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Ausgabe:

September/2019

Spalte:

922–923

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Witkamp, Nathan

Titel/Untertitel:

Tradition and Innovation. Baptismal Rite and Mystagogy in Theodore of Mopsuestia and Narsai of Nisibis.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2018. XVI, 417 S. = Vigiliae Christianae. Supplements, 149. Geb. EUR 138,00. ISBN 978-90-04-37785-1.

Rezensent:

Simon Gerber

Theodor von Mopsuestia, bedeutender Exeget und Dogmatiker der Antiochenischen Schule, unter Kaiser Justinian postum als Vordenker des Nestorianismus verdammt, für die ostsyrische (nestorianische) Kirche hingegen der maßgebliche Ausleger der Schrift, hielt um 390 seine nur in syrischer Version erhaltenen katechetischen Homilien an die Taufkandidaten; Homilie 12–14 beschreiben und deuten die Rituale rund um die Taufe. Letzteres tun auch zwei Ho­milien (gezählt als Nr. 21 und 22) des etwa zwei Generationen jüngeren syrischen Dichter-Theologen Narsai (oder Narses), des langjährigen Leiters der Schulen von Edessa und Nisibis und großen Verehrers Theodors. Nathan Witkamp (Evangelisch-Theologische Fakultät Löwen) möchte in seiner Dissertation über Theodor und Narsai als Mystagogen der Taufe zeigen, dass Narsai dabei kein bloßer Epigone Theodors war, vielmehr mit eigenständigen Ge­danken einen Ritus auslegt, der ebenfalls weder eine Paraphrase dessen ist, was Narsai bei Theodor lesen konnte, noch eine literarische Fiktion des Dichters, sondern eben ein eigener Ritus syrischen Typs, der in Narsais Gemeinde tatsächlich in Gebrauch war.
Nach einer Einführung zu Theodor und Narsai (1–33) gliedert sich die Arbeit in drei Hauptteile. Teil 1 klärt Begriffe wie Ritus (die Gesamthandlung), Ritual (ein einzelnes Element des Ritus), Initiation (die Katechisation, Taufvorbereitung und Taufritus umfassende Gesamtheit) und Mysterium (syrisch râzâ, das ist bei Theodor und Narsai ein Zeichen oder eine Zeichenhandlung, wodurch die Erfüllung einer Verheißung gewährt wird) und vergleicht den Gesamtritus bei Theodor und Narsai (35–95). Für beide beginnen die Mys-terien mit der Salbung, die der eigentlichen Taufe vorangeht (für Narsai sind Öl und Wasser die Mysterien des Taufritus), und so be­handelt Teil 2 (97–216) die Rituale vor den Mysterien (wie die Regis-trierung der Kandidaten, die Prüfung, den Exorzismus, die redditio symboli, die Apotaxis oder Abrenuntiation und die Syntaxis) und Teil 3 (217–372) die Mysterien (Salbung und Taufe), und zwar jeweils die Rituale selbst, soweit sie rekonstruierbar sind, und ihre Deutung durch Theodor und Narsai. Vor dem abschließenden Vergleich beider werden zur Kontextualisierung jeweils noch zahlreiche weitere Quellen aus dem Raum zwischen Byzanz, Ostsyrien und Jerusalem herangezogen, so die Katechesen Cyrills von Jerusalem und Johannes Chrysostomus’, syrische Autoren wie Afrahat und Efrem, apokryphe Apostelgeschichten wie die Thomas- und Johannesakten und Kirchenordnungen wie die Didaskalia, die Apostolischen Konstitutionen und das westsyrische testamentum Domini.
