Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2019

Spalte:

925–927

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Beutel, Albrecht

Titel/Untertitel:

Erich Klapproth – Kämpfer an den Fronten. Das kurze Leben eines Hoffnungsträgers der Bekennenden Kirche.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XIV, 317 S. Kart. EUR 19,00. ISBN 978-3-16-157028-5.

Rezensent:

Thomas Martin Schneider

Auf jüdischen Friedhöfen findet man Grabsteine in Gestalt eines Baumstamms mit abgebrochener Krone. Sie erinnern an Menschen, die in oder noch vor der Blüte ihres Lebens eines oft unnatürlichen Todes starben und deshalb ihre Begabungen nicht mehr entfalten konnten. Einen solchen Grabstein hätte, obgleich Christ, sicher auch Erich Klapproth verdient, wenn es denn sein Grab gäbe. Im Sommer 1943 wurde der erst dreißig Jahre alte Pfarrer der Bekennenden Kirche als Soldat an der Ostfront in dem von Nazi-Deutschland verursachten sinnlosen Krieg durch einen Granatvolltreffer jäh aus dem Leben gerissen; seine sterblichen Überreste konnten offenbar nie geborgen, geschweige denn feierlich bestattet werden. Bereits wenige Jahre nach Klapproths Tod plante der damalige Bundestagspräsident Hermann Ehlers, der mit Klapp- roth befreundet gewesen war, eine Biographie seines Freundes. Aber auch Ehlers starb früh und plötzlich, und so konnte der Plan nicht mehr verwirklicht werden. Es ist ein Glücksfall, dass der Münsteraner Kirchenhistoriker Albrecht Beutel bei den Recherchen zu seiner großen Gerhard Ebeling-Biographie (Tübingen 2012) auf den umfangreichen Nachlass von dessen Klassenkameraden und lebenslangen engen Freund Klapproth im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin stieß, den er zusammen mit weiterem Archivmaterial sowie zahlreichen, teilweise an entlegenem Ort erschienenen Publikationen für den hier zu besprechenden Band auswertete.
Mehr als sechseinhalb Jahrzehnte nach Ehlers’ und mehr als siebeneinhalb Jahrzehnte nach Klapproths Tod wird also nun doch noch mit einer eigenen Publikation an jenen jungen Theologen erinnert, der schon längst vergessen schien. Dass Klapproth auch schriftstellerisch sehr begabt war und gehaltvolle christliche Jugendprosa und geistliche Lyrik verfasste, wie B. eindrücklich zeigen kann – das Buch enthält einen umfangreichen Dokumentenanhang (251–296) –, wird das Interesse B.s, der auch Germanistik studierte, zusätzlich geweckt haben. In elegantem Sprachstil geschrieben, liest sich die Biographie, obgleich es sich selbstverständlich um eine gründlich recherchierte wissenschaftliche Studie handelt, über weite Strecken wie ein Roman. Mit großem Gespür auch für kleine alltägliche Details, die für sich betrachtet manchmal zunächst ganz banal erscheinen mögen, in der Summe aber ein facettenreiches Mosaik ergeben, beschreibt B. sachlich-nüchtern in chronologischer Ordnung die Lebensstationen Klapp-roths, die Entwicklung seines theologischen Denkens und seiner Frömmigkeit, seine politische Haltung und die verschiedenen Mi­lieus, in denen er sich bewegte.
Die Lebensstationen Klapproths, den sein Vikarsmentor Günther Harder »geradezu de[n] Inbegriff des jungen Pastors der Bekennenden Kirche« genannt hat (zit. n. 250), sind schnell aufgezählt: Der zwei Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs geborene Klapproth wuchs zusammen mit seinem älteren, geistig und körperlich behinderten Bruder in eher kleinbürgerlichen Verhältnissen in Berlin-Steglitz auf. Allerdings hatte es der Vater im Krieg bis zum Major gebracht. Während die Mutter schon 1930 NSDAP-Mitglied wurde, hielt der Vater sich aus der Politik heraus und war stärker kirchlich orientiert. Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums studierte Klapproth wie sein Freund Ebeling Theologie, anders als dieser jedoch nicht auswärts, sondern aus finanziellen Gründen in Berlin. Als Schüler war er religiös stark durch einen von Ehlers geleiteten Bibelkreis geprägt worden. Von seinen akademischen Lehrern beeindruckte ihn vor allem der mit den Nationalsozialisten sympathisierende Erich Seeberg, während er eine Vorlesung bei dem jungen Privatdozenten Dietrich Bonhoeffer abbrach. Der Freund Ebeling ermöglichte Klapproth im Sommer 1933 ein Auslandssemester in Zürich, wo er Emil Brunner hörte. Zurück in Berlin schloss er sich u. a. wegen der Eingliederung der Evangelischen Jugendverbände in die Hitler-Jugend der Bekennenden Kirche an und legte 1935 vor der bekenntniskirchlichen Prüfungskommission erfolgreich das erste kirchliche Examen ab. Nach dem Vikariat in Berlin-Wilmersdorf und dem ihn nachhaltig prägenden Besuch des von Bonhoeffer geleiteten Predigerseminars in Finkenwalde war er Prädikant in Alt- und Neuruppin und Studieninspektor am Katechetischen Seminar der Bekennenden Kirche im Haus der Goßner-Mission in Berlin-Friedenau. Entgegen seinem Wunsch, ein Gemeindepfarramt zu versehen, wurde er nach dem zweiten Examen und der Ordination wegen seiner herausragenden Begabungen von der Leitung der Bekennenden Kirche zum Vertrauensmann der Bekennenden Kirche von Berlin und Brandenburg berufen. Als solcher betreute er seelsorgerisch und theologisch die »jungen [Amts-]Brüder« mit Hilfe eines Motorrades und eines vervielfältigten regelmäßigen Rundbriefes. Dabei arbeitete er eng mit etlichen namhaften Vertretern der Bekennenden Kirche zusammen. Neben den schon erwähnten Personen waren dies u. a. Martin Albertz, Kurt Scharf, Martin Niemöller, Hans Asmussen, Helmut Gollwitzer, Gerhard Jacobi, Claus Westermann, Otto Dibelius sowie die Mutter Albrecht Schönherrs. Auf der Trauerfeier für den im KZ ermordeten Paul Schneider im Hunsrück-Dorf Dickenschied sprach Klapproth im Sommer 1939 ein Votum. Zeit seines Lebens engagierte er sich stark in der kirchlichen Jugendarbeit, in deren Dienst er auch sein schriftstellerisches Talent stellte. Wegen s einer bekenntniskirchlichen Aktivitäten, die auch zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Mutter führten, wurde er mehrfach verhaftet. Im lutherischen Glauben verwurzelt, nahm er regen Anteil an den theologischen Debatten seiner Zeit, etwa um das Entmythologisierungsprogramm Rudolf Bultmanns. Im Februar 1940 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, den er als einfacher Soldat zunächst im Westen, dann im Osten an vorderster Front ableisten musste, unterbrochen u. a. durch einen längeren Lazarettaufenthalt wegen einer Rheumaerkrankung. Den Trauergottesdienst für Klapproth hielt sein Freund Ebeling, der auch für sich eine Büste von ihm anfertigen ließ.
Das Besondere des Buches ist, dass der Leserschaft das ganzheitliche Persönlichkeitsbild einer christlich-theologischen Existenz sehr plastisch vor Augen geführt wird. Wo sonst erfährt man schon mal, wie es bei einem (angehenden) Theologen genau um die Wohnverhältnisse, die Einkünfte, die Ernährung, die Körperpflege, das Wäschewaschen, die Freizeitgestaltung, die kleinen und größeren Krankheiten, die private Korrespondenz, die familiären Konflikte, die Freundschaften und Vorlieben etc. bestellt war? Das Buch hat keinerlei hagiographische Züge. Ungeschminkt werden aus heutiger Sicht problematische und mitunter sogar peinliche As­pekte und Inkonsequenzen von Klapproths Vita und seinem Denken dargestellt, etwa seine Rechthaberei und eine gewisse Überheblichkeit im Verhältnis zu seiner ihm intellektuell offenbar un­terlegenen Mutter oder antijüdische Ressentiments trotz seiner deutlich artikulierten Empörung über die Judenverfolgung. Es entsteht das Bild eines simul iustus et peccator, eines – überzeugten und überzeugenden – Christenmenschen eben, eines nicht unproblematischen historischen Vorbildes, das zu denken gibt.