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Ausgabe:

September/2019

Spalte:

914–916

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Heither, Theresia, u. Christiana Reemts

Titel/Untertitel:

Die Psalmen bei den Kirchenvätern. Ps 1–30. Unter Mitarb. v. J. Metzdorf (Ps 22). 2. Aufl.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2018. 483 S. = Biblische Gestalten bei den Kirchenvätern. Geb. EUR 49,00. ISBN 978-3-402-13227-2.

Rezensent:

Barbara Villani

Dieses Buch bildet den Anfang einer fünfbändigen Serie, die eine aus Schriften verschiedener Kirchenväter gezogene Erklärung des gesamten Psalters bieten möchte. Im ersten Band nun werden die ersten 30 Psalmen im Verständnis der Alten Kirche vorgestellt. Mehr als bei anderen wissenschaftlichen Schriften bestimmt das religiöse und gläubige Leben der beiden Autorinnen, welche den Benediktinerinnen in Mariendonk angehören, das Entstehen dieses Buches. Die Bedeutung der Psalmen wurde vom 2. Vatikanischen Konzil besonders hervorgehoben sowie eine vertiefte Be­schäftigung mit ihnen empfohlen. In der heutigen Praxis freilich beschränkt sich die Kenntnis der Gläubigen auf lediglich einen Teil der Psalmen, da einige im Stundengebet und in den Gottesdiensten in den Gemeinden vernachlässigt werden und zuweilen Schwierigkeiten in Bezug auf deren Verständlichkeit bestehen. Anders war die Lage in den Jahrhunderten zuvor: Im religiösen Alltag der Alten Kirche hatten die Psalmen einen prominenten Platz inne und wurden von einigen Theologen auch in ihrer Gesamtheit, nicht nur selektiv erklärt.
Anlass für diese Arbeit von Theresia Heither und Christiana Reemts ist also eine konkrete pastorale Sorge um die Stellung des Psalters im Leben der Gläubigen. Daher wendet sich das Buch gleichsam an eine mehrfache Leserschaft: Einerseits sollen sich interessierte Laien angesprochen fühlen, welche das Gebet der Psalmen in ihr spirituelles Leben einbinden möchten und so einen Einstieg zu einem ihnen womöglich weniger bekannten Gebiet finden können, andererseits richtet sich das Buch aber auch an ein Fachpublikum, welches sich einen ersten Überblick über die patristische Auslegung der einzelnen Psalmen verschaffen und durch die Quellenverweise auf die Originale zurückgreifen kann. Nicht zu-letzt sollen Priester und Ordensleute vom »Reichtum der patris-tischen Psalmenauslegung« (6) profitieren und diese in ihren religiösen Alltag einfließen lassen.
Da das Buch also für ein breites Publikum konzipiert ist, wird auf knapp 30 Seiten auf allgemein verständliche Art in die Psalmen und deren Auslegung bei den Kirchenvätern eingeführt. Dabei wird kurz auf den Psalmentext der Septuaginta eingegangen (10–12). Ebenso wird die große Bedeutung der Psalmen für das Leben und Denken der Kirchenväter erläutert (12–16). Deren Auslegung der Psalmen erfolgt zumeist als Vers-für-Vers Interpretation, wobei zuweilen der Psalm als Ganzes etwas in den Hintergrund rückt. Dies liegt teilweise an der unklaren Struktur einiger Psalmen (z. B. Ps 7), teilweise daran, dass für manche Kirchenväter jedes einzelne Wort eine je eigene Bedeutung hat und demnach auch in seiner Einheit ausgelegt werden kann. Erstaunlicherweise herrscht oft Übereinstimmung in der Interpretation verschiedener Kirchenväter, auch da, wo keine gegenseitige Beeinflussung der Interpreten f estzustellen ist, was besonders daran liegt, dass die Auslegung vieler Psalmen im Lichte des Christusgeschehens erfolgt. Dieses christologische Grundverständnis teilen auch die Verfasserinnen dieses Buches: Sie gehen davon aus, dass sich Christus in der Heiligen Schrift den Menschen offenbart und nur innerhalb der kirch-lichen Gemeinschaft das Wort Gottes zum Geist werden kann. Es geht hier also vor allem darum, wie sich Christus in den Psalmen nach dem Verständnis der Kirchenväter offenbart, nicht um eine Sammlung aller verfügbaren Einzelinterpretationen.
In einer Tabelle werden die 26 zumeist herangezogenen Kirchenväter aufgeführt, wobei Abhängigkeiten kurz vermerkt werden. Darunter finden sich sowohl griechische als auch lateinische Interpreten wie beispielsweise Origenes, Eusebius, Basilius, Gregor von Nyssa, Theodoret, Tertullian, Ambrosius, Arnobius, Augustin und Prosper von Aquitanien. Es folgen Bemerkungen zu Struktur, Sprache und den Überschriften des Psalters (16–21) sowie zur Hermeneutik (21–27). Schließlich werden ein paar in Bezug auf den Psalter von den Kirchenvätern behandelte theologische Themen wie gesungenes Gebet, Leid und Schuld sowie Weg zum Glück herausgearbeitet (27–36). Die Autorinnen verstehen es, die wichtigsten Informationen konzis und prägnant zu formulieren, so dass die Einleitung einen nützlichen Einstieg in die Thematik bildet.
