruktion der bei dieser »Entjudung« von Kirche und Theologie angewandten Methoden, Argumente und Praktiken ist Ge­ genstand der 2017 erschienenen Monographie: »Die Lehre vom ›arischen‹ Christentum« von Dirk Schuster, die eine überarbeitete Version seiner im Herbst 2015 an der FU Berlin eingereichten Dissertation darstellt. S. ist akademischer Mitarbeiter am Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft an der Universität Potsdam.
Nachdem im ersten einleitenden Kapitel der Forschungsgegenstand, theoretische Vorüberlegungen, der Aufbau der Arbeit vorgestellt und Begriffsklärungen vorgenommen werden, bietet das zweite Kapitel eine Beschreibung des bisherigen Forschungsstandes zur Religionswissenschaft in Deutschland mit einem besonderen Fokus auf die Zeit des Nationalsozialismus. Daraufhin erfolgt im dritten Kapitel eine zusammenfassende Darstellung der Ge­schichte und der Ideologie der Thüringer »Kirchenbewegung Deutsche Christen«, die die Gründung des Eisenacher Instituts maßgeblich initiierte, bevor Strukturen und Arbeitsfelder des In­stituts näher beschrieben werden. Leider bietet dieses dritte Kapitel nur wenig neue Erkenntnisse, da S. hier zum größten Teil lediglich auf bislang bereits gewonnene Forschungsergebnisse zurückgreift.
Dies ändert sich allerdings in den folgenden Abschnitten: Nachdem im vierten Kapitel eine sinnvolle Einordnung des kirchlichen »Entjudungsinstituts« in den Kontext der »NS-Judenforschung« mit seinen fünf weiteren antisemitischen Forschungseinrichtungen erfolgt, enthält das fünfte Kapitel, der Hauptteil der Monographie, wichtige neue Forschungserkenntnisse. Nach einer Begriffsbestimmung und Unterscheidung zwischen theologischer, völkischer und theologisch-völkischer Religionswissenschaft, um die Methodik der wissenschaftlichen Forschungsarbeiten im Eise-nacher Institut besser verstehen zu können, erfolgt eine differenzierte Untersuchung der religionswissenschaftlichen Arbeiten von sieben Institutsmitarbeitern. Dazu zieht S. die Arbeiten von Johannes Leipoldt, Walter Grundmann, Rudolf Meyer, Siegfried Morenz, Gerhard Delling, Carl Schneider und Hans Heinrich Schaeder heran und analysiert deren wissenschaftliche Vorgehensweise in den unterschiedlichen Disziplinen. Die Auswahl der Mitarbeiter er­folgt dabei nach folgenden drei Kriterien: Neben der Tätigkeit im »Entjudungsinstitut« ist die Beschäftigung mit der religionshistorischen Forschung vor und nach 1945 ebenso ausschlaggebend wie der Bezug zur zweitältesten Universität Deutschlands, der Alma Mater in Leipzig.
Nachdem die Grundlagenforschung zur Geschichte des Eise-nacher Instituts, die erst spät in den 90er Jahren begann, inzwischen weitestgehend abgeschlossen ist, steht die inhaltliche Auswertung der vielfältigen Veröffentlichungen und Projekte des Instituts zum Teil noch aus. In diese Lücke stößt S. mit dem Hauptteil seiner Monographie, indem er einzelne Forschungsarbeiten der genannten Institutsmitarbeiter differenziert nachzeichnet und da­bei verdeutlicht, wie bei der »Entjudungsarbeit« vorgegangen wurde. Insbesondere die führende Rolle des seit 1916 den Lehrstuhl für Neues Testament in Leipzig bekleidenden Leipoldt wird dabei deutlich. Dieser trat nicht nur als engagierter Institutsmitarbeiter durch Vorträge und Publikationen in Erscheinung und verhalf damit, die Ideologie des Instituts zu verbreiten, sondern mit seiner seit 1923 »erstmals erhobenen These der ›unjüdischen Art‹ Jesu« (166) hatte er offenbar auch maßgeblichen Einfluss auf seine Schüler Grundmann, Meyer, Morenz, Delling und Schneider. Mit der Bedeutung Leipoldts für das Institut begründet S. auch die Fokussierung auf die Leipziger Fakultät, wobei die Leipoldt zugeschriebene »Netzwerkfunktion« (20) wohl eher Grundmann zukam.
