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Ausgabe:

September/2019

Spalte:

911–914

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Williams, Travis B.

Titel/Untertitel:

Good Works in 1 Peter. Negotiating Social Conflict and Christian Identity in the Greco-Roman World.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XXII, 412 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 337. Lw. EUR 139,00. ISBN 978-3-16-153251-1.

Rezensent:

Volker Rabens

Nach seiner 2012 veröffentlichten Dissertation zur Christenverfolgung im Kontext des 1Petr legt Travis B. Williams (Tusculum University, USA) mit »Good Works in 1 Peter« eine Studie vor, die sich der sozialen Strategie des 1Petr angesichts dieser Verfolgungssituation widmet. Im Rückgriff auf sein Dissertationsprojekt wird nun die Funktion der »guten Werke« in den Blick genommen, denen s. E. fälschlicherweise zu oft eine positive Wirkung zugeschrieben wird. In einem forschungsgeschichtlichen Abriss sieht W. dementsprechend nur bei neueren Perspektiven der postkolonialen Interpretation (u. a. David Horrell) das Potential, die gesellschaftliche Situation und rhetorische Strategie des 1Petr zu erhellen (Kapitel 1–2). Auf diesem Hintergrund soll die vorliegende Monographie zweierlei leisten: die Funktion der Terminologie der »guten Werke« in der hellenistischen, frühjüdischen und neutestamentlichen Literatur untersuchen (Kapitel 3–6) und auf dieser Grundlage ihre mehrfache Verwendung im 1Petr erörtern (Kapitel 7–10).
W. beginnt seine Untersuchung mit der Frage nach dem Verständnis von »guten Werken« im hellenistischen Kontext. Es wird deutlich, dass sich das Ideal »nobler und guter Mann« und das Leitbild »gute Taten« insbesondere auf die finanzielle Wohltätigkeit reicher Eliten für die Allgemeinheit bezog (Kapitel 3). Für die petrinischen Gemeinden zeigt W. allerdings im nächsten Kapitel, dass ihre Mitglieder im Regelfall finanziell nicht in der Lage gewesen sein dürften, spendable Wohltaten für die Städte zu erbringen. Darüber hinaus dürfte der Autor des 1Petr den Euergetismus auch abgelehnt haben, weil er seiner Strategie der (partiellen) Abgrenzung zur Gesellschaft widerspricht. Hier setzt 1Petr einen anderen Schwerpunkt als die paulinische Literatur, besonders die Pastoralbriefe, die eine gewisse Kontinuität zwischen den Tugenden der Gemeinden und denen der säkularen Außenwelt herzustellen suchen, mit dem Ziel des »bridging of the gap between Christians and outsiders« (149). Grundsätzlich ist im Neuen Testament allerdings eine Verstärkung der in der frühjüdischen Literatur beobachteten Tendenz festzustellen: Weil die positive Resonanz guter Werke in der Gesellschaft ausblieb, wird Gottes zukünftiges Gericht zum Trost der Leserinnen und Leser stärker betont (Kapitel 5–6).
In seiner Analyse des 1Petr attestiert W. den Wohltaten der Gemeinde eine überwiegend negative gesellschaftliche Reaktion (Kapitel 7). Dies würde u. a. durch einen Vergleich von 2,12 mit Mt 5,16 deutlich: im 1Petr wird Gott erst am Tag der Heimsuchung von den Heiden für die guten Werke der Gemeinde gepriesen. Diese Interpretation von 2,12 wird von W. auf 2,14 f. übertragen: am Tag des Gerichts stopft das Tun des Guten den törichten Menschen das Maul. Weil andere Texte in 1Petr eine Intensivierung der Konflikte mit der Außenwelt antizipieren, sollten neben 2,14 f. auch 3,1–6 in diesem Sinne interpretiert werden. Auch wenn sich manche Ehemänner als Reaktion auf das gute Verhalten der Gattinnen bekehren mögen, so ist W. der Meinung, dass die innereheliche Unterdrückung damit nicht enden muss. Schließlich sollen die Frauen »das Gute tun und keinen Schrecken fürchten« (3,6). Auch 3,13 f. legt nicht nahe, dass 1Petr eine »naive Sicht guter Werke als Antwort auf die sozialen Probleme der Leserschaft« vermitteln wolle (183). Vielmehr sollte der Fokus auf die göttliche Belohnung guter Werke gelenkt werden. Denn selbst wenn die »göttliche Ökonomie der Vergeltung« (3,12 f.) im Hier und Jetzt nicht greift, so darf sich die Gemeinde dennoch eines positiven Ausgangs sicher sein (3,14).
Das 8. Kapitel zur »Kalkulierten Konformität in 1Petr« beginnt mit einer hilfreichen Differenzierung unterschiedlicher Stufen der gesellschaftlichen Konformität zwischen hoher und niedriger An­passung. 1Petr wird dann eine »subalterne Anpassung« zugeschrieben (ohne dass diese explizit in das zuvor entwickelte Raster eingeordnet wird). »This means that in prescribing the duties of his underprivileged congregations, the author clothes his instructions in the language of compliance – particularly in places where many of the readers were most vulnerable (e. g., household structure) – as a way of preserving the basic safety of the most at-risk readers« (202). Diese indirekt subversive Strategie wird anhand verschiedener Komponenten verdeutlicht: 1. Sklaven verzichten auf Vergeltung im Falle von Missbrauch (2,18–20; 3,9), weil die gerechte Vergeltung im Eschaton erwartet wird. 2. Frauen ordnen sich ihrem Mann unter (2,18–3,6), weil bereits die eigene religiöse Neuorientierung eine subversive Dimension hat (205 f.). 3. Der Herrscher kann geehrt werden (2,17), weil klar ist, dass er nur eine »menschliche Kreatur« ist (2,13) und das Gebot der Gottesfurcht vorangestellt wird.