In einer Art moderner Katene präsentiert sich der Hauptteil des Buches. Strukturiert ist die Besprechung der einzelnen Psalmen nach folgendem Schema: Als Erstes wird eine deutsche Übersetzung geboten, welche sich eng an den Text der Septuaginta Deutsch hält und geringfügige Anpassungen aufweist, wo es von den Autorinnen für nötig befunden wurde. Darauf folgt eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Gedanken der patristischen Auslegung des jeweiligen Psalms. Anschließend werden zu jedem einzelnen Vers, der jeweils nochmals wiederholt wird, die Hauptlinien der vorherrschenden Deutungen ausgewählter Kirchenväter herausgezogen und vorgestellt. Dabei werden der Psalm als Ganzes sowie dessen tieferes Verständnis in den Mittelpunkt gestellt. Das Auslegungsprofil der einzelnen Kirchenväter steht im Hintergrund, weshalb nicht jede individuelle Auslegung eines Exegeten berücksichtigt wurde. Aufgrund dieser Entscheidung lässt sich auch rechtfertigen, dass die Authentizität der analysierten Texte von den Autorinnen nicht überprüft wurde (was ein enormer Arbeitsaufwand wäre). Das heißt allerdings besonders bei Autoren wie Origenes und Euseb, oder auch Athanasius und Cyrill von Alexandrien, deren Werke zu den Psalmen zu großen Teilen in Katenen erhalten sind, dass der Leser nicht immer von der tatsächlichen Autorschaft ausgehen kann. Anhand der Quellenangaben in den Fußnoten sowie mit Hilfe von Referenzwerken und einschlägiger Fachliteratur können aber Interessierte selbst auf Fragen der Authentizität eingehen. Als Abschluss zu jedem Psalm folgt ein von den Autorinnen verfasstes Gebet, welches die Grundgedanken des ausgelegten Textes in einer Art Meditation nochmals aufnimmt und aktualisiert.
Neben Bibliographie, welche auch aktuelle Sekundärliteratur aufweist (beispielsweise Perrone zu den Psalmenhomilien des Origenes) und Register zu antiken und modernen Autoren findet sich eine Tabelle mit Bildworten in den Psalmen, also Begriffen, bei denen die Kirchenväter vornehmlich einen geistigen Sinn erkennen. Neben den deutschen Ausdruck werden die griechische Entsprechung sowie Verweise zu den Psalmversen, in denen das je-weilige Wort vorkommt, gestellt. In Bezug auf das Quellenregister wäre es wünschenswert gewesen, die Quellen nicht nur mit der Abkürzung der Reihe anzugeben, sondern auch mit Nennung des Editors. Im Autorenregister sind nur die Werke aufgeführt, welche nicht die Psalmenauslegung betreffen. Die Miteinbeziehung der Psalmenkommentare, um alle verwendeten Stellen auf einmal zu überblicken, wäre aber zumindest für ein Fachpublikum nützlich.
Das Buch versucht gewissermaßen einen Spagat zwischen dem Anspruch, mit wissenschaftlichen Kriterien Quellen zu erforschen, und dem spirituellen Ziel, Gläubigen auch schwierigere Psalmen näherzubringen und in deren eigenes geistiges Leben zu integrieren. Dies ist ein überaus interessanter Ansatz, der auf Anhieb manchem etwas befremdlich erscheinen mag. In gewisser Weise aber nimmt dieses Konzept Art und Zweck patristischer Kommentare auf und überträgt sie in die Moderne, was nicht ganz neu ist: Ein ähnliches Ziel und eine vergleichbare Methode verfolgt die amerikanische Reihe »Ancient Christian Commentary on Scripture« (General Editor Thomas C. Oden), deren Bände VII und VIII zu den Psalmen 2007 bzw. 2008 erschienen sind, auch wenn dort im Gegensatz zu diesem Werk der Fokus auf den einzelnen Kirchenvätern liegt und diese auch in einer englischen Übersetzung in Auszügen wörtlich zitiert werden. Die Herausgeber sprechen von einem christlichen Talmud. Auch dort wird also eine in der Spätantike entwickelte Kommentarform wieder aufgenommen, um patristische Erklärungen der Heiligen Schrift einem weiteren Publikum nutzbar zu machen.
Das Werk von Heither und Reemts bringt jedem Nutzen, der sich Vers für Vers die Psalmen erarbeiten möchte, aber auch dem spezialisierten Leser, der sich kurz über die patristische Auslegung eines bestimmten Verses einen Überblick verschaffen will. In diesem Sinne kann das Vorhaben als gelungen betrachtet werden.