Überzeugend beschreibt S., wie das »Eisenacher Institut mit seinen umfangreichen Aktivitäten wie Arbeitskreistreffen, Jahrestreffen, internationalen Konferenzen sowie einer Vielzahl von Publikationen« (251) gerade für jüngere und ambitionierte Wissenschaftler zu einem Sprungbrett wurde, um unter den im Nationalsozialismus vorherrschenden ideologischen Bedingungen den eigenen wissenschaftlichen Karrieresprung zu beschleunigen. Anhand der wissenschaftlichen Arbeiten vor und während der Institutszeit zeichnet S. plausibel nach, wie die Mitarbeiter im Eisenacher Institut versuchten, ein »angebliche[s], durch die Rasseforschung bestätigte[s] Bild über ›den Juden‹ der Gegenwart […] mithilfe von selektiv ausgewählten Quellenbelegen oder bloßen Behauptungen über die Handlungs- und Denkeigenschaften ›des Juden‹« »auf die An-tike« (247) zu projizieren, um damit das Christentum aus seinem jüdischen Kontext herauszulösen und es damit kompatibel mit der nationalsozialistischen Ideologie zu machen.
Eine weitere besondere Stärke der Arbeit S.s liegt darin, dass seine Untersuchung nicht mit dem Jahr 1945 endet, sondern dass im sechsten Kapitel auch Kontinuitäten und Brüche in der Biographie und den Forschungen der genannten Wissenschaftler für die Zeit nach 1945 aufgezeigt werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle während der Nazizeit erfolgte bei den we­nigsten Institutsmitarbeitern; bei den von S. untersuchten scheint einzig bei Delling im Blick auf das Judentum ein Umdenken stattgefunden zu haben. Der wissenschaftlichen Karriere in der Nachkriegszeit indes tat die Tätigkeit im »Entjudungsinstitut« allerdings nur wenig Abbruch, so dass antijüdische Denkmuster auch in den Schriften nach Kriegsende weiter tradiert wurden, wie S. am Beispiel von Grundmann, Leipoldt und Schneider verdeutlichen kann. Zudem gelingt es S., mit Mythen aufzuräumen, die von den Institutsmitarbeitern nach 1945 selbst kolportiert wurden, beispielsweise dem, dass Rudolf Meyer »aus politischen Gründen eine universitäre Karriere verweigert worden wäre« (272).
Ein weiterer Mythos, der die eigene Entnazifizierung der Mitarbeiter im »Entjudungsinstitut« nach 1945 vorantreiben sollte, war die Behauptung, dass die Institutsarbeit die einzige Möglichkeit gewesen sei, überhaupt ein Überleben der Kirche während der Zeit des Nationalsozialismus zu sichern. So stilisierte sich beispiels-weise Grundmann nach 1945 zum Widerstandskämpfer gegen einen antichristlichen NS-Staat und versuchte damit seine vermeintliche moralische Integrität zu wahren. Eine solche Selbstrechtfertigung stellt S. mit dem Argument in Frage, dass der Einfluss kirchenfeindlicher Kräfte im polykratischen NS-System überschätzt werde (75). Damit schießt er allerdings über das Ziel hinaus, da ein Einfluss kirchenkritischer NS-Größen wie Bormann, Rosenberg, Himmler, Heydrich oder Goebbels kaum in Abrede gestellt werden kann. Das Quellenmaterial aus der Institutszeit verdeutlicht zudem sowohl die Enttäuschung der Institutsmitarbeiter über die fehlende Anerkennung der kirchlichen »Entjudungsanstrengungen« durch staatliche Stellen als auch deren Bemühungen um Entkräftung des Vorwurfs, Christentum sei nichts anderes als Judentum für Nichtjuden. Eine solche »Verteidigungshaltung« gegenüber kirchenfeindlichen Kräften schloss eben gerade eine aktive Beteiligung »an der Gestaltung des ›judenfreien‹ ›Dritten Reichs‹« (74) nicht aus, sondern trug vielmehr zu einer Verstärkung ebenjener »Entjudungsanstrengungen« bei.