Nach dieser Diskussion der Anpassungsstrategie des Briefes wenden sich die zwei finalen Kapitel den Elementen des Widerstands in 1Petr zu. Kapitel 9 macht dabei deutlich, dass es sich um einen »vorsichtigen Widerstand« handelt. Dieser zeigt sich darin, dass die kreatürlichen Einschränkungen des Herrschers ins Ge­spräch gebracht werden (2,13) und seine Macht abgewertet wird (2,17); soziale Normen der Gesellschaft werden geächtet und die Leserinnen und Leser werden zur (impliziten) Kritik durch einen devianten Lebensstil (4,3 f.) und eine vom Herrscher verachtete Identität (χριστιανός, 4,16) ermutigt. Die Verfolgung wird einem satanischen Ursprung zugeordnet (5,8 f.) und das Imperium als unterdrückerische Macht gelabelt (»Babylon«, 5,13). Im letzten Ka­pitel entfaltet W. schließlich die Funktion guter Werke »als (assimilierten) Widerstand«. Aus dieser Perspektive zielen die guten Werke nicht auf eine Konvergenz, sondern auf eine Konfrontation mit der feindlichen Umwelt und ihren ethischen Standards. Als Reaktion wird nicht die Bekehrung der Mitbürgerinnen und Mitbürger erwartet, sondern eine Zunahme der Verfolgung (2,20; 3,14 ff.; implizit: 3,6; 4,19). Die Ursache für die Verfolgung muss nach W. allerdings nicht in der Natur der guten Werke gelegen haben, sondern könnte in der Tatsache begründet sein, dass die Werke von der stigmatisierten Gruppe der Christen (4,16) ausgeübt wurden. Die Taten selbst waren nicht unbedingt provokativ, denn sie waren in Sprache und Formen der Unterordnung gekleidet. Dies war notwendig, denn »1 Peter is working within a postcolonial context which allowed little room for rebellion« (265). Indem der Verfasser des 1Petr die sprachlichen Formen und die hierarchischen Strategien der Diskriminierung von den gesellschaftlichen Feinden der Gemeinde übernimmt und sie auf diese rückprojiziert (2,7 f.; 4,3–6.17 f.), reproduziert er deren repressive Strategien und macht sie für seine Gemeindeparänese fruchtbar.
Mit seiner zweiten Monographie zum 1Petr hat W. eine bedeutende Studie zur sozialen Strategie des Briefes vorgelegt. Seine detaillierte Untersuchung diskutiert ein breites Spektrum internationaler Forschung und bringt umfangreiches Material aus dem religionsgeschichtlichen Kontext des Briefes ins Gespräch. Seine These, dass der Autor des 1Petr eine unverwechselbare christliche Identität konstruiert, indem er die Sprache der sozialen und politischen Eliten an­nimmt, umwandelt und unterwandert und so eine feindliche Welt (vorsichtig) herausfordert (279), liefert einen originären Forschungsbeitrag aus postkolonialer Perspektive. Das Buch ist gut zu lesen, weist allerdings ein gewisses Maß an Wiederholungen auf (z. B. von Material aus Kapitel 3 in Kapitel 4), die auch der Tatsache geschuldet sein dürften, dass einige Kapitel aus zuvor veröffentlichten Artikeln entstanden sind. Neben solchen Redundanzen gibt es selten un-präzise bzw. anachronistische Formulierungen, wie z. B. »1 Peter is working within a postcolonial context …« (s. o.).
Ein wichtiges Verdienst von W.s Studie ist sein fokussierter Blick auf den kulturellen und religiösen Kontext des 1Petr. Allerdings wäre es dabei sinnvoll gewesen, nicht nur nach der Formulierung »gute Werke« zu suchen, sondern allgemeiner die gesellschaftliche Wirkung ethischen Handelns unterschiedlicher sozialer Gruppen zu untersuchen. Auch bei der Interpretation des 1Petr selbst führt teilweise die Fokussierung auf diese Formulierung zu einer gewissen Engführung. So wird kaum eine Verbindung zu den theologischen Motiven für die ethischen Anweisungen des 1Petr gezogen, die regelmäßig im unmittelbaren literarischen Kontext dargelegt werden (z. B. 2,9: »Ihr aber seid … ein königliches Priestertum …, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht«). Ein breiterer exegetischer Radius hätte möglicherweise auch zu einer vielschichtigeren Wahrnehmung der unterschiedlich nuancierten Funktionen ethischen Handelns im 1Petr geführt. Denn es bleibt fraglich, ob angesichts der schmalen und heterogenen Textgrundlage eine einheitlich negative Interpretation der antizipierten Resonanz guter Werke zu Unrecht auf mehrere Aussagen projiziert wird (z. B. 2,14 f.; 3,1–6). Trotz dieser Anfragen bleibt Good Works in 1 Peter eine zentrale Studie zum 1Petr, an der man nur schwer vorbeikommt, wenn man sich mit der sozialen Strategie des Briefes auseinandersetzen will.