W. stellt fest, dass der von Narsai ausgelegte Ritus (bei Narsais dichterischer Freiheit sei nicht alles zweifelsfrei zu rekonstruieren) mehr altes, typisch ostsyrisches Gut bewahrt hat als der Ritus Theodors; besonders nahe steht er einem Ritus, den eine von W. »AR« genannte Quelle bezeugt, ein in zwei Manuskripten erhaltener anonymer syrischer Kommentar zu den Taufritualen. Typisch syrisch etwa sei die bei Narsai, aber nicht bei Theodor gegebene Stellung des Exorzismus zwischen Apotaxis und Syntaxis und das Fehlen einer Salbung oder Zeichnung des Neophyten nach der Taufe (wobei auch bei Theodor die Salbungen vor der Taufe – er kennt neben der Salbung der Stirn noch eine solche des ganzen Körpers – mehr Gewicht haben). An einigen Stellen werde deutlich, dass Narsai Theodors Homilien gekannt habe und von ihm angeregt oder beeinflusst sei, etwa bei der Inszenierung des Exorzismus als Prozess mit dem Satan und bei der Deutung der »Engel Satans« aus der Abrenuntiationsformel auf sieben Häretiker. Nichtsdestotrotz seien es relativ wenige Anleihen, die Narsai bei Theodor mache, und viele eigene Akzente, die er setze, etwa die Heranziehung des Gleichnisses vom verlorenen Sohn als Deutungsmuster für den Taufvorgang, die Theodor fremd sei; umgekehrt lasse Narsai Mo-tive beiseite, die Theodor stark mache, wie das Bürgerrecht in der himmlischen Stadt und die Adoption zu Kindern Gottes.
W.s Studie ist sehr detailliert (ausführlich wird dargelegt, in welcher Körperhaltung und mit welcher Gestik welches Ritual vollzogen wird, welcher Kleriker daran beteiligt ist und wo er dabei steht und was wer jeweils anhat oder auch nicht anhat) und – trotz gelegentlicher Redundanz und der Länge der in extenso wiedergegebenen Zitate – interessant und instruktiv. Das gilt besonders für die liturgiegeschichtliche Perspektive; die mystagogische Theologie Theodors und Narsais kommt ihr gegenüber etwas kürzer. Für Theodor hätten insbesondere die Pauluskommentare noch fruchtbringend herangezogen werden können; seine Tauflehre ist in eine Gesamtschau der Heilsgeschichte eingebettet, nach der Christus der Erstling sowohl der Taufe als auch der durch die Taufe mitgeteilten Auferstehung zur Unsterblichkeit ist und mit der auch die strenge Zwei-Naturen-Christologie zusammenhängt. Bei Narsai wird nicht ganz deutlich, inwiefern er die zahlreichen von ihm aus der syrischen Tradition rezipierten Einflüsse zu einer zu­sammenhängenden Anschauung verarbeitet hat. (Die Vorstellung vom »man as the ›bond of the universe‹« [201], das nämlich die geistige und die körperliche Welt in sich umfasst und verbindet, hat Narsai vielleicht von Theodor, vgl. z. B. dessen Disputatio cum Macedonianis 20. – Dass für Theodor die Sünde aus der Sterblichkeit und Veränderlichkeit herkommt [366.371], wird zwar so von ihm gesagt, aber es gibt bei ihm durchaus auch die umgekehrte Ableitung, z. B. Hom. cat. 1,5 f.; 12,8; 13,6. Erst im Spätwerk gegen die Erbsündenlehre hat Theodor die Sterblichkeit der Sünde ausdrücklich vorgeordnet, vgl. ACO I/5, 173–176.) – Beide Hauptquellen, Theodors wie Narsais Ho­milien, liegen einstweilen nicht in befriedigenden kritischen Ausgaben vor (vgl. S. 23 zu Minganas Edition der Narsai-Homilien). Von W. hätte man sich gelegentlich gewünscht, sich bei den anderen Quellen konsequenter an kritische Ausgaben zu halten und nicht aus Übersetzungen oder der Sekundärliteratur zu zitieren und sich überhaupt weniger an Übersetzungen anderer anzulehnen.
Insgesamt hat W. eine gute und sorgfältige Studie vorgelegt, für die ihm zu danken